23 interessante Minuten beim Deutschlandfunk über Leonard Cohen und die Religionen ausgesprochen gerne gehört – „Gebrochenes Halleluja“.
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Ab und zu ist es schön, Bestätigung zu finden, da wird es mir ebenso gehen wie allen. In einem zu Recht viel verlinkten Interview mit dem Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk bei T-Online lese ich einen Satz, den ich seit Jahren denke und sage, wenn nicht predige. Und bei dem ich bisher stets den Eindruck hatte, dass das sonst kaum jemand zu denken scheint, dass es auch kaum jemand ernst nimmt. Obwohl ich es so offensichtlich finde, was da ausgesagt wird. Obwohl es aus meiner Sicht unsere Zeit bis tief in den Alltag hinein klar definiert:
Der Satz wird dort zunächst auf den zeitlichen Faktor bezogen. Zu ergänzen ist sicher, dass uns auch jegliches Modell für eine zu gestaltende Zukunft fehlt. Sei es ideologisch, religiös, philosophisch oder wie auch immer ausgeprägt, und dass wir auch darin wohl einzigartig sind: Vor uns ist nichts. Vor uns ist nur Nebel. Vor uns sind nur beschlagene Rückspiegel, in denen wir dies und das zu erkennen meinen. Einiges davon sieht dummerweise sogar verlockend aus, auch für mich.
Vielleicht gehören wir zu den ersten Generationen überhaupt, bei denen das so ist. Es war für denkende Menschen bisher nicht vorgesehen, es hat sich nie so ergeben, es gab nie einen derartigen Mangel an überzeugenden Ideen oder Richtungen für den weiteren Ablauf des Ganzen. Es ist eine Art geistesgeschichtlicher Unfall, ein bisher nie genommener Abzweig ins Ungefähre, Vage. Vermutlich ist es auch ein Abzweig ins tendenziell Verlorene – wobei sich die Geschichte bisher bekanntlich als einigermaßen erfinderisch erwiesen hat, also wer weiß.
Na, aber das sollen Geisteswissenschaftler bitte in ein paar erhellenden Bänden ausarbeiten und ausführlich ableiten. Ich würde sie dann lesen wollen, diese Bände, dringend sogar. Es fasziniert mich kaum ein anderes Thema so sehr.
„Wir haben nicht einmal mehr eine Vorstellung von der Zukunft. […] Es werden auch keine positiven Angebote unterbreitet, sondern alles, was die Zukunft betrifft, hat einen bedrohlichen Anstrich.“
Wenn wir die bisher abgenudelte und aufgeschriebene Weltgeschichte als Vorlage für Weiteres nehmen, dann können wir einen Aspekt doch vorhersehen, wenn er auch noch recht abstrakt bleibt. Denn die Nation oder das Land, die Religion, die Ideologie, die Gruppe, die Bewegung oder auch die Region auf der Weltkugel, die zuerst ein Zukunftsmodell entwickelt, das wieder richtig zieht, so als würde man nach langem Rühren im Getriebe doch wieder einen Gang finden und endlich mit neuem Schwung weiterfahren– die wird zweifellos die Überschrift des nächsten Kapitels in der Weltgeschichte sein.
Spannend ist es schon auch. Wenn ich es richtig verstehe, dann können wir diese nächste Überschrift jetzt noch nicht erkennen. Vielleicht wird es zu unseren Lebzeiten auch nichts mehr, vielleicht klärt es sich in Kürze. Vielleicht übersehe ich auch bereits etwas. Die diversen autoritären Bewegungen um uns herum sind durch die Bank ausdrücklich rückwärts ausgerichtet, die werden es eher nicht sein. Wenn sie sich nicht ändern.
Man kann und muss weiter hoffen, dass sie das dauerhaft nicht hinbekommen werden.
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Ich habe das Interview nicht gehört, hoffe aber, den Satz mit unserer Zukunft, der ja auch hier erklärt wird, richtig verstanden zu haben. Intuitiv sehe ich das auch so. Es gibt wahrscheinlich viele Science-Fiction-Romane oder -Serien, die eine Zukunft zeigen, aber die rezipiere ich nicht. Vielleicht ist das „wir“ ein Problem für uns, die wir ohne Zukunft dastehen. Gab es früher nicht andere Gruppen ohne Zukunft? (Ich weiß es nicht, halte es aber für möglich.) Und Prepper, Faschisten und Longtermism-Visionäre wie Musk, die sehen wohl schon eine Zukunft, auf dem Mars oder hier – es ist aber nicht „unsere“, sicher nicht meine Zukunft. Es ist vielleicht nur der bürgerlichen oder unbürgerlichen Mitte, dem Mainstream (zu dem ich mich nicht ungern zähle), die Zukunft abhanden gekommen.
Merci. Jetzt habe ich eine Erklärung für ein Gefühl, das ich in der letzten Woche hatte, als ich mit einer Schülergruppe (17-19 Jährige) am Monte Verità in Ascona war. Ein Ort, an dem sich vor hundert Jahren Utopisten aller Art trafen. Anarchisten, Pazifisten, Philosophen, Künstler. Ein wirklich inspirierender Ort. Seltsamerweise fand ich recht wenig Euphorie bei den jungen Menschen. Zwei Mädchen fragten mich verstört, ob das dort eine Sekte gewesen sei. Insgesamt war die Haltung meiner Kursteilnehmer zum Thema Aussteigen und neue Lebensformen suchen wohl zusammengefasst ein grosses Achselzucken….wer‘s mag, kann man machen. Für mich wäre das nix.