Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 12.6.2022

Es gibt eine neue Monatsnotiz der geschätzten Nicola, die dauernd das macht, wozu ich nie komme, nämlich Podcasts hören. Sie erwähnt da auch den Roman „Nebenan“ von Kristine Bilkau, den lese ich ebenfalls gerade, was für ein Zufall. In dem Buch spielen leerstehende Häuser eine zentrale Rolle. Etwa solche in der Innenstadt, in denen einmal Läden waren, also die mit den blinden oder schon schadhaften Schaufenstern und dem unklaren Schicksal. Läden also, die Sie vermutlich auch in nächster Nähe haben, ob Sie nun in einem Dorf leben, in einer Kleinstadt oder in einer Millionenstadt wie ich (wenn ich durch den Hauptbahnhof in die Hamburger Innenstadt gehe, gleich auf den ersten Metern: Karstadt Sport weg, Kaufhof weg, C&A weg).

Das ist mir bisher noch nicht als Thema in einem deutschen Roman begegnet, glaube ich, dieser urbane oder ländliche Strukturwandel der neueren Zeit, aber es ist ein einladendes Thema. Umweltthemen kommen auch im Buch vor, bei denen denke ich aber, dass die nicht recht in einen Roman passen. Mikroplastik etc., Klimawandel und Bauschäden. Ich vermute, dieser Gedanke ist komplett irrational und abwegig, denn selbstverständlich gehört so etwas in Romane, auch wenn mir die Begriffe nicht literarisch genug vorkommen oder was mich da nun genau stört, ich kann es ja nicht einmal exakt benennen, es ist einfach ein Unbehagen. Ich habe jedenfalls nicht Recht mit diesem Unbehagen, glaube ich. Warum soll man immer alles gut finden, was man selbst denkt.

Apropos Strukturwandel, ich schwenke eben in den Alltag vor der Haustür – hier macht neben einem Coffeeshop gerade ein neuer Laden auf, es ist ein, ich halte auf dem Fahrrad extra an, um nachzusehen, es ist ein weiterer Coffeeshop. Das ist gut, denke ich, weil ich doch gerade direkt neben dem Coffeeshop oft Durst auf Kaffee hatte, wer kennt es nicht.

Klebkunst: Ein papierner Schmetterling an einer gekachelten Wand

Ansonsten gilt hier seit ein, zwei Jahren übrigens das Prinzip der halbherzigen Eröffnung, es machen also dauernd Läden auf, nur um nahezu sofort wieder zu sterben. Es gab sie dann immerhin einen Tag, zwei Wochen oder einen Monat, manche sogar ein Quartal. Egal, es wird sich niemand jemals an sie erinnern können. In einem dieser Eintagsfliegenlädchen steht eine Schale im Schaufenster, verschrumpeltes Obst liegt darin und ein Schild steht daneben: Vegane Häppchen. Der Laden, ein Café soll es wohl sein, hatte einen Tag geöffnet, dann wieder doch nicht, dann Tage später noch einmal, der Laden flackerte. Jetzt ist er wieder weg, seit Tagen war da kein Licht mehr an. Am Ende war es bloß kurz Kulisse für ein Filmteam, was weiß ich.

An einem anderen Laden schrauben zwei Männer auf Leitern gerade ein Schild ab, als ich vorbeikomme, und in dem Moment, in dem sie es herunterheben, habe ich schon vergessen, was darauf stand.

Ich kann auch keine Podcasts hören, das wollte ich noch eben sagen, weil ich doch Bücher höre. Bücher beginnen gleich mit dem Inhalt, das ist sehr gut eingerichtet. Podcasts dagegen beginnen mit Smalltalk, viele jedenfalls, und ich komme mir doch etwas irre vor, wenn ich Smalltalk im echten Leben kunstvoll vermeide, nur um ihn mir dann medial gezielt zuzuführen, das geht doch nicht.

Ich höre „Wellen“ von Keyserling, den ich mit Vehemenz mag, wie vermutlich bereits häufig genug erwähnt. Keyserling gehört zu den Autoren, die im Grunde immer das Gleiche geschrieben haben, in jedem Buch, immer nur leicht anders betonte Nuancen und sacht abweichende Varianten, aber das ist alles sehr gut so und reicht aus.

Ich schreibe auch immer das Gleiche, nur nicht so gut wie Keyserling. Kein fishing for compliments, eher ein Erkennen des Problems. Ich fahre aus dem Garten (erste Erdbeeren, Zucchini wachsen, Stachelbeeren in Bälde) nach Hause, weil ich nicht nur das Gleiche schreibe, sondern auch immer das Gleiche mache, womöglich besteht da ein Zusammenhang. Immer wieder die Wege zwischen der Wohnung und dem Büro und dem Garten, dazwischen das Einkaufen und die Bücherei, mehr passiert hier einfach nicht. Ich fahre über eine Brücke, unten liegt ein Fleet. Stand-Up-Paddler in träger Bewegung darauf, am Ufer malerische Schrebergärten. Überhängende Bäume spiegeln sich im Wasser, schön sieht das aus. Kleine Boote liegen vertäut an Stegen, es ist ein Sommerromantikbild, es ist das Postkartenhamburg abseits von Alster und Elbe. Aus einer Laube kommt laute Schlagermusik, da hat die ganze Gartenkolonie etwas davon und auch die Menschen, die vorbeikommen oder über die Brücke fahren, so wie ich, die also irgendwo hinwollen, denen singt Udo Jürgens laut nach: „Ich weiß, was ich will!“

 

Ja, schön für dich, denke ich mit immerhin nur geringer Bitternis, „dass jede Nacht für uns zum Karneval wird“, die Phase habe ich doch längst hinter mir. Ich aber will meine Ruhe, denke ich. Dieser Satz kommt bei Hüsch irgendwo wörtlich als Pointe vor, ich aber will meine Ruhe, es ging da um den Text auf seinem Grabstein, wenn ich mich richtig erinnere. Es gibt viele Sätze beim Hüsch, bei denen nicke ich ihm so zu, vage in Richtung Himmel.

„Sag mir nur eins“ singt Udo, und dann höre ich ihn nicht mehr, „will ich zu viel?“

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Ach, und ich habe hier für das Goethe-Institut etwas über Menschen im ÖPNV geschrieben.

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8 Kommentare

  1. Oh ja, „Wellen“ ist großartig, sehr gute Wahl.
    Ich weiß ja nicht mehr, wie und von wem ich auf Keyerling hingewiesen worden bin – sollten Sie es hier gewesen sein, nochmals vielen Dank 🙂

  2. Danke, lieber Maximilian, für das stetige Verlinken! Da du dauernd machst, wozu ich viel zu selten komme: Literatur lesen nämlich, finde ich es sehr schön, dass wir uns bei Kristine Bilkau, nun einmal getroffen haben. Ich lese sie sehr gern. Die Umweltthemen im Buch haben mich interessanterweise auch nicht erreicht, so wenig, und das mag zusammenhängen, wie der männliche Protagonist. Der Verfall der Innenstadt dagegen: Das hatte ich vor Augen, das ist Horn am Rande des Teutoburger Waldes, Spanplatten allerorten, da warst du vielleicht einmal? Nun gibt es in NRW erste Programme zur Steigerung der „Aufenthaltsqualität“. Ob’s hilft?

  3. Ja, ja, ja
    Keyserling “ Im stillen Winkel“ –
    und „Keyserlings Geheimnis“ von Klaus Modick,
    wer’s mag…

  4. Das Goethe-Institut hat Glück mit Ihren Texten, und erst recht die Leser!
    Ja, unter Leuten kann man was erleben, wenn man den Sinn dafür hat. Mir gefällt so sehr Ihre Menschenfreundlichkeit, mit der Sie diese „Begegnungen“ schildern.
    Und ganz nebenbei, sollte Ihr Zug an mir vorbeigefahren sein, war ich ganz sicher eine dieser Omis, die zurückwinkte. Nichts geht über ein glückliches Kinderlachen.

  5. Ich höre Podcasts, wenn ich mit dem Fahrrad fahre. Natürlich ist es besser, einen Kopfhörer zu benutzen, mit dem man die Umgebung hören kann.

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