Und dann steht man da und wundert sich

Bei meiner Mutter ging der hochbetagte Fernseher kaputt, ich bestellte ohne große Recherche einen neuen. Ich habe mich nicht erst lange informiert, denn ich verstehe von Fernsehern überhaupt nichts und sie interessieren mich auch nicht. Selbst sehe ich nicht fern und hatte keine Zeit und auch keine Lust, mich da erst mühsam einzuarbeiten. Ich wollte nicht vergleichend Spezifikationen nachlesen, bei denen ich nicht einmal die Messgröße und die Sollwerte kenne.

Ich wusste nur, wie groß das Gerät sein sollte. Der Rest, so dachte und hoffte ich, würde dann schon irgendwie funktionieren, wenn ich einfach das Nächstbeste nehme. Sie werden doch wohl alle können, was sie sollen, diese Fernseher heutzutage. Es ging immerhin nicht um „smart“ und tausend Apps und zuschaltbare Streamingdienste, es ging nur um simples Kabelfernsehen. Die Standardlösung, wie früher. Und es war eilig, der Fernseher wurde dringend gebraucht, denn das Gerät muss, wie bei vielen älteren Menschen, oft laufen. Vermutlich würde es mir ohne Internet auch so gehen, ich will das nicht bewerten.

Und es war dann so: Der neue Fernseher war erstaunlich günstig, ich hatte mit einem viel höheren Preis gerechnet. Ich lag vollkommen falsch in meiner Erwartung. Er wurde schon am Tag nach der Bestellung geliefert, pünktlich und freundlich. Ich bin zu meiner Mutter gegangen, habe ihn ausgepackt, den Fuß an den Bildschirm geschraubt, alles aufgebaut, eingestöpselt und eingeschaltet. Ich habe das Gerät in etwa zehn Minuten fertig eingerichtet. Das Menü war verständlich, und dann lief auch schon alles. Es lagen sogar passende Batterien für die Fernsteuerung in der Sendung, und die tat dann auch, was sie sollte.

Meine Mutter und ich standen etwas verblüfft vor dem neuen Bildschirm, auf dem irgendwas im Nachmittagsprogramm lief. Bestes Bild, bester Ton.

Wir hatten das nicht erwartet. Das ist das Interessante daran, finde ich. Wir rechneten beide nicht mit einem gut laufenden Vorgang, mit Reibungslosigkeit und Einfachheit, und zwar rechneten wir nicht im Entferntesten damit. Nicht bei der Bestellung, auch nicht bei der Lieferung, schon gar nicht bei der Inbetriebnahme. Und da kann man einmal sehen, dachte ich, wie selten so etwas geworden ist.

Es ist aber selbstverständlich schwer zu messen, ob und in welchem Ausmaß man da richtig liegt. Ob es mittlerweile ernsthaft und statistisch greifbar weniger gut laufende Prozesse und Dinge gibt als in irgendeinem schwer abzugrenzenden Früher, oder ob es doch eher eine Stimmungs- oder sogar Alterssache ist, ein Wahrnehmungsproblem. Ein vielleicht längst kollektiv gewordener Shift ins Pessimistische und Skeptische, der uns das alles so empfinden und immer wieder erwarten lässt. Mit einem nicht eben geringen Anteil von Self-Fulfilling-Prophecy. Man kann es kaum sachlich richtig auszählen.

Vor allem hätte man schon früher alles zählen müssen, um korrekt vergleichen zu können. Man hätte stets das mitzählen müssen, was gut war und uns nicht gestört hat, was vollkommen glatt lief. Und das macht niemand. Noch einmal das passende Knef-Zitat, ich hatte es neulich schon: „Dass es gut war, wie es war, das weiß man hinterher, dass es schlecht ist, wie es ist, das weiß man gleich.“ (Aus dem Lied „17 Millimeter fehlten mir zum Glück“, hier bei Youtube, auch so ein Lieblingslied)

Man kommt da also nicht recht zum Schluss. Man verbleibt bei einem Verdacht und einem merkwürdig sicheren Gefühl, dass es insgesamt eher abwärts geht. Quasi mit allem. Mit uns, mit dem Land, mit der Gesellschaft.

Und man stellt nur nebenbei fest: Ab und zu läuft doch etwas gut. Und dann steht man da und wundert sich.

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6 Kommentare

  1. Ich lebe als Nachkriegsgeborene seit 78 Jahren in diesem Land und bin meinem Schicksal dafür unendlich dankbar. Als weiblicher Mensch noch besonders. Unsere Demokratie hat sich auf allen Ebenen permanent weiter entwickelt, wer allerdings Perfektion erwartet, ist auf dem falschen Dampfer: arbeiten und kämpfen für Freiheit und Fortschritt hört niemals auf.
    So hat mir Ihr heutiger Text sehr wohl getan, der den Blick auf das Positive gerichtet hat. Und wenn es nur um kleine Normalität geht. Mitunter ist es kaum zu ertragen, dass alles immer nur nieder gemacht wird und sich damit eine völlig unangemessene Untergangsstimmung ausbreitet.

  2. Es ist schon erstaunlich, wie dankbar und überrascht man ist, wenn Dinge auf Anhieb und sogar dauerhaft gut klappen. Herzlichen Glückwunsch für den geradezu inuitiv preiswerten und guten Kauf des neuen Fernsehers. Man muss sich reduzieren können, bei solchen Anschaffungen. Das muss gelernt sein. Bei meiner Mutter im Altersheim hat es zwei Fernseher und 3 Monate gedauert, bis das Ding endlich lief.
    Ich fühlte mich so dankbar gegenüber einer Stadtsparkassen Filiale in München (5km) vom Laden entfernt, dessen Münzrollenautomat bis auf einen Ausfall seit Monaten funktioniert, daß ich demütig dem Sparkassenfilialleiter eine email schrieb und ihn über den Klee lobte! Man muss dankbar sein, in diesen Zeiten. Seltsamerweise machen die kleinen Dinge einen sehr glücklich. Und, wenn ich schonmal beim Loben bin, Ihre Blogeinträge sind extrem inspirierend, auch was Literatur angeht, auf was Sie kommen, wiewohl diese Titel in kaum einer Buchhandlung mehr zu finden sind, weil Klassiker. So auch nicht bei mir in der Buchhandlung in München. Aber eine private Liste ist bereits angelegt. Wünsche einen guten Restsonntag,

  3. Treffendes Zitat – so ist es wohl.

    Dienstag habe ich den Maler angerufen, Donnerstag war er fürs Angebot im Haus und jetzt in diesem Moment werden die Wände frisch gestrichen. Dass ist auch schön.

  4. Da wunder man sich in der Tat sehr. Als bei der Mutter eines Freundes das Gerät einen plötzliche und unerwarteten Tod starb, war er die nächsten zwei Tage komplett von der Bildfläche verschwunden. Wobei uns das ehrlich gesagt mehr gewundert hat, hätten wir doch einen Ablauf, wie oben so schön beschrieben, erwartet.

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