Das Bastel-Abteil im Freizeit-Express

Update Klimawandel im Alltag: Es gibt immer mehr gefälschtes Olivenöl.

Passend dazu gehört: Algenblüten weltweit – Symptom einer Erd-Krise. Interessanter, als es vielleicht zunächst klingt. Allerdings auch apokalyptischer.

Außerdem noch: Die Nordsee ist so warm wie nie. Auch für den Freundeskreis Inseln und Küste lehrreich.

Im Feuilletonteil des Tages gehört: Ein Kalenderblatt zur Verlorenen Ehre der Katharina Blum von Heinrich Böll.

Schließlich angefangen, die Sendung ist etwas umfangreicher: Eine Lange Nacht zu Erich Kästner.

Gelesen: Es werden die Hundstage erklärt, die Canicule. Getippt bei 34 Grad, es passt schon.

Ich lese ansonsten in den Erinnerungen der Vicki Baum, Es war alles ganz anders, und das ist angenehm geeignete Urlaubslektüre, ich dachte es mir. Sie erzählt gut, wen könnte es überraschen.

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Das Dumme an Urlauben und Reiserei für schreibende Menschen ist natürlich, dass man dabei unwillkürlich noch mehr aufpasst, noch mehr Eindrücke aufnimmt und auf noch mehr Gedanken kommt. Das zu Beschreibende sprengt bald jedes Format, wuchert vor sich hin und dehnt sich absurd aus. Irrwitzige Ausmaße der Randaspektverästelungen gilt es abzubilden oder irgendwo zu kappen. Kill your darlings etc., Sie kennen das.

Mein schönstes Ferienerlebnis, Band 1 von 50, enthaltend lediglich den Weg zum Bahnhof.

Egal, wo war ich. Der Zug war pünktlich, das war die erste angenehme Überraschung auf unserer Reise. Die Reservierungen waren allerdings hinfällig, es war ein Zug anderer Baureihe. Eine dieser fatalen Standarddurchsagen, die man nicht gerne hört. Ein zwar ärgerliches, aber noch hinnehmbares Problem, besonders wenn man erfolgreich einen Platz gefunden und verteidigt hat. Und immer ist diese Situation auch eine interessante Sozialstudie:

„Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
Sich alle Bande frommer Scheu,
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frei.“

Auch Schiller passt noch hier und da in den Alltag.

Im gefundenen Abteil sitzen dann neben uns freundliche Swifties, besinnlich an ihren bunten Armbändern mit den kennzeichnenden Buchstabenelementen bastelnd. Auf dem Weg zum Konzert in München sind sie selbstverständlich, und also mitschuldig daran, dass unser Hotel für eine Nacht dort dezent überteuert ist. Anlässlich des Auftritts von Taylor Swift wird eine Steigerung der Hotelbuchungen um 600 Prozent in der Stadt verzeichnet. Im normalerweise nicht ganz so intensiv bereisten Gelsenkirchen waren es stolze 7000 Prozent.

Sie sitzen da also und basteln, diese Fans, und sie freuen sich unübersehbar auf das Konzert. In den anderen Abteilen, in den Großraumwagen und auch auf den Gängen sieht man Ähnliches und hat bald schon eine Ahnung: Es müssen wirklich verdammt viele sein. Eine Ahnung, die sich später in München deutlich bestätigen wird.

Während ich in Hamburg nur zwei klar als solche erkennbaren Fans bei uns im Stadtteil sah, sind es im Süden Hunderte, wenn nicht Tausende, sie sind überall in der Stadt und sie sind unübersehbar. Sie haben vielleicht die beeindruckenden Bilder der Fanmassen vor dem Stadion auf dem Olympiaberg gesehen. Das hatte alles gewaltige Ausmaße dort.

Aber ich schweife ab, noch sitzen wir im Zug. Die Herzdame holt Panzerfolie aus ihrem Gepäck und verarztet damit das angeschlagene Handy eines Sohnes. Das passt äußerst harmonisch zum Kunsthandwerk der vielen Swifties um uns herum. Ich sitze offensichtlich in einem Bastel-Abteil im Freizeit-Express.

Und damit nicht genug, denn Sohn I, der seit einiger Zeit seine Klamotten selbst umarbeitet, verziert, ändert etc. holt auch noch sein Nähzeug heraus. Jetzt sieht die Szenerie im Abteil endgültig aus wie in einem Sketch. Es ist ein mobiler DIY-Workshop, wie die junge Frau mit den vielen Armbändern neben mir zufrieden lächelnd befindet.

Nur Sohn II und ich wirken noch etwas deplatziert dort, ganz ohne Beschäftigung der Hände. Lediglich auf unsere Handys sehend, wie Menschen ohne interessante Hobbys.

Sohn I hatte sich vorgenommen, im Zug weiter entspannt und womöglich stundenlang an einer Hose zu arbeiten. Er hat alles dafür Notwendige dabei und nach München braucht man immerhin eine Weile, es war ein guter Plan. Und es passieren dann in den nächsten Minuten interessante Dinge in seinem Gesicht, die ein wenig an die mimischen Künste von Stan Laurel erinnern. Er merkt nämlich in sicher hitzebedingt reduzierter Denkgeschwindigkeit, unsere glühende Dachgeschosswohnung macht uns stets etwas dümmer im Sommer, dass er gar nicht an dieser Hose arbeiten kann: Er hat sie an.

Es erheitert mich bis weit hinter Hannover. Und so etwas muss man in diesen Zeiten auch ausreichend wertschätzen.

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5 Kommentare

  1. You made my day 🙂 Köstliche Beschreibung. Stelle mir als Bastelfan vor, wie es wäre, wenn es in jedem Zug dauerhaft ein Bastelabteil gäbe. Ein Traum. Und wie kommunikativ das wäre. Schöne und erholsame Ferien weiterhin.

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