Am Mittwoch dann der Geburtstag des zweiten Sohnes. Während des morgendlichen Auspustens der Kerzen auf dem Kuchen gibt es draußen Donner, Blitze in schneller Folge und heftige Regengüsse. Es ist quasi ein kleines Starkregenereignis, gleichzeitig sehen wir aber auch Sonnenschein vor den hinteren Fenstern und also einen fantastischen Regenbogen als Sondergabe für den Teenager. Der sich zu früher Uhrzeit für Naturschönheiten aber nur mäßig interessiert.
Vermutlich, nein, sicherlich sogar ist es der wärmste Geburtstag, den der Sohn bisher hatte. Es ist schon am frühen Morgen vollkommen klar, dass es ein weiterer absurder Hitzetag werden wird. Ein Gewitter am Geburtstag haben wir ebenfalls noch nie gehabt, es ist also ein Tag mit mehreren Premieren. Aber der Sohn ist auch noch nie vorher 15 geworden.
15 und 17 sind die Altersstufen der Söhne jetzt. Es lungert eine Gang in dieser Wohnung, besonders wenn sie Besuch haben, was aus ihrer Sicht erfreulich oft der Fall ist. Ich habe häufig keine Ahnung, wie viele Personen gerade in der Wohnung sind, man verliert da schnell den Überblick. Herumhängende Jugendliche, wir hatten das Thema schon einmal.
Egal, die Sachen im Kühlschrank kann man jedenfalls zählen und regelmäßig nachfüllen. Und man braucht als Vater auch Beschäftigung und Bewegung.
Für mich gibt es dann noch einen Bürotag in Hammerbrook, wohin aber aus mir unklaren Gründen an diesem Morgen keine S-Bahnen vom Hauptbahnhof fahren. Ein ungeplanter und einigermaßen eiliger Fußmarsch findet daher nach einer Viertelstunde ungewisser Wartezeit statt, ich hetze ins Büro. Ich könnte und müsste danach schon wieder dringend duschen.
Immerhin geht es allen gleich. Der eigene Zustand muss einem heute keineswegs peinlich sein, überall zerfließt man in der Saunaluft. Und spätestens am Nachmittag sieht man es den Menschen in der Stadt wieder mehrheitlich an: Das Wetter ist nicht okay. Der Kreislauf, das Herz, der Blutdruck, die Müdigkeit nach der Tropennacht ohne Abkühlung, alles. Wir haben kollektiv Wetter.
Ich gehe beim trotz allem wiederum stark ausgedehnten Abendspaziergang an der Messe vorbei. Wo gerade die riesige SMM stattfindet, die „Weltleitmesse der maritimen Wirtschaft“, Shipbuilding, Machinery and Marine Technology. Habe ich das auch einmal gelernt.
Das finde ich aber erst später heraus, was da gerade los ist, erst einmal sehe ich nur überraschende Unmengen von Menschen im Business-Dress. Frauen und Männer, unfassbar viele davon, Schwärme und Herden, alle mit QR-Codes auf Pappfetzen um den Hals. Das sind ja Tausende, denke ich, und lese später erst nach, es sind eher Zigtausende. Die Straßen rings um die Messe sind rappelvoll, und viele suchen und winken mit weltweit gültiger Gestik nach Taxis. Die es längst nicht mehr gibt, sie sind vermutlich auf Stunden ausgebucht.
Ich sehe mir diese Menschen an und rate zunächst herum. Die meisten sehen deutlich nach Büro aus, teils auch, das ist vielleicht ebenfalls weltweit gültig, nach IT und anderen Nerdberufen. Hier bitte einen Exkurs über die Bedeutung karierter Herrenhemden dazu denken.
Manche sehen etwas anders aus, eher nach Berufen mit noch mehr Wirklichkeitsanteil, vielleicht nach etwas mit Maschinen etc. Und ich freue mich dann später, dass meine Beobachtungen gar nicht schlecht zur maritimen Wirtschaft passen. Zu den Schiffsbau-Ingenieuren etc. also, zu diesen Leuten, so steht es dann groß am Eingang der Messehallen, welche die maritime Wirtschaft verändern werden.
Natürlich steht es da auf Englisch. Change als Schlagwort wird immer noch gerne genommen und geglaubt, in allen Branchen.
Die Männer in den Anzügen und die Frauen in den Kostümen sind nach einem langen Messetag teils fortgeschritten derangiert. Hier und da muss man von stark verwüsteten Frisuren und Textilien reden. Man kann auf den Straßen um die Messe herum gut ableiten, wie viele Menschen mit solchen Hitzetagen wie in dieser Woche gut umgehen können. Es ist, wenn man die zahllosen und durchweg unversehrt wirkenden Besucherinnen aus Indien nicht mitzählt, mit großer Sicherheit nicht die Mehrheit. Und Anzug und Kostüm sind bei 30 Grad wohl doch nicht mehr die beste Wahl.
Man kann es sehen und ableiten, es drängt sich auf.
Es ist aber auch eine warmbuttrige Luft in diesen Stunden, dass nicht nur ich mich frage, ob gerade jeder bisher gemessene Rekord an Schwüle für Hamburg gebrochen wird. Später am Abend noch ein katastrophenfilmhaft rumpelndes Gewitter über unserem kleinen Bahnhofsviertel, dessen schweres Geschepper wie bestellt zu diesem Tag passt. Das Haus hat nicht gewackelt, der Strom und das Netz fielen keine Sekunde aus, aber es hätte gut gepasst und auch niemanden mehr überrascht.
Man kann natürlich – nie ist man ohne Möglichkeiten! – zur Abkühlung stets die Nachrichten aus all den Gegenden in der Welt lesen, in denen es noch heißer ist als bei uns, in denen noch mehr Rekorde gebrochen werden. Und das mache ich dann auch, Grüße gehen raus etwa nach Kalifornien.
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Auf den Wegen habe ich wieder die Tagebücher von Victor Klemperer gehört und aktuelle Politiknachrichten eher vermieden. Später doch noch nachgelesen, was im Guardian über die deutsche Wirtschaft stand: It’s an analog country in a digital world.
Man nickt mitwissend schon bei der Überschrift und der Rest überrascht ebenfalls eher nicht, wird aber lesenswert zusammengefasst. Dann noch etwas gehört: „Volkswagen ohne Volk – Deutschlands Autobauer in der Krise“. Es passte eher zu gut hinter den Artikel im Guardian.
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Unser (zweiter) Sohn heisst Thor, weil es bei seiner Geburt ein Gewitter gab 😉
(das war aber schon 1998)
„Werde wieder Fan von Deinem eigenen Leben“
Das gefällt mir. Sollte ich mich auch wieder mehr dran halten…
Fan? Ich lese da „Pan“… ?