Mit Übermut und Spontaneität

Es kam in den letzten Tagen der erfreuliche Ausschüttungsbrief der liebenswerten Einrichtung VG Wort, der vermutlich beste Brief des Jahres. Ich könnte mir einen materiellen Wunsch erfüllen, so erfreulich ist die im Schreiben benannte Summe. Einfach so könnte ich das, wie ein Mensch mit Übermut und Spontaneität. Also wenn ich denn einen Konsumwunsch hätte, dann könnte ich das. Aber ich scheine gerade nichts so dringend zu brauchen, dass der Erwerb eine echte, große Freude wäre – und wie toll ist das denn bitte, da muss man auch erst einmal hinkommen.

Ein billiges Vergnügen im Alltag – an Schaufenstern entlanggehen und permanent denken: „Brauche ich nicht.“ Befreiend fühlt sich das an.

Danke für’s Lesen, auch an dieser Stelle, diesen Brief hätte es sonst nicht gegeben.

Der Bug der Susebek an der Binnenalster, Anleger Jungfernstieg

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Ein Sohn gibt sich ansonsten seit Tagen verdächtig grippal. Die anderen Familienmitglieder umkurven ihn bemüht weiträumig, was in einer kleinen Wohnung nicht eben einfach ist, wir können uns hier nicht in den Westflügel zurückziehen. Wir warten also auf die Ansteckung, man wird sie am Ende doch nicht vermeiden können. Auch das ist wieder ein Saisonbeginn, diesmal immerhin passend zum Kalender. Da muss man sich schon freuen, etwas Ordnung in dieser Welt.

Nachts einmal aufgewacht und gefroren, gleich einen Verdacht gehabt. Es war dann aber nur das Wetter, kein Virus, die Heizperiode rückt in unerwartet großen Schritten näher. Regen auf den Fensterscheiben hörte ich in dieser wee small hour, und wie viel davon, schwallartiges Erbrechen der Wolken über Hamburg. Morgens beim Aufwachen dann erst einmal kurz überall hingefühlt. Halsnasenohren, Gelenke, Haut und alles, hat es mich schon erwischt, fühlt sich etwas falsch an … nein, heute wird es noch gehen.

Durchatmen, weitermachen.

Nassgeregnete Stühle und Tische in der nächtlichen Außengastro

Verblüffend übrigens, was für Aufnahmen so ein Smartphone mittlerweile bei schwachem Licht hinbekommt. Ich schaffe meine Spaziergänge kaum noch bei Tageslicht, Hamburg bei Nacht wird auf den Bildern hier in der dunklen Jahreszeit eine Rolle spielen müssen.

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Der nächste und leider letzte Band der unterhaltsamen Tagebücher von Manfred Krug ist erschienen: „Ich beginne wieder von vorn“. Das Hörbuch wurde erneut hervorragend einfühlsam gelesen vom Sohn Daniel. Dessen Stimme dermaßen nach seinem Vater klingt, dass es einem nach einer Weile ununterscheidbar vorkommt.

Für geschichtlich interessierte Menschen eine unbedingt empfehlenswerte Reihe, diese Tagebüchersammlung. Im Moment ist er im Jahr 2000, und wie schon in den letzten Bänden kommen Namen vor, die ich merkwürdig gründlich abgelegt habe. Manfred Kanther etwa. Ich höre seinen Namen, ich bin überrascht – ach ja, den gab es auch. Wie entlegen weit weg kann das Hirn manche Figuren und Umstände archivieren, wie tief im Keller der Erinnerung liegt mein Wissen um diese Jahre? Helmut Kohl und der Bimbes, all das, ewig nicht mehr daran gedacht. Hundert Jahre muss es mindestens her sein und es war eine Epoche, mit der ich mich kategorisch nicht mehr zu beschäftigen scheine. Auch interessant.

Dabei gibt es selbstverständlich wieder Bezüge zur Gegenwart, und nicht zu knapp. Manfred Krug notiert über Sarah Wagenknecht: „Die blöde Sarah Wagenknecht, die in allerlei Talkshows ihre Sehnsucht nach dem schweinemäßigen DDR-System nicht verbergen kann.“ 

24 Jahre ist es her, dass er diesen Satz geschrieben hat.

Er ist ansonsten fast durchweg irritierend zufrieden mit sich und seinen Leistungen. Immer wieder stolpere ich darüber und kann mich kaum entscheiden, ob ich es beneidenswert, nur beeindruckend oder doch eher unangenehm finden soll. Er ist überzeugt von sich als Schauspieler, als Autor, als Musiker, als Denker, als Mensch. Er ist oft geradezu begeistert von sich selbst und findet sich sympathisch. Eine Gefühlslage, die mir in dieser Ausprägung vollkommen unbekannt ist.

(Die Geschichte dieses Auftritts kommt ausführlich in dem Buch vor)

Es gibt humorige Passagen, da klingt seine Haltung sich selbst gegenüber nicht abstoßend, eher anziehend. So ein kumpelhaftes Verhältnis zu sich selbst zu haben, das ist also auch eine Möglichkeit. Ein für mich faszinierender, schwer vorstellbarer Gedanke – mit sich so grundlegend einverstanden zu sein.

An einem Fallrohr steht das Wort "Love"

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2 Kommentare

  1. Danke für den Hinweis auf Manfred Krug und große Freude bei mir über den letzten Teil der Trilogie. Wurde sofort bestellt. Die ersten beiden Bände seiner Autobiografie habe ich sehr gern gelesen, auch unter dem Aspekt seiner klaren politischen Ansichten. Er war ein kritischer Geist in bestem Sinne: ob im Osten oder Westen.
    War er eitel? Mitunter selbstgefällig und überheblich? Zweifellos, aber nicht immer grundlos.

    Seitdem deutlich wurde, dass gerade im Osten unserer Republik die politische Rechte so starke Resonanz findet, suchen wir nach Erklärungen und interessieren uns u.a. dafür, wie Sozialisationen unter den Bedingungen einer Diktatur, der ehemaligen DDR, stattfanden. Zum Glück gibt es inzwischen verstärkt sehr aufschlussreiche, auch biografische Literatur zum Thema, die endlich wahrgenommen wird.

  2. Mich hat heute Morgen auch mein Kalender erinnert, dass das nächste Tagebuch von Manfred Krug erschienen ist. Jetzt bin ich noch neugieriger 🙂

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