Am letzten Wochenende, es scheint etwas mehr Text als andere abzuwerfen, was so gar nicht vorgesehen ist und hier alles durcheinanderbringt, war ich mit der Herzdame noch im Eppendorfer Moor. Mit einer humpelnden Herzdame, sie hatte eine Sportverletzung. Zwischen uns liegen einige Jahre, sie ist noch in dem Alter, in dem man für Schäden an Muskeln oder Gelenken Sport machen muss. Bei mir reicht längst eine falsche Bewegung beim Abtrocknen nach dem Duschen. Was ich dabei immer für Zeit spare, der Verfall hat auch Vorteile.
Das Eppendorfer Moor ist für viele aus dieser Stadt ein weißer Fleck auf dem Stadtplan, wie ich aus Gesprächen weiß. Davon habe man schon einmal gehört, heißt es dann, dass es das da irgendwo geben soll. Da sei man aber noch nie gewesen. Und man kenne auch niemanden, der oder die dagewesen sei, es sei doch fast ein wenig seltsam.
Das größte innerstädtische Moor Europas jedenfalls, weiß man bei der Wikipedia, und da hat man gleich wieder einen Rekord abgehakt. Und Rekorde, da stehen wir doch drauf, in unserer angeblichen Leistungsgesellschaft. Es ist also ein Sensationsmorast, den man da besucht, es ist nicht nur irgendeiner.
U-Bahn Lattenkamp aussteigen, falls jemand grobe Orientierung braucht. Dann noch ein wenig an der Tarpenbek entlanggehen und schon ist man im Moor. Wo es wimmelt vom Heiderauche, wenn man früher nur oft genug die Gedichte der Droste gelesen hat. Es ist, wenn man es sich noch einmal vornehmen möchte, noch immer ein eindrucksvolles Gedicht.
Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt als ob man es jage;
Hohl über die Fläche sauset der Wind
Was raschelt drüben am Hage?
Das ist der gespenstige Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.
Schon schön, da gibt es nichts! Lesen Sie es laut, rezitieren Sie bemüht, das macht Spaß. Ich meine auch, ich konnte es einmal auswendig, aber das wird schon etwas her sein. Geblieben ist mir nur die erste Zeile, die vermutlich vielen bekannt sein dürfte, längst ist sie Bestandteil der kulturellen Allmende im deutschen Sprachraum.
Man geht zunächst noch etwas neben der Alsterkrugchaussee her und fragt sich dabei vielleicht unwillig, ob das jetzt alles sei, Bäume neben etlichen Spuren, brausender Verkehr, wie ein Marsch durchs Begleitgrün an der Autobahn fühlt sich das an, echt jetzt mal. Aber das gibt sich dann und es wird ruhiger, das städtische Lärmen weicht allmählich zurück und gibt der Natur zögerlich etwas Raum.
Das Moor ist nicht eben groß. Es ist kein Akt, es einmal zu umrunden, man kann das mal eben machen. Es passt leicht zwischen Mittag und Kaffee, nach treudeutschen Zeiteinheiten. Und es wirkt auch in dieser konzentrierten Version.
Es ist zunächst ziemlich Wald, auf eine angenehm altmodische Art, mit den umgestürzten, bemoosten, modernden Bäumen, Bruchwald eben. Mit schönen, in diesem Monat dekorativ laubbestreuten Wegen auch, und wenn man gerne Natur guckt, dann kommt man da schon etwas auf seine Kosten, kann diesen Tagesordnungspunkt für den Sonntag im Grunde schon abhaken. Es wird dann aber, wenn man zum Aussichtspunkt in der Mitte am See geht, auf einmal ein kleines Ersatzkanada.
Indian-Summer-Surrogat mit passender Farbgebung und Blick über dunkelblaues Wasser und allem. Und es ist nennenswert besser als nichts in dieser Funktion, das kann sich sehen lassen. Es gab Menschen, die saßen dort am Ufer in der Nachmittagssonne und lasen, es wird keine dumme Idee gewesen sein.
Ein Plätzchen wie von Herbst-Influencern ausgedacht, so sieht es an diesem Ufer aus.
Dann wird es, um diesen Aussichtspunkt herum, auch deutlich Moor. Moor sieht man hierzulande nicht mehr oft, das haben wir alles mühsam beseitigt, was uns heute aus Gründen der Seelenhygiene, der Ökologie und des Schutzes vor Extremwetterfolgen fehlt. Hier kann man sich belehren lassen, dass es attraktiv ist und mit seiner Ausstrahlung auf einen einwirkt, bis es einem ganz lyrisch zumute wird.
Wenn man nur genug hinsieht, wie die Ranke am Strauche häkelt oder wie die Pilze wachsen.
Ich möchte dringend empfehlen, die Zeilen der Droste vor Ort noch einmal nachzulesen. Als stark verspätetes, aber ungemein sinnvolles Update zum Deutschunterricht damals. Dann erkennt man erst richtig, was die Dame da für einen Kracher gelandet hat. Mit allem Respekt erkennt man es.
Ich glaube, wir haben nicht einmal eine Stunde für die Umrundung gebraucht, trotz Hinkebein der Herzdame, trotz Fotopause.
Gerne wieder. Das war, wie neulich schon der Besuch im Loki-Schmidt-Garten, etwas fürs jährliche Programm. Bei der Herzdame auf Instagram finden Sie auch Bilder in einem ihrer Reels.
***
Sie können hier Geld in die virtuelle Version des Hutes werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.
Das Gedicht eignet sich auch ganz hervorragend für den heutigen Halloweentag, oder?
ein wunderbarer text, ist mehr wert für die natur als diverse konferenzen, und das mit augenzwickerndem humor und naturwissen. danke dafür!