Pano

Jemand spricht mich in fremder Sprache auf der Straße an, ich komme gerade aus dem Supermarkt. Ein Mann etwa in meinem Alter, mit etwas verwirrtem Blick und offensichtlich in Eile, wenn nicht schon in Hektik. Er will vermutlich einen Weg wissen, das kommt hier manchmal vor. Nicht mehr so oft wie früher, es haben alle Navigations-Apps auf dem Handy, aber noch ab und zu.

Der Mann sagt allerdings komplett unverständliche Sätze in einer Sprache, die ich nicht recht einsortieren kann. Ungefähre Richtung Südosteuropa wäre mein erster vager Tipp. Mehrfach sagt er „Pano.“ Und guckt mich dabei hoffnungsvoll an. Er sagt, mit beiden Händen Abwehr gestikulierend, „No English“, und dass er kein Deutsch kann, das ist eh schon klar.

Was aber ist Pano? Ich gucke kurz irritiert und schalte nicht eben bemerkenswert schnell. Er formt mit Mühe und unter erheblichem Muskeleinsatz um den Mund herum aus dem Pano ein „Pannof“, so dass ich endlich erfolgreich Bahnhof raten kann, so dass ich ihm jetzt auch mit der Hand die Richtung weisen kann. Der Weg von hier aus ist einfach, immer geradeaus.

Es ist manchmal schön, jemandem den Weg zeigen zu können. Eine simple Freude, gelungene Kommunikation und Interaktion, sogar über sprachliche Hürden hinweg.

Denke ich mir so. Und es ist wohl etwas schade, dass wir das nur noch selten können oder müssen. Noch ein Thema, bei dem Menschen immer weniger mit Menschen zu tun haben, und es gibt doch entschieden zu viele solcher Themen. Dieser Mann in der Fremde jedenfalls freut sich jetzt sichtlich, womöglich ist er vor mir an anderen Passanten gescheitert, das kommt mir wahrscheinlich vor. So sehr freut er sich, so sehr strahlt er, für einen Moment fürchte ich, dass er mich umarmen möchte.

Aber er hat sich dann doch im Griff und geht schnell weiter, auf die Uhr sehend, Richtung Pano. Ein paar Schritte geht er, dann fängt er an zu laufen. Wer weiß, vielleicht bekommt er seinen Zug noch eben in letzter Minute und ich bin damit ein Teil, ein winziger Teil irgendeiner Geschichte. Ich habe es wieder einmal zur Nebenfigur gebracht, wofür man in aller Regel aus dem Haus gehen muss. Das gelegentlich als Motivation im Alltag mitdenken.

Der Schriftzug "Komm raus" auf einer Wand an einem Treppenaufgang vor einem Haus

Oder, nehmen wir es ein wenig romantischer, er holt sie gerade noch rechtzeitig am Bahnsteig ab, an dem sie in diesen Minuten die letzte Hoffnung verlor, dass er noch wie verabredet auftauchen könnte. Oder ist das bereits Kitsch. Egal, nichts ist so kitschig wie die Wirklichkeit. Ich kann mir das ruhig so vorstellen, beschließe ich. Dann wirkt mein Anteil daran gleich noch ein wenig netter, am Ende habe ich das nächste Kapitel überhaupt erst ermöglicht. Man kann jetzt umblättern, und das nächste Kapitel beginnt dann erfreulicherweise mit einem Plural: „Sie gingen“ oder dergleichen. „Als sie am nächsten Morgen aufwachten …“

Weil ich ihm den Weg gezeigt habe, nicht wahr. Ich habe Anteil. Und wer läuft nicht gerne zumindest als Kleinstrolle durch Liebesgeschichten.

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7 Kommentare

  1. Er hasste diese Stadt. Er hasste sein ganzes Dasein, aber gerade jetzt hasste er diese Stadt. Die Nacht hier war schon Mist gewesen: in dem verdammten Lagerhaus hatte er kaum ein Auge zu bekommen, weil ständig irgendein Transporter Krach gemacht hatte. Und nun war er spät dran. Er musste seinen Auftrag erledigen, sonst war er geliefert. Aber dazu musste er erst mal zum Bahnhof – er kannte die verdammte Stadt nicht und nicht einmal ihre Sprache. Immerhin konnte er einem etwas begriffsstutzigen Einheimischen klarmachen wo er hin wollte und war nun fast am Ziel!
    Nur noch den Bahnsteig runter und die Person ausfindig machen. Das könnte noch knapp werden – die S-Bahn ist schon angekündigt.
    Aber er hat Glück und findet schnell, wen er gesucht hat – manchmal läuft es halt doch für ihn. Die S-Bahn fährt ein und in dem Gedränge hat keiner seinen Schubs bemerkt. Naja, einer natürlich schon, aber nur kurz.
    Sein Chef wird zufrieden sein.

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