Aperol in Hauseingängen

Weiter Sonnabend, der 3.6. Währenddessen, nur ein paar Meter weiter: Proteste gegen Vertreibung, und da ist eine ganz alltägliche Vertreibung gemeint. Eine gewöhnliche, banal erscheinende Gerechtigkeitsfrage, die im wahrsten Sinne des Wortes schon vor meiner Haustür beginnt, wer darf eigentlich wann wo sein? Es ist seltsam, nicht wahr, man macht gar nichts Besonderes und stößt überall und dauernd auf moralische Fragen und Ethikdiskussionsvorgaben, die sich wie Besinnungsaufgaben lesen. Die Zuständigkeiten und Kompetenzen St. Florians.

Man kann sich ab und zu jedenfalls wieder klarmachen, wie deutlich es etwa von Kleidung und Erscheinung abhängt, ob jemand im öffentlichen Raum, sagen wir in einem Hauseingang in einer belebten Straße sitzend, z.B. hier gleich um die Ecke, nach der öffentlichen Meinung Alkohol konsumieren darf oder nicht. Der verkrachte Mensch aus Osteuropa mit der Schnapsflasche, die Frau im Business-Outfit mit dem Feierabend-Aperol im Plastikbecher, den sie aus einer Bar geholt haben wird, sie sitzen hier in wenigen Metern Entfernung draußen herum. Äußerst klischeehaft sind die beiden, das gebe ich gerne zu, aber auch äußerst echt, das leider auch, denn genau so geht es nun einmal zu. Und die beiden wirken höchst unterschiedlich auf die Vorbeigehenden.

Und was ist, wenn man schon dabei ist, mit denen, welche man sich ungefähr in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen vorstellen kann? Es ist kompliziert.

Siehe dazu auch beim geschätzten Nils Minkmar, Die Treppe. Man muss dort nur eben die Frage ergänzen, wer da eigentlich sitzen darf, auf dieser Treppe, und schon ist man wieder im Thema.

Ein Sticker auf einem Stromkasten mit dem Text "Kopf hoch"

Ich gehe auf den Balkon, ich gucke runter auf den Spielplatz. Da sitzt einer oben auf der Rutsche. Ein Bier in der Hand, schwankend im Sitzen, stiert ins Leere oder vielleicht auch in die Vergangenheit, in der er Kind war und es noch lustig fand, oben auf Rutschen zu sitzen, zu spielen, zu toben. Er sieht hoch zu mir, er nickt mir zu, er macht eine vage Geste zur Rutsche unter ihm, hebt wie entschuldigend die Schultern, prostet mir zu, sieht dann wieder lange da hinunter.

Darf der das? Da so sitzen? Ich könnte das so weiter beschreiben, dass Sie denken, na klar, der darf das, alle dürfen das. Ich könnte andererseits auch kurz erwähnen, wo er zehn Minuten später hinpinkelt, dann dreht auch Ihre Meinung kurz ins Konservativere. Nehme ich an.

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2 Kommentare

  1. Tja, wer darf was, wann und wo? Als ich jung war hätte ich gesagt: Jeder. Darf. (fast) Alles. Wann. Wo.
    Jung bin ich nicht mehr.
    Ein weiteres Beispiel: Mein Mann und ich folgten seit je dem selbst verordneten Prinzip „niemals an einem Bettler vorbeigehen, ohne etwas zu geben“. Tja, und nun spazieren sie mal durch die Stadt Hamburg und zücken in jedem gefühlten 10 Meter Abstand ihre Geldbörse.
    Überholt die Realität den Idealismus?

    Irgendwie schade.

  2. Der Obdachlose: Auf den zeigt man in Gedanken oder tatsächlich mit dem Finger: Säufer, Alkoholiker.
    Die Business-Frau: Weiß man denn, ob sie vielleicht eine von denen ist, die in der Firma perfekt funktionieren, aber ohne den Aperol den Heimweg nicht mehr schaffen? Solche gibt es häufiger, als man denkt.
    Beide könnten alkoholkrank sein, aber wir beurteilen sie spontan meist unterschiedlich.

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