Die Früchte des Feuerdorns

Ich höre Adalbert Stifter, „Eisregen“, das sind ganze 24 Minuten über das Wetter. Nicht immer alles nur mit einem lapidaren Satz abtun, ruhig auch mal genauer werden, erschöpfend genau. Einen Text in Ruhe reifen lassen. Das kann man von Stifter lernen, also wenn man das denn möchte. Eisregen. Mehr passiert da nicht. Bäume fallen um, das immerhin. Gut, das ist ein Text aus einem Jahrhundert, in dem gab es noch wechselnde Jahreszeiten, die Älteren erinnern sich, aber das können wir uns heute kaum noch vorstellen, da gab es mehr zu beobachten. Wir haben keine vier Jahreszeiten mehr, wir haben 12 Grad, als etwa halbjährige Konstante, und der Rest ist dann heiß. 12 Grad oder 32 Grad, das ist jetzt so die Auswahl. Eine Verbesserung ist das sicher nicht.

Genauer hinsehen, denke ich, und gehe einkaufen. Aber wie ist es denn? Es ist hellgrau, es ist Stadttaubenuntergefiedergrau. Es ist bewölkt, es gibt keinen Regen, es gibt keine Sonne, es gibt gar nichts. Es ist nicht hell, es ist nicht dunkel. Es sind 12 Grad, es sind 13 Grad, das sind so die Schwankungen im Laufe des Tages, mehr passiert eigentlich nicht. Die Menschen tragen unentschlossene Garderobe. 12 Grad sind weder kalt noch warm, 12 Grad tun nicht weh und machen auch keinen Spaß, 12 Grad sind irgendwie geht so, sind ereignislos, langweilig, öde, sind November, Dezember, Januar, Februar, März. Am hausmeisterfreundlichen Feuerdorngestrüpp neben den Müllcontainerverschlägen vor den Wohnblöcken die orangefarbenen Früchte, die kein Vogel will, mit etwas Fantasie leuchten die Kügelchen sogar ein wenig im Grau des frühen Nachmittags, das ist der Herbst, der Herbst in der Großstadt. Das muss man dann schön finden, mangels Alternativen. In einem Innenhof eine einsame Eberesche, daran hängen die roten Früchte, und das also ist die Abwechslung. Natur, so vielseitig. Im Lidl liegen jetzt schon die ersten weihnachtlich anmutenden Gestecke, irgendwas mit rotgrüner Deko und Nadelgezweig. Vogelfutter daneben, in Spendern für den Balkon, Tannenzapfenformen aus Plastik, wie traurig ist das denn.

Im Blumenladen verkaufen sie ein dürres, knappkurzes Zweiglein Ilex für 4,90, was sind das für Preise. Ein Büschel Lavendel daneben ist noch teurer, 7 Euro wollen sie dafür haben, dafür riecht es aber auch nach Sommer.

In der Fußgängerzone hat ein Bettler eine weihnachtlich anmutende Lichterkette um sein Blechschüsselchen gewunden, darinnen ganze 60 Cent liegen. Demnächst dann auch wieder die Weihnachtsmärkte in der Innenstadt, dann hat der arme Mann da aber nicht mehr zu sitzen. Dann gibt es da Schmalzkuchen oder Wurst oder Glühwein, wo er jetzt noch sitzt und leise nach Kleingeld fragt. Wir schreiten voran.

Arbeiter montieren gerade auf einer Hebebühne an der Weihnachtsbeleuchtung oben über dem Boulevard. Ich mache ein Foto davon und schicke es einer Freundin, mit der ich das Ritual habe, dass wir uns lästernd über diese ausgesprochen unschöne Lichterdeko austauschen. Im November schreiben wir uns, dass sie schon wieder hängt, im März schreiben wir uns dann, dass sie immer noch hängt. Der Mensch braucht seine Traditionen, wie die Stadt im Winter die Weihnachtsbeleuchtung braucht. Die in diesem Jahr allerdings erstmals nachts abgeschaltet werden wird, das ist die Energiekrise. Um 22 Uhr ist Schluss mit dem ganzen Zauber.

Aber das ist mir egal, da schlafe ich meistens schon. Da träume ich schon, vielleicht von Jahreszeiten und von damals.

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Ein Kommentar

  1. An meinem Arbeitsweg steht eine vielleicht zehn Meter lange, formgestutzte Hecke aus Feuerdorn, die zur Zeit exponentiell mehr Früchte als Blätter trägt. In diesem septembrigen November ist mir der Anblick abseits von allen sonst damit verbundenen Ressentiments eine Weide für die Augen.

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