Die Madeleines des 17. Juni

Noch Weiteres zum Sonnabend, dem 17.6. Ich krebse hier weiter in der Vorwoche herum. Herr Buddenbohm ging häufig nach, so darf man irgendwann abschließend werten. Es ist in Ordnung, ich füge mich dem.

Es ist ein ehemaliger Feiertag, und Sie und ich wissen natürlich noch, warum das damals so war. Die Söhne aber wissen es nicht mehr und werden es wohl auch nicht lernen, ihre ganze Generation vermutlich nicht. Selbst wenn es im Lehrplan vorkommen sollte, was ich noch nicht weiß, wird es sie vermutlich kaum interessieren. Ist das in Sachsen oder in Brandenburg anders? Auch das weiß ich nicht. Für mich war es als Kind ein wichtiger, ein sogar sehr wichtiger Tag, aber nicht wegen der historischen Ereignisse, von denen ich ebenfalls kaum Kenntnis hatte, vielleicht auch überhaupt keine, sondern wegen des Geburtstages meiner Großmutter. Die Feste bei ihr im Garten sind für mich die Essenz der Siebziger Jahre, darin ist alles enthalten und abrufbar. Immer war es gutes Wetter, immer waren alle da, waren also so viele da, wie sonst auf keiner Feier. Die große Tafel auf dem Rasen neben dem kleinen Teich. Immer gab es Kuchen und Torten, die heute kaum noch jemand macht, Frankfurter Kranz, Bienenstich und dergleichen, Kalorien im fortgeschritten unzählbaren Bereich. Bier noch von der lokalen Marke Lück (Werbeslogan: Lück muss der Mensch haben), die es dann eine lange Zeit nicht mehr gab. Irgendwann ist sie wiederauferstanden, als Craft Beer, glaube ich. Ernte 23, Lord, Roth-Händle und Stuyvesant in den Zigarettenschachteln, die zuverlässig vor fast jedem Erwachsenen lagen. Einen Zigarettenspender gab es auch, ein Ding aus Messing, das heute längst nicht mehr in jeden gepflegten Haushalt gehört. Und immer gab es irgendwann die von meiner Großmutter, durchgesagte Marscherleichterung, woraufhin die stark schwitzenden Männer sämtlich ihre Krawatten lockerten oder ihre Jacketts ablegten. Ich habe mir als Kind nicht klargemacht, dass einige der älteren Männer früher tatsächlich marschiert sind, in Russland, Frankreich, Finnland oder wer weiß wo, man sprach ja nicht darüber.

Marscherleichterung. Ein Wort meiner Kindheit.

Meine Großmutter trug eine Kette mit einem Bernstein daran, ein Insekt war darin eingeschlossen, seit Ewigkeiten. Wenn man auf ihrem Schoß saß, konnte man sich das aus der Nähe ansehen und ich weiß, während ich das tippe, mit unheimlicher Deutlichkeit, wie sich ihr geblümtes Kleid anfühlte, Dralon oder was das damals war, knisternder Stoff. Wie ihre jederzeit dick eingefetteten Hände rochen, Atrixdosen im Regal ihres Wohnzimmers, und ich sehe auch die bunten Plastikstrippen des Stuhls, auf dem sie saß. Dieses Datum hat tatsächlich gewisse Madeleine-Qualitäten für mich. Die 17. Junis der Siebziger, die habe ich mit allem Zubehör, mit allen Gerüchen und Geschmäckern eingeschlossen im Bernstein der Erinnerung, und der zwingend dazugehörige Gelbstich, der passt gut zum Jahrzehnt.

Sonntag, der 18.6. Ich sitze im Garten auf der Hollywoodschaukel, vor mir sitzen Tauben im Gras, die Wolfgang-Koeppen-Gedenkvögel. Ringeltauben sind es, und sie sitzen da, weil sie sich ein wenig ausruhen müssen. Sie essen nämlich die gerade erst erröteten Früchte der Felsenbirne, die an einem noch jungen Busch neben ihnen wachsen. Die Zweige an dem Busch sind biegsam und dünn, die Tauben aber sind, bei allem Respekt, eher stattlich gebaut. Wenn die auf so einem elastischen Zweig landen, dann haben sie ein Sport-Erlebnis wie wir Menschen vielleicht bei Jochen Schweizer, es sieht wirklich wild aus. Aber die Früchte müssen verdammt gut sein, müssen es allemal wert sein, die Tauben bleiben nämlich dran und turnen entschlossen immer weiter. Oder, wieso sollte man das ausschließen, es macht ihnen einfach Spaß, was sie da treiben.

Man hört jetzt ansonsten weniger Vögel in den Gärten singen, es ist eine andere Phase des Sommers. Nur vereinzeltes Schimpfen, Motzen und getschilptes Anpampen aus den Hecken hören wir noch, das ewige Keckern der Elstern, zwischendurch das wüste Geläster der Krähen mit ihrer unverkennbaren Lust am Ordinären.

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Am Abend Wassermelonen-Feta-Salat mit Minze. Bis August oder bis zur Wassermelonenknappheit könnte ich das pausenlos essen. Es ist ein sehr gutes Essen, es fühlt sich gesund an, man kann vollkommen ungehemmt zuschlagen. Zumal die Söhne es nicht mögen, in dem Fall ist es ein Glück für mich, denn die Gier übermannt mich dabei leicht, gerne große Mengen davon. Ich mache da nur Limettensaft dran, man findet aber auch etliche andere Rezeptvarianten mit Honig, Pfeffer, Pinienkernen und noch anderem Zeug. Das geht sicher alles, ja, ja, das brauche ich aber nicht. Vier Zutaten, kein Kochen, fertig. Nur der Feta, der sollte besser einer sein, der auch nach Feta schmeckt, da lieber mal nicht das Billigste vom Discounter nehmen, das ist zu schwach. Und wo ich so darüber berichte– ich könnte schon wieder.

Im Bild ein Fleet auf dem Rückweg vom Garten am Abend.

Blick von einer Brücke über ein spätabendliches Fleet in Hamburg-Hamm

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3 Kommentare

  1. Als Kind war der 17. Juni mein Lieblingsfeiertag, weil es der einzige Feiertag war, an dem wir (katholisch) nicht in die Kirche mussten. Ausschlafen! Politisch hatte ich damals noch keinen Bezug dazu.

  2. Ein Feiertag war es bei uns im Osten natürlich nicht, aber auch für uns Ossis, die es damals 1953 nicht live erlebt hatten, zeigten Westradio und -fernsehen ja immer wieder den erinnernden Finger darauf. Vielleicht hat auch das einen Beitrag dazu geleistet, das wir im Herbst ´89 einen erneuten mutigen Versuch starteten.
    Ich zumindest bereue es nicht.

    Herzliche Grüße
    aus Leipzig
    Nelia

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