Sonntag, der 23. Juli, Meran. Die Autovermietung in München war umgezogen, fanden wir online heraus, freundlicherweise in eine von nur drei Straßen in München, die ich benennen und sogar vom Bahnhof aus finden kann, was für ein rettender Zufall. Natürlich war der reservierte Wagen nicht da, das passte harmonisch zum Rest des Tages und wunderte mich nicht weiter. Ich habe mittlerweile aber ein paar grundsätzliche Fragen zum Konzept „Reservierung“ auf Reisen. Es gibt einen berühmten Sketch über nicht vorhandene Autos, die reserviert wurden, ich hätte ihn dort wortgetreu aufführen können: „Kennen Sie den Sinn von Reservierungen? Darf ich Ihnen das einmal erklären?“ Man bot uns dann einen riesigen Neunsitzer als Ersatz an. Ich weigerte mich standhaft, bin ich Reisebusfahrer oder was, möchte ich etwas in Schlachtschiffgröße durch Serpentinen steuern. Schließlich gab es nach längeren Komplikationen doch noch ein deutlich kleineres Auto, das nahmen wir, das fuhren wir, nachdem wir sichergestellt hatten, dass sowohl Kinder als auch Koffer hineinpassten, wobei die vorhergehende Diskussion zwischen der Herzdame und mir, ob wir zur Not die Söhne oder das Gepäck in München zurücklassen würden, die Dame von der Autovermietung etwas irritierte.
Aus München heraus fuhren wir weiter in eine kleine Gemeinde im weiteren Umfeld der Stadt, in der wir außerordentlich gastfreundliche Verwandtschaft haben, die auch noch in schönster Lage wohnt, in Bilderbuchbayern geradezu, abzüglich der Berge. Dort blieben wir eine Nacht, und es war ganz wunderbar nett. Verwandtschaft, die wir zu selten sehen, die Distanz ist im Alltag etwas schwierig zu bewältigen. Bei anderer Planung hätten sich in München auch Blogkontakte freundlich angeboten, die ich ebenfalls gerne wiedergesehen bzw. erst kennengelernt hätte, aber das war uns diesmal nicht möglich, das Timing für alles war einfach zu eng.
Es ist ansonsten der Tag der Katastrophen-Meldungen von Rhodos. In meinen Timelines sehe ich zu meiner Überraschung reichlich sprudelnde Häme über die fliehenden Urlauberinnen dort. Es ist mir etwas unverständlich, denn meine Timelines bestehen keineswegs aus lauter Umwelt-Engelchen, die schon seit Jahren nur noch zu Fuß und emissionsfrei in den Urlaub in der eigenen Region gehen. Häme ist da keine Haltung, die weiterhilft, vermutlich bei fast gar keinem Thema. Das muss ich mir selbst allerdings auch immer wieder aufsagen, versteht sich, denn Häme ist leicht und wahnsinnig einladend, auch für mich.
Bei individuellen Umweltfragen ist es allerdings so, dass wir uns alle gemischt verhalten. Es gibt Themen, da sind wir vorbildlich, stets bemüht und gerne auch belehrend, wenn nicht sogar predigend, es gibt andere Themen, da billigen wir uns manchmal augenzwinkernd hier und da eine schelmische Ausnahme zu, und es gibt Themen, da sind wir einfach Schweine. Und auch das hat dann selbstverständlich alles seine Gründe, das legen wir uns alles schön passend zurecht und können es jederzeit erklärend aufsagen. Ich kenne niemanden, absolut niemanden, bei dem das anders ist. Der Mix ist aber bei jedem Menschen vollkommen anders, und das erschwert unsere Kommunikation doch erheblich.
2023 ist wohl der Sommer, in dem der traditionelle Tourismus einen gewaltigen Knick bekommt. Man wird neu nachdenken müssen oder wollen, wenn man etwas bucht – könnte es dort, wo ich hinwill, eine Hitzewelle geben, schwere Unwetter, Gerölllawinen, Waldbrände, sonst etwas. Viele buchen den Urlaub allerdings weit, weit im Voraus, das ist also nicht eben leicht und ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Nachrichtenlage und die Erlebnisse an der Tourismusbranche spurlos vorbeigehen wird. Und wenn man etwas weiterdenkt – nicht nur in Bezug auf den Tourismus ist das Jahr ein Knick, vermutlich auch bezogen auf andere Themen. Der Klimawandel erreicht 2023 eine vollkommen andere Ernsthaftigkeit, der Kampf dagegen oder auch die abwehrende Ignoranz der diversen Lobby-Verbände und das Anschwellen der populistischen Parteien weltweit ebenfalls. Es ist kompliziert, es ist unschön.
Auf der Autofahrt von München nach Meran sehen wir die Folgen der Unwetter am Brenner, letzte Woche erst ging es dort besonders wüst zu, ganze Hänge hat es entwaldet, wieder Bilder wie aus einem Katastrophenfilm.
Ich rede mit einem Vermieter in Südtirol, der immer wieder mit seltsam starrem Gesicht in Bezug auf die Wetterereignisse sagt: „Das bleibt jetzt alles so.“ Massentourismus und Klimawandel passen nicht zusammen, aber es gibt im Grunde nur wenige unserer althergebrachten Verhaltensweisen, die gut zum Klimawandel passen. Unser ganzer Lebensstil passt nicht mehr.
Wir hängen da jedenfalls mit drin. Wir fahren mit dem Auto durch Italien, in Italien sterben gerade Menschen während der Arbeit an der Hitze, es ist ein großes Thema in den Medien hier. Menschen fallen tot um, während sie Straßenmarkierungen auftragen oder während sie in einem Supermarktlager Waren verräumen, solche Vorkommnisse. Die brutale Hitze aus den Nachrichten ist nicht in Südtirol, wo wir gerade sind, sie ist aber auch nicht weit von hier, zwei, drei Stunden Fahrt sind es nur bis dorthin, und ich weiß im Grunde nicht, ob ich hier richtig bin. Aber nun bin ich da.
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Wir packen aus. Die Söhne gehen in den einladenden Pool, ich gehe ans Notebook, jeder macht das, bei dem er sich wohl fühlt. Also so wohl, wie man sich in diesen Zeiten eben im Urlaub fühlen kann, wenn man die Nachrichten mitbekommt und dauernd auf dem Handy neue Meldungen liest.
In der Heimat reißt Merz an diesem Tag die ohnehin nur theoretische Brandmauer ein, und ich bin gerade in einem Land, in dem die zombiehaft wiedergekehrten Faschisten schon gruselig erfolgreich sind. Wie viel History Repeating verträgt die Welt, und eigentlich wäre ich viel lieber in einem anderen Film, dieses Drehbuch ist mir etwas zu schlicht. Aber das haben manche in den letzten Zwanzigern auch gedacht, ich weiß es, ich habe es gelesen, in vielen Büchern.
Die Söhne stellen am Abend entzückt fest, dass es auch in Italien die ihnen vertraute Systemgastronomie gibt und eilen dorthin, die Herzdame und ich aber essen am Abend Pizza an einem wackeligen Stehtisch vor einem Pizzalieferdienst, direkt am Straßenrand auf dem Weg in die Innenstadt von Meran. Es ist laut, es ist etwas schäbig und die Pizza ist billig und sehr gut, so ist es hier üblich. Ich habe eine etwas seltsame Vorliebe für Imbisse im Ausland. Spaghetti wären noch etwas susiundstrolchmäßiger gewesen, aber die Pizza sah einfach besser aus.
Zurück in der Pension werden wir streng darauf hingewiesen, dass die Mülltrennung hier noch abgefahrener als in Deutschland sei, noch viel sortierter – es gibt etwa eine separate Tonne nur für Pizzakartons. Okay, denken wir, das ist tatsächlich eine Steigerung.
Es gibt, wir sehen dann interessiert nach, insgesamt acht verschiedene Tonnen mit langen Erklärungen daran, was da jeweils hineindarf und was nicht, wir stehen davor und staunen.
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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.
Die Unwetter der letzten Tage in Südtirol sind hoffentlich nicht zu sehr in der Nähe. Aber auch dies bestätigt wie sich nun alles wandelt. Einen schönen Urlaub.
Ist die Dame von der Autovermietung zufällig bei X?
Schönen Urlaub noch, ich freue mich schon auf die Urlaubstexte!