Dörrobstgedanken

Vor der Haustür liegt eine Taube auf dem Rücken. Ihr Hals ist grotesk abgewinkelt, die Brust wurde aufgebrochen, rotes Fleisch in der Mittagssonne, etwas Blut auf dem Boden, dunkel getrocknet, Federchen ringsum. Auf dem Brustbein schon das schwarze Gewimmel des Entsorgungstrupps aus dem Insektenreich. Ein Mann steht nicht weit davon und guckt in die Gegend, auf seinem schwarzen T-Shirt steht weiß: „Spitzbube“. Ein Zusammenhang zwischen Mann und Taube lässt sich nicht zweifelsfrei herstellen.

Auf einer Parkbank liegt am Abend eine verschmäht aussehende rote Rose, langstielig, edel. Die war einmal teuer und bleicht jetzt vermutlich tagelang auf dem Holz vor einem kaum bespielten Klettergerüst, das Rot der prächtigen Blüte hat schon an Kraft verloren. Auf dem städtischen Mülleimer daneben steht: „Ich fress dir aus der Hand.“ Ein Zusammenhang lässt sich herstellen oder auch nicht.

Auf den Stufen zu einem Hotel steht am Morgen eine leere Flasche Jack Daniels (keine bezahlte Werbung, nein), daneben breitet sich eine Lache Erbrochenes aus. Ein Zusammenhang darf vermutet werden.

Der Sonntag ist zu warm, viel zu warm, überall, sogar im Keller, sogar am Ufer der Bille, sogar im Schatten im Garten, wo jetzt eine Pflanze nach der anderen aufgibt und immer mehr der Gewächse zum eindeutig herbstlichen Look neigen, sogar im Freibad, das so wimmelvoll ist, wie ich noch nie ein Schwimmbad erlebt habe. Ich müsste dringend einen Text schreiben, ich kann aber nicht denken, da mein Hirn die Konsistenz und das Leistungsvermögen von Dörrobst angenommen hat. Ich müsste umschulen, auf einen Job, bei dem man nicht denken muss. Man dürfte aber auch nichts anderes machen müssen, denn es ist alles zu anstrengend. Was macht man denn da, was wird man da?

Es ist so heiß, ich tropfe schon im Sitzen, einfach vom bloßen Sein und Atmen. Ich nässe den Gartenstuhl unter der Weide, ich bin ein undichter Nichtdenker.

Die Ringeltaube monologisiert in der Glut des Nachmittags dumpf von der Nachbarparzelle, das klingt eintönig wie Morsezeichen. Ich googele, was sie da ruft, immer alles nachschlagen. Lang-kurz-lang, kurz-kurz, das steht für KI. KI ruft sie im gut erkennbaren Morse-Alphabet, immer wieder KI, tausendmal am Nachmittag. KI, das steht für Künstliche Intelligenz, das weiß man. Wer auch immer im Hintergrund diese Taube programmiert hat, er wollte uns doch ein kleines Zeichen geben.

„Verstanden“, sage ich, „ich habe es ja verstanden.“ Die Taube gurrt nicht mehr weiter, die hat ihre Mission erfüllt.

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