Ich höre „Schwüle Tage“ von Keyserling, obwohl ich es schon gut kenne, aber wie auch in der Wikipedia steht: „Sowohl die schlichte Sprache des Autors als auch der unaufdringliche Vortrag der Sommergeschichte erscheinen als makellos. Treffsichere Naturschilderungen beleben – gerade wegen ihrer unsentimentalen Kürze – die Lektüre.“ Und genau so ist es. Freundinnen und Freunde des situativ angepassten Lesens greifen jetzt zu dieser Erzählung, noch während die Temperaturen steigen.
Ich lese „Auf der Straße heißen wir anders“ von Laura Cwiertnia, hier eine Rezension dazu. Ich habe vermutlich bisher noch keinen aktuellen Roman mit Armenienbezug gelesen – oder ich habe es vergessen. Das ist ein Satzteil, den ich immer zweimal denke – oder ich habe es vergessen, oder ich habe es vergessen -, denn es ist ein Zitat, so unscheinbar es auch ist. Aus der deutschen Übersetzung des „Ce gens-là“ vom Brel, Klaus Hoffmann war das, die herzzerreißende Liebeserklärung an Frieda, schön wie die Sonne:
„Und dann …
Und dann, da ist Frieda
Schön wie die Sonne
Die mich genauso liebt
Wie ich Frieda liebe
Und wir sagen uns oft
Dass wir reich sein werden
Und es wird schön sein!
Die anderen sagen,
Du bist zu schön für mich.
Ich wäre gerade gut genug um Katzen zu töten.
Ich habe nie Katzen getötet –
Oder ich habe es vergessen,
Oder ich habe es vergessen.“
Wobei er das mit dem Geruch im Originaltext unterschlagen hat, aber das ist egal. Es wird dann jedenfalls nichts mit den beiden, natürlich nicht.
„Les autres ils disent comme ça
Qu’elle est trop belle pour moi
Que je suis tout juste bon
À égorger les chats
J’ai jamais tué d’chats
Ou alors y’a longtemps
Ou bien j’ai oublié
Ou ils sentaient pas bon
Enfin ils veulent pas
Enfin ils veulent pas“
Was kann ich Ihnen erzählen. Gestern Abend, als der Spielplatz kinderleer war, als die riesige Krähe in ihrem amtlich wirkenden Schiedsrichterschwarz über den verlassenen Sand stolzierte, als hätte sie dort zu gesetzter Uhrzeit akribisch zu prüfen, ob auch alle Butterkekskrümel und Reiswaffelreste korrekt von den Tauben beseitigt wurden, da blieb sie neben der Schaukel stehen, die noch ein wenig schwang, im Abendwind oder weil das letzte Kind gerade erst abgesprungen war, ich weiß es nicht, ich trat gerade erst ans Küchenfenster und sah nach unten. Der Vogel besah sich die Schaukel mit schiefgelegtem Kopf, ernst und lange. Sprang dann entschlossen darauf und schaukelte etwas. Wollte vermutlich doch einmal sehen, was diese Menschenkinder da immer machen. Und die Krähe schwang etwas hin und her, legte den Kopf nach links, legte den Kopf nach rechts, sprang wieder herunter und besah sich die leere Schaukel noch einmal von unten, während eine andere Krähe von der großen Eiche aus ihr etwas zurief, das wie eine Frage klang, die sie aber nur einsilbig und achtlos beantwortete, sie musste wohl noch weiter über das Schaukeln der Menschen nachdenken und wollte dabei nicht gestört werden.
Ich habe noch nie eine Krähe auf einer Schaukel gesehen, das wollte ich nur eben sagen. Oder ich habe es vergessen. Ou bien j’ai oublié.
***
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ich lese den text über die schaukelnde krähe, ich denke an Charles Aznavour mit dem armenienbezug, aber dann höre ich das lied von Jacques Brel (ich dachte, ich kenne sie alle, aber dieses habe ich noch nie gehört, also noch nie wahrgenommen) und dann bin ich weg, es gibt nur noch dieses schwarz-weiß bild, die stimme von Brel und seine worte.
danke!
Der ganze Text eine Perle.
Kinderschaukeln sind doch auch nur ein etwas ungefährlicherer Ersatz für im Wind schwingende Äste … oder die Äste alter Obstbäume, an denen man selbst so schön schwingen konnte … bis sie abbrachen. 😉
Kindheitserinnerungen – unvergessen.
Diese zwei Arten, das Vergessenhaben zu beschwören:
Ou alors y’a longtemps
Ou bien j’ai oublié
Und dass da ganze Satzteile weggelassen werden beim Übersetzen!
Ein Text, wie ich ihn mag. Gedankensprünge vom feinsten und alle haben eins gemeinsam: Wie vergesslich wir doch sind.
Wir haben ein Tonnendach aus Zink. Durch das offene Dachfenster im Bad hört man, wie die Krähen rennend Anlauf nehmen und dann wieder und wieder die Wölbung hinunterrutschen.
Oh, „Schwüle Tage“ fand ich sehr schwierig, dagegen „Wellen“ leichter zu ertragen. Ähnlich ging es mir mit Vicki Baums „Zwischenfall in Lohwinckel“. Klingt erst so leicht langhin, haut einen aber dann völlig um.