Von Schnecken und Menschen

Am Sonntagabend der Biden-Rückzug und ich stelle bei der Gelegenheit wieder etwas fest, und gar nicht mal gerne. Denn während ich jahrelang bei solchen Ereignissen den Abend in den Timelines Reaktionen mitgelesen und dort alle relevanten Links und Kommentare kundiger Menschen zuverlässig serviert bekommen habe, kommt es mir heute dort deutlich verändert vor. So viele eher, nun ja, altkluge Bemerkungen, das Wort trifft es leider, so viele Anmerkungen nach Art der Kalenderweisheiten auch. Dazu matte Scherze, substanzlose Prophezeiungen, Unkenrufe aller Art … und wenig Links zu guten Quellen. Entweder es hat sich tatsächlich nach Twitter etwas verändert, oder ich habe es früher nur nicht bemerkt. Ich weiß gar nicht, welche Möglichkeit ich schlimmer finden soll.

Am Ende wird die Erklärung wieder nur sein, dass wir alle älter werden. Und warum sollten wir dabei besser werden. Das haben wir an den Generationen vor uns auch nicht so beobachtet, nicht wahr. Man peilt Waldorf und Statler an, muss dabei aber bedenken, dass es junge Menschen waren, die ihre Pointen geschrieben haben.

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Die Herzdame ist aus Berlin zurück. Das war ihre letzte Station, sie kam in einem pünktlichen Zug wieder in Hamburg an. Dem Chaos im Hauptbahnhof nach zu urteilen war es der einzige pünktliche Zug weit und breit, ein seltenes Glück. Der Bahnhof war am Sonntagnachmittag unfassbar voll, wie immer zur besten Reisezeit. So viele Menschen mit teils monströsen Gepäckmengen, wahre Berge von Zeug. Wie auch immer das alles in überfüllte Züge passen sollte, man bekam schon im Vorbeigehen erhebliche Zweifel.

Auf den Gesichtern in der Wandelhalle und an den Bahnsteigen war deutlich zu sehen, dass nach drei Tage Hitze und immer noch weiter steigenden Temperaturen sogar der große und so überaus meinungsstarke Freundeskreis Sommerwetter allmählich stimmungsmäßig und körperlich nachgab. All die ungesund aussehenden roten Flecken auf der Haut, dazu die durchgeschwitzt nasse Kleidung, der von jedem Menschen tropfende Schweiß, die glasigen Blicke, der hier und da versagende Kreislauf, das Japsen, das stöhnende, ächzende Stehenbleiben.

Mehrere bereits umgekippte Personen gleich auf einen Blick im Bahnhofsgewirr. Dienstbeflissene Sanitäterinnen, herbeieilendes Aufsichtspersonal, selbst fast eingehend in den Dienstklamotten – also man konnte deutlich sehen, dass Hitze, wahre Hitze kein Spaß ist. Eher eine Bedrohung.

Eine Luft wie geschmolzene Butter, dazu allmählich gelblicher werdendes Licht. Die schon den ganzen Tag erwarteten Unwetterwarnungen auf den Smartphones, eine nach der anderen, pingpingping, eine Unzahl. Und das Gewitter, die Gewitter zogen dann über Stunden langsam, quälend langsam die Elbe entlang von Niedersachsen heran.

Ich sah gerade aus einem Dachfenster, als der erste Windstoß des deutlichen Wetterumschwungs ums Hotel nebenan geschossen kam, unerwartet schnell und erstaunlich ruppig. Der knallte mir das hochgeklappte Fenster mit einer solch rüpelhaften Verve auf den Kopf, dass ich erst nicht wusste, ob ich am anderen Alsterufer die ersten Blitze über Harvestehude oder doch nur aufschlagbedingte Sterne sah.

Mit Beule in die nächste Woche, so wirkt das Wetter nach und man erinnert sich besser.

Als es dann regnete, als es endlich viel regnete, wenn auch von Starkregen diesmal keine Rede sein konnte, kamen ringsum nach und nach immer mehr Menschen auf die Balkone und an die Fenster, leicht oder kaum bekleidet. Sie atmeten gierig die frischer werdende Luft und steckten die Köpfe in den Regen, hielten auch in kindlich anmutender Begeisterung Hände in die Tropfen. Wie Schnecken von der Feuchtigkeit belebt und ermuntert.

Sie winkten sich manchmal sogar zu, diese Menschen im Regen, von Balkon zu Balkon und zu Fenster, ein eher ungewohnter sozialer Überschwang in dieser Stadt. Man grüßte sich durch die allgemeine und hochwillkommene Erfrischung. Und unten auf der Straße gingen welche ohne Schirm und alles, die ihren Schritt dennoch nicht beschleunigten, trotz des Wolkenbruchs. Die nur wehrlos nass und nasser wurden, wie unter ihrer Dusche zuhause.

Und wenn man so etwas sieht, dann weiß man, es war längere Zeit viel zu warm in der Stadt.

Ein Aufkleber an einem Verkehrsschildmast: "FCKAFD", im Hintergrund unscharf eine leere Straße

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