Nebel, Menschen und Möwen

Am Sonnabendmorgen ist es noch einmal neblig. Später wird daraus ein weiterer Oktobertag nach Bilderbuchart werden, da sind sich die Wetter-Apps heute allesamt einig. Ich lese das nach, und ich mache, was ich sonst nie mache, ich fahre spontan und zu früher Stunde runter zum Hafen. Auch mal morgens herumspazieren, auch mal flexibel sein und abweichenden Rhythmen folgen. An den Landungsbrücken sein, bevor der Nebel wieder ablegt.

Der Hafen ist zunächst aber gar nicht da, so dick ist der Nebel. Ich steige aus der S-Bahn und stehe vor einer Wand. Es dauert dann noch, es muss erst mehr Tag über der Elbe sein, bis etwa die Masten der Rickmer Rickmers allmählich aus dem Dunst vor mir auftauchen, Fliegender Holländer nichts dagegen.

Die Rickmer Rickmers im dichten Nebel

Das andere Elbufer gibt es nicht mehr. Die Elbphilharmonie ist nur eine vage Möglichkeit, und die Hafencity steht vielleicht irgendwo dahinter, wer weiß. Die Cap San Diego ist etwas großes Weißes in vielem Weiß. Eine Ahnung von Schiff ist sie nur. Die U3 fährt auf ihrem Viadukt fast lautlos an allem vorbei. Die Luft schluckt den Schall, und der Nebel zeichnet die hellen Fenster der Waggons weich und verwischt sie. „Lichtermarmelade“, hat Hanns-Dieter Hüsch einst geschrieben.

Dann taucht noch etwas auf, das fast ein wenig unheimlich ist. Langsam nur, aber nach und nach immer besser zu erkennen, nämlich weitere Beweise für meinen manchmal erschreckenden Mangel an Individualität. Etliche dieser Beweise sehe ich, immer öfter sind sie am Bildrand. Manchmal hasten sie auch quer durch die Szenerie oder eilen gebückt am Rand entlang, schleichend, sich am Boden duckend, hockend und lauernd. Über Geländern und Kaimauern hängend, in den seltsamsten Posen. Es sind nicht die Zombies aus dem Nebel des Grauens, Fotografen sind es nur, und viele davon. Bei denen man an Tagen mit solchen Wetterlagen vermutlich auch korrekt anmerken kann: Manchmal kommen sie wieder.

St. Katharinen im Nebel

Die männliche Form ist hier richtig gewählt, das Hobby ist bei Frauen nicht eben beliebt, wie es aussieht. Falls denn die Stichprobe dieses Hamburger Morgens aussagefähig ist. Was man sicher bezweifeln kann, auch wenn es um eine einwandfreie 100%-Quote in dieser Stunde geht. Lauter Männer mit technischer Topausrüstung im wabernden Grau, Spiegelreflexenthusiasten vor verwehender Watte.

Ich aber fotografiere wieder bloß auf dem Smartphone, wie so ein Spinner aus dem Internet.

Die Fotografen müssen in Scharen zum herbstlichen Hafen gefahren sein. Sie stehen sich jetzt dort alle gegenseitig im Bild herum, sie knipsen bemüht aneinander vorbei und umkurven sich weiträumig. Dabei sehen sie sich immer wieder um, sie sehen hinter sich, wer wohl gerade vor welchem Motiv deplatziert herumlungert, zumindest aus Sicht der jeweils anderen. Sie verfluchen leise murmelnd die Sonderinteressen der anderen, welche doch stets die eigenen sind. Wie wir auch alle die gleichen Motive belagern.

Weiter oben, im unsicheren Weißgrau, das vielleicht eine Häuserwand, vielleicht aber auch einen freien Ausblick verbirgt, vielleicht den Himmel über einem Fleet oder einer Straße, ab und zu schwarzes Geflatter, eilige Flugschatten. Die Rabenkrähen des Hafens in passender Fantasy-Umgebung. Auf dem nachtnassen Geländer der Promenade sitzen sieben von ihnen nebeneinander und bekakeln leise etwas, vielleicht den Plan hinter allem.

Die Flussschifferkirche im Nebel

Dann wieder bewegt sich etwas Schnelles und Helles im Weißen. Wird nur für einen scheuen Moment deutlicher und segelt dann schreiend über den Betrachter am Boden hinweg, die Möwen. „Sie formen Schreie und erzählen, unsere Flügel sind die Seelen der Matrosen …“, denke ich. Ich setze mir meine Kopfhörer auf und höre noch einmal die Aufnahme von Ingrid Craven, wiederum dankbar dafür, dass ich alles jederzeit nachhören kann, wie angenehm ist das eingerichtet.

„Weit draußen auf dem blauen Meer

erklingt ein Lied von Wiederkehr,

ein Lied vom Leben.“

 Text und Musik von Peer Raben.

***

Sie können hier Geld in die virtuelle Version des Hutes werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

3 Kommentare

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert