Mittwoch, der 16. August. In den Morgenmedien die Cannabis-Debatte. Ich weiß, einige finden Cannabis entspannend, aber vielleicht ist es sogar noch entspannender, wenn einem die ganze Diskussion ums Thema vollkommen egal ist.
Im Laufe des Tages wird dazu erfolgreich irgendwas beschlossen, ich verfolge es mit nur geringer Aufmerksamkeit. In meinem Alltag kommt Cannabis kaum vor, im Freundeskreis wird es eher nicht konsumiert, was sicher sehr zufallsabhängig ist. Nur die altersgerecht nächtelang herumhängenden Jugendlichen vor der Haustür geben sich damit häufig ab, zumindest dem Geruch nach zu urteilen. Ich meine hier nicht die hauseigenen Jugendlichen, das muss ich vielleicht klarstellen, es sind andere, vor der Tür war immer schon ein Sammelpunkt für sie, denn es gibt eine Überdachung und einen kleinen Vorsprung bei den Schaufenstern, auf dem man gut sitzen kann. Dabei kiffen sie nicht nur, sie trinken auch Energy Drinks, Wodka, Jägermeister oder Rum, man sichert sich in Sachen Rausch hier gerne doppelt ab. Ich sehe am Morgen oft die leeren Flaschen oder die Scherben dort liegen. Interessanterweise ist kaum je Bier dabei, da hat sich doch etwas eindeutig verschoben in den letzten Jahrzehnten. Wir hätten damals noch routinemäßig Sixpacks oder Dosenpaletten geleert, das war so der Standard, denn wir hatten ja nichts. Jägermeister war, wenn ich mich richtig erinnere, zu meiner Zeit noch ein Seniorengetränk und Rum kam damals nur im Winter in den Grog, Energy Drinks mussten erst noch erfunden werden.
Ich kann bei diesem Thema bisher keine Weltverschlechterung feststellen, im Gegenteil. Wir, also meine Generation, aus meiner Gegend da, wir haben wesentlich mehr gesoffen und geraucht, fast dramatisch mehr, und wir haben auch viel früher damit angefangen. Ich habe von etwa zwölf bis achtzehn vieles gemacht, das ich mir bei den Söhnen lieber nicht vorstellen mag. Ich war, wenn ich es aus heutiger Sicht als Vater betrachte, ein Anlass zur Sorge, und zwar ein erheblicher, und ich war dabei normal und kein auffälliger Teenager in meinen Kreisen, andere waren mir weit, weit voraus. Was meine Stichprobe angeht, und ich weiß, dass man das nicht verallgemeinern kann, war es damals übler, nennenswert übler als heute. Meine Söhne sind im Vergleich zu mir und meiner Jugend besonnen und sortiert, und das ist eine Aussage, die ich mir manchmal deutlich vorbeten muss, denn selbstverständlich gibt es auch heute Eskapaden und wilde Szenen, auch solche, die mir zu viel sind. Dann immer wieder denken: Ich war schlimmer. Das hilft.
Im Bild herumhängende Menschen vor Alsterfontäne. Schlimme Zustände überall.
Ansonsten gibt es an diesem Tag neue Hitzerekorde in der Türkei. Und morgen gibt es sie dann in einem anderen Land, und immer so weiter.
Office-Office. Besorgungen für meine Mutter, Haushaltsaufgaben und Einkauferei, alles ist heute wenig unterhaltsam, kaum beschreibbar und äußerst gering interessant. „Ich tu so vor mich hin, Post und Erledigungen. Es ist alles ziemlich belanglos.“ Ingeborg Bachmann an Max Frisch, 5.12.1962, Uetikon.
Die Herzdame versucht währenddessen, aus Dortmund zurückzukommen, was wegen einer Streckensperrung nicht eben einfach ist. Ich erfahre außerdem, dass sie demnächst eine Dienstreise nach Ulm vor sich hat und überlege, was ich über Ulm weiß. Ich glaube, es ist fast nichts. Ich war nie dort, ich könnte es auf einer leeren Deutschlandkarte auch nicht zielsicher einzeichnen, es ist alles etwas peinlich.
Na, die Herzdame kann mich nach ihrer Reise ja fortbilden.
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Nach der Arbeit im Home-Office fahre ich ins Büro, was zugegebenermaßen etwas widersinnig klingt. Allerdings ist im Büro Post für mich gekommen, und die Neugier ist stark in mir, sehr stark. Post kann also nicht warten bis morgen, nein. Es ist dann erfreuliche Post, die Gesamtausgabe der Briefe von Charles Bukowski, ein Lesergeschenk, nur noch antiquarisch verfügbar. Ich werde die Bukowski-Briefe vermutlich direkt nach den Bachmann-Frisch-Briefen lesen, das ist dann ein dermaßen abrupter Wechsel der Stilrichtung und des Inhalts, das hält das Hirn beweglich. Hoffe ich.
Dem Buch lag noch ein freundlicher Brief bei, ich danke herzlich! Post zu bekommen kann auch schön sein, ich vergesse das manchmal, wenn zu lange nur Post von Behörden, Krankenkassen oder werbenden Textilkaufhäusern kommt. Ich sehe meist nicht gerne in den Briefkasten, es sind nur Belästigungen und To-Dos darin zu finden. Im Schreiben wurde bei aller Freundlichkeit auch Kritik geäußert, Kritik an meinem 7-Tage-Rückstand nämlich, und wohl begründet, abgerundet mit der Bitte, doch bald wieder aufzuholen. Und ich denke, das gibt sich in Kürze von selbst, dem wird also vermutlich stattgegeben, denn wenn die Ferien vorbei sind und alle Routinen des beinharten Alltags hier wieder greifen, auch die unerfreulichen, werden fast unweigerlich die eher unblogbaren Themen und Probleme das hier Beschreibbare deutlich eingrenzen. Es wird wieder Tage geben, die keinen oder kaum Inhalt für diese Seite hergeben werden. Wind von vorne, wie der olle Kempowski gesagt hätte.
Noch einmal, vielen Dank für Brief und Päckchen!
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Mich hat es auch irritiert, dass Jugendliche das Seniorengetränk Jägermeister trinken. Jetzt kann ich mir also überlegen, ob ich zu alt oder zu jung dafür bin.
Und ja – immer mal an die eigenen Eskapaden denken ist sehr hilfreich im Umgang mit der nächsten Generation! Da sind sehr viele sehr tolle Menschen dabei.