Bis einer heult

Nun zum weniger erfreulichen Teil des Urlaubs, der sich als unerwarteter Rückgriff auf die Familienbloggerei gestalten lässt.

Die Söhne sind selbstverständlich stundenlang im Pool an der Ferienwohnung. Die Söhne schwimmen, tauchen und toben darin herum, wie früher, als sie kleiner waren. Es spritzt so, dass der Wasserstand im Becken irgendwann sinken wird, denke ich.

Ein tauchender Sohn im Pool, von oben fotografiert

Man kann bei diesem Hochsommerwetter kaum auf eine bessere Beschäftigung kommen, als im Wasser zu bleiben und sich dort zu verausgaben, bis schon wieder Hunger auf die nächste Pizza entsteht. Zumindest nicht, wenn man noch jung ist, ausgeprägt bewegungsfähig und dem Sport zugeneigt. Das ist der Grund, warum wir immer Wohnungen mit Pool buchen. In meinem Alter fallen mir mittlerweile andere Interessen auch an heißen Tagen ein, etwa im so umfangreichen und mir zusagenden Zeno Cosini von Italo Svevo ein, zwei Kapitel irgendwo im Schatten weiterzulesen. Aber das ist die Normalverteilung in der Welt, das gehört so.

Die Söhne ringen im Wasser miteinander, auch unter Wasser, und ich komme nach einer Weile auf einen Gedanken, den ich lange nicht mehr hatte, seit Jahren nicht: „Bis einer heult.“ Auf einmal steigt die Erinnerung daran hoch, wie oft wir das als Eltern früher gedacht und vermutlich auch gesagt haben. Es war einer der anstrengenderen Aspekte der frühen Kindheit. Eskalationen ständig kommen sehen, als sei man hellseherisch begabt, sie manchmal sogar auf die Minute abschätzen können – alle Eltern können das. Es ist eine Fähigkeit, die einem so zuwächst, wenn man Kinder bekommt, man muss nichts dafür tun.

Es ist außerdem eine Fahrradfahrfähigkeit, also eine, die man nicht leicht verlernt, auch nach langer Zeit nicht. Man sieht tobende Kinder und weiß Bescheid, diesmal passiert nichts, diesmal passiert gleich etwas. Ich könnte Geld auf das Ergebnis setzen, ich würde viel gewinnen. Wie ich kurz darauf merke, denn es passiert tatsächlich etwas, kaum dass ich diesen Satz gedacht habe. Ein Sohn macht den anderen gründlich kaputt, der Spaß ist vorbei. So erwartbar passiert es, wie es immer schon gewesen ist, und wie es bei uns aber seit ich weiß nicht wann nicht mehr vorkam. Es lag schon nicht mehr in meinen Erwartungen, wofür man prompt bestraft wird, schon klar.

Das Knie des einen Sohnes dengelt jedenfalls mit erheblicher Kraft an das Ohr des anderen Sohnes. Unabsichtlich immerhin. Wofür man dann schon dankbar ist, wie mir ebenfalls wieder einfällt.

Das Ohr tut erheblich weh, es scheint etwas ernster zu sein. Es schmerzt im weiteren Verlauf so, dass wir nach ein wenig Wartezeit erst ahnen und bald auch wissen, dies ist ein Fall für medizinische Betreuung. Ich googele und diagnostiziere ebenso laienhaft wie zutreffend die Art der Verletzung. Es wird besser sein, den Sohn einem Menschen mit Fachausbildung und besonderen Geräten vorzuführen, das lese ich auch.

Wir suchen eine Praxis in Kaltern. Wie schön, dass auch so etwas über Navigations-Apps funktioniert, mit korrekt angezeigten Öffnungszeiten, Rezensionen und allem, es ist heute wirklich einfach. Allerdings kümmert sich die überaus schnell gefundene Ärztin nicht um Unfälle und verweist auf das große Krankenhaus in Bozen.

Womit dann gegen Ende der Kindheitsphase doch noch das eintritt, was wir jahrelang befürchtet haben, nämlich ein medizinischer Ernstfall bei einem Sohn im Ausland. Irgendwas ist eben immer, wie sich erneut zeigt.

Wir steigen in den Mietwagen, fahren nach Bozen und machen dort immerhin gute, wenn nicht beste Erfahrungen. Es ist alles hervorragend ausgeschildert und schon die Aufnahme im Krankenhaus geht schnell und ist kein großer Verwaltungsakt, wie ich angenommen hatte. Noch einmal ein großes Lob der EU-Nähe unserer Staaten, was für eine Vereinfachung. Die Menschen in der Klinik sind so nett und entspannt, dass wir es kaum glauben können. Es wirkt außerdem alles fast verdächtig gut und geräuschlos, geschmeidig organisiert … als sollte uns einmal gründlich vorgeführt werden, wie mangelhaft und stressig es im Vergleich dazu in den uns bekannten deutschen Krankenhäusern zugeht. Mit denen wir in der früheren Kindheit der Söhne nicht eben die besten Erfahrungen gemacht haben.

Aber diese Klinik in Bozen – entweder ist es der Zufallsfaktor eines extremen Glückstages oder sie sind dort wirklich so gut organisiert. Ich kann es nicht wissen und die Einheimischen sind, als ich davon erzähle, eher skeptisch und winken lächelnd und vermutlich auch wissend an. Sie werden gewiss Gründe dafür haben, aber wir können, warum auch immer, zufrieden eine eher positive Erfahrung mitnehmen. Also positiv für eine so schlechte Veranlassung.

Eine Erfahrung, die uns fast einen Tag der nicht eben langen Reise kostet. Was ärgerlich ist, aber im Ergebnis immerhin so beruhigend ausfällt, wie man es sich nur wünschen kann.

Kein großes Drama, das alles, so lautet das Resultat der Untersuchungen. Aber es ist doch gut, dass wir dort gewesen sind, wird uns freundlich und mehrfach bestätigt. Nun wissen wir also, wie dass geht, diese Sache mit Krankheit oder Unfall im Ausland.

Immerhin also wieder etwas gelernt. Auch die wunderbare italienische Vokabel Otorinolaringoiatria. Lange sitze ich vor diesem Wort auf dem Schild an einer Rezeption in der Fachabteilung und finde es sehr faszinierend. Ich sehe die Aussprache des Wortes online nach und spreche es leise nach, gleich mehrfach. Ich versuche konzentriert, mir Begriff, Schreibweise und Aussprache zu merken, ich habe in dieser Stunde da auch keine bessere Beschäftigung. Es fällt mir aber erstaunlich schwer.

Irgendwann kann ich es endlich, ohne noch einmal nachzusehen. Und ich hoffe, dass es sich dabei um in der Zukunft vollkommen nutzloses Wissen handelt.

Zurück in die Ferienwohnung, es ist noch Abend übrig.

Eine altmodische Uhr an einem Juwliergeschäft in Kaltern, darunter der Schriftzug "Gebr. Grattl" in ebenfalls alter Typo, geschwungene Schreibschrift

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3 Kommentare

  1. Ich habe ebenfalls „positive“ Erinnerungen an das Krankenhaus in Bozen. Ich war im Winter dort – 2010 – war am Ende einer Schneeschuhwanderung ausgerutscht und hatte erhebliche Schmerzen im linken Sprunggelenk, dachte an eine Zerrung… Ich war natürlich nur einer von vielen lädierten Winter“sportlern“, die auf irgendeine Untersuchung oder Behandlung wartete. Aber es war genauso, wie hier beschrieben: entspannt und sehr gut organisiert. Unvergessen das ärztliche Fazit: „Isch kaputt“. Bezahlt habe ich dort dann nur 20€ Pfand für ein paar Krücken 🙂

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