Immer noch der 31.5., der Mittwoch. Morgens sehe ich auf dem Handy nach dem neuen Ticket für den frischen Monat, es ist mir prompt erschienen. Technik, die begeistert, freie Fahrt.
Ich treffe am späten Nachmittag meine Bezugsgruppe Helgoland unten am Hafen, wir haben Austauschbedarf. Dabei müsste ich sie doch auf der Insel treffen, wie sich eigentlich von selbst versteht, ich sehe da erheblichen Optimierungsbedarf. Das ist alles falsch eingerichtet so. Wann ich denn zum letzten Mal auf der Insel gewesen sei, werde ich prompt gefragt, nicht ohne dezente Kritik in der Stimme. Damals, sage ich, irgendwann vor allem. Es gibt immer noch deutliche postpandemische Nachholbedarfe, aber nicht alle sind leicht zu bedienen. Wie sortiert man das alles ein, die Wünsche, die Pläne, die Vorhaben, die Neigungen. Sich bloß nicht für noch mehr interessieren.
Wir gehen gemeinsam eine Stunde in der Gegend der Landungsbrücken und oben hinter dem Portugiesenviertel spazieren und reden und reden, es ist ein erfreuliches Treffen. Aber nebenbei … ich sehe Schreckliches. Nämlich Menschen.
Menschen an sich wären noch nicht allzu schrecklich, aber es sind dermaßen viele davon, und zwar, ich kann das vermutlich vereinfachen, sind es signifikant mehr, als sie sich gerade vorgestellt haben, als ich die Landungsbrücken erwähnte, von denen sie vermutlich ein Bild im Kopf haben. Man stellt sich da, wenn man an typische Postkarten denkt, doch so ein paar Menschen auf dem Bild vor. Nehmen Sie die vorgestellten paar Menschen mal hundert. Mindestens, aber gerne auch noch viel mehr, das Doppelte, das Dreifache von dem, was Sie „verdammt gut besucht“ nennen würden. Und dann passt es erst. Was ich da an einem höchst gewöhnlichen Werktagnachmittag zur frühen Feierabendzeit gesehen habe, das war auch für mich als Hamburger eine neue Eskalationsstufe und ich war drauf und dran den Freunden, die da mitten in dem touristischen Gewühle und Geschiebe wohnen, zu sagen, dass man da doch nicht mehr wohnen könne – also genau das zu sagen, was andere auch schon zu uns sagen, die wir „nur“ in der Stadtmitte direkt hinterm Hauptbahnhof wohnen.
Ich habe dann einmal nachgesehen, so ungefähr 300.000 Einwohnerinnen und Einwohner sind in Hamburg dazugekommen, seitdem ich hierhergezogen bin. Das sind viel mehr, als meine Heimatstadt Lübeck EinwohnerInnen hat, also mehr als ein ganzes Lübeck ist zusätzlich hier noch eingerückt, mir hinterher. Und genau so fühlt es sich auch an.
Das ist selbstverständlich keine Entwicklung, die ich zu kritisieren habe, ich bin schließlich auch neu hier, erst seit einigen Jahrzehnten in der Stadt, nicht schon seit Generationen. Die Entwicklung hat nur den seltsamen Effekt, dass ich eine gewisse Fülle auf den Straßen und Plätzen, in den S-Bahnen und Bussen, in den Läden und Restaurants usw. immer öfter falsch finde – weil ich mehr Jahre in einem deutlich leereren Hamburg verbracht habe. Es sah hier anders aus. Und in diesen Jahren war zwar nicht alles besser, aber doch immerhin so, wie es sich gehört.
Denn so funktioniert das mit dem Altern. Es ist auch ein wenig lustig und es nützt überhaupt nichts, dass man es durchschaut. Es tritt dennoch so ein und irgendwann fragt man sich vermutlich ernsthaft, ob die Butter nicht am Ende früher im Ernst besser war. Es kommt einem langsam so ein Verdacht.
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Moin Herr Buddenbohm,
das kann ich mir seeehr gut vorstellen, mit den vielen, zu vielen, Menschen.
Das war in Berlin genauso in den letzten Jahren, vor 2017, dort. Die Stadt war nicht auf die 15 Millionen Touristen jährlich vorbereitet. Und das spürte man als Berliner, dass die Verhältnisse nicht mehr stimmen. Wir haben auch direkt im Touristenzentrum, neben dem Checkpoint, gewohnt.
Wir sind nicht „nur“ umgezogen an die Schlei, wir sind auch geflüchtet.