Beaufort sieben bis acht

Der Kies knirschte unter den Reifen als wir auf den Hof mit den Ferienwohnungen einbogen und parkten. „So“, sagte ich, und „Oh, schon da“, sagte ein Sohn, sah überrascht von seinem Handy hoch und irritiert nach draußen, eben war da doch noch Hamburg. Man hätte unseren Gesichtern vermutlich ansehen können, dass wir nicht zum ersten Mal hier hielten. Es fehlte uns diese gewisse Unsicherheit, Neugier, Skepsis und Vorsicht, die man bei ersten Malen hat. Es fehlte dieses minutenlange Stehen und Gucken, mit dem Touristen in aller Welt Einheimische in den Wahnsinn treiben. Es lief alles eher routiniert ab und die Jungs stiegen aus, öffneten den Kofferraum und fingen ohne Nachfragen an, die Sachen in die Wohnung zu tragen, also gefühlt wie immer den halben Haushalt.

Wir waren gut durchgekommen. Das ist eine Wendung, die im deutschen Smalltalk von erheblicher Relevanz ist, es ist alles gut, wenn man gut durchkommt. Als müsse man sich durch enge Autobahnen zwängen, so klingt das, es ist im Grunde ein ganz falsches Bild. Wie immer war es so, dass die lokalen Medien voller Warnungen waren, an den Tagen vor unserer Abreise und dann im Crescendo bis zum Tag des Aufbruchs, überall waren Warnungen, fahrt nicht, fahrt anders, fahrt später oder früher. Es waren rekordmäßige Staus vorhergesagt worden, die sollten von der Großstadt bis an die Küste reichen und an den Ausweichstrecken und Umleitungen liefen sich die ADAC-Propheten mit den großen „Kehret um!“-Schildern schon warm.

Wie immer war dann aber gar nichts und die Fahrt verlief eher so, als hätten nur wir diese höchst spezielle Idee gehabt, Richtung Nordsee zu fahren, als sei das sonst eher nicht so üblich. Lediglich den absurden Stau zwischen unserer Garage und der ersten Ampel, in dem wir immerhin eine nervtötende halbe Stunde standen, der am Hamburger Triathlon lag und meine Aversion gegen Großveranstaltungen aller Art weiter verfestigte, den hat natürlich niemand vorhergesagt. Vor dem Großen wird laut und sinnlos gewarnt, doch im Kleinen erwischt es dich dann hart und überraschend. Man darf hier Tiefsinn vermuten, aber ich kann auch nicht immer über alles nachdenken. Schon gar nicht im Urlaub.

Ich begrüßte den Hofhund, den ich schon seit seiner Welpenzeit kenne, und nahm gefasst zur Kenntnis, dass die Katzen sich nicht einmal nach mir umdrehten. Sie hatten gerade keine Zeit, denn sie waren intensiv damit beschäftigt, in exakt paralleler Körperhaltung eng nebeneinander zu dösen. Eine Beschäftigung, in der sie es zu großer Kunstfertigkeit gebracht haben, sie beherrschen auch das unmerklich abgestimmte Umdrehen in Perfektion, ich beobachte es schon seit Tagen staunend. Sie machen nennenswert mehr Nickerchen als ich, das will im Moment etwas heißen, und ich bin überhaupt nicht geübt darin, mit der Herzdame in synchronisierter Haltung zu liegen. Bei Katzen sieht das definitiv gut aus, ich weiß nicht recht, wie es bei uns wäre.

Dicht über uns die Schwalben, von denen ich etliche vielleicht schon aus dem Vorjahr kannte. Aber es war da so ein Durcheinander am Himmel, ich hätte mich nicht festlegen wollen. Und auch die Schwalben hatten keine Zeit, keine Zeit, sie jagten wie immer nur so durch ihren Tag.

Auf der Weide gegenüber standen Schafe mit ihren Lämmern. Groß sind sie geworden, und bei einigen von ihnen waren wir bei der Geburt im März dabei.

Es war kühl, es kam Wind auf, es war Pulloverwetter, Wir kamen aus unserer wie in jedem Sommer stark aufgeheizten Dachgeschosswohnung, wir kamen aus dem Garprozess der urbanen Hitzewellen, wir fanden das also erst einmal gut, das mit den Wolken und dem Wind, wir atmeten.

Beaufort sieben. „Grobe See“ heißt es da in der Beschreibung, bei Beaufort acht steht dann aber nicht „saugrobe See“, obwohl das irgendwie passend klingen würde. Beaufort sieben bis acht. Die See kann man von hier aus nicht sehen, es sind noch etliche Kilometer bis zum Meer, wir hörten nur den Wind und den Sturm und ahnten, wie grob es da draußen zuging.

Auf der Leine hinterm Haus wehten die Laken, wie Segel stramm im Wind. Darunter ein grasendes Lamm, das uns kurz ansah und fragend „Mäh?“ blökte, und da habe ich es wieder deutlich gemerkt – man hat längst nicht auf alles eine passende Antwort.

Aber das muss man auch nicht. Schon gar nicht im Urlaub.

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