Unser buntes, beleuchtetes Gewimmel

Was ich im Moment in der Stadt sehe, ist eine interessante Doppelerfahrung, eine Art seelisches Vexierbild.

Denn zum einen ist die Innenstadt nun einmal meine Spaziergangsstrecke. Ich bin Anwohner, ich will da einfach durch. Ich brauche viel Auslauf. Und diese zahllosen Weihnachtsmärkte mit ihren diversen Massenabfütterungsstationen und Kunsthandwerktrödelbuden, sie stehen mir überall im Weg herum. Die Hütten blockieren meine Wege, die glühweinseligen Horden, die Freundeskreise an Schmalzgebäck erst recht. Dazu noch die minderjährigen Blockflötenbanden, die für ein wenig Kleingeld saisonale Lieder schänden. Außerdem Hunderttausende von Shopping-Verrückten mit Geschenkdruck, dann noch die Städtereisenden, die staunend herumstehen und alles erst einmal auf sich einwirken lassen, und wie lange sie dann da so stehen.

Außerdem die lauthals Missionierenden diverser christlicher Randgruppen etc., schließlich die wegelagernden Spendensammlerinnen für irgendwas mit Kindern, irgendwas mit Tieren oder mit sonst einem Elend. Gefühlt stehen mir am späten Nachmittag in den Einkaufsstraßen etwa eine Million Menschen vor den Füßen herum. Und je näher Weihnachten rückt, desto weniger ist das nur ein Gefühl.

Zum anderen sehe ich da aber auch Menschen, denen ich zugestehen muss, dass sie sich tatsächlich über das freuen, was sie um sich herum sehen. Also die sich echt freuen, sich recht von Herzen freuen, wie es in den einem Weihnachtslied heißt, in welchem war es noch. Egal, ich bin eh nicht in der Stimmung dafür.

Die da also nicht nur mit dieser allseits bekannten Selfie-Fake-Freude im Gesicht stehen, sondern mit einem anderen Gesichtsausdruck, den man eher sympathisch finden kann. Die stehen da etwa vor den Weihnachtsmärkten und machen begeistert Fotos und Filmchen von den angestrahlten Bretterbuden im Dunkeln. Von den so traulich beleuchteten Glühweinständen in Märchenwaldoptik und auch von der ganzen Weihnachtsdeko über und in den Fußgängerzonen. Von dieser Deko also, die ich schon Stunden nach dem Aufhängen nicht mehr sehen mag, alle Jahre wieder.

Sie freuen sich, als würden sie das alles zum ersten Mal sehen. Was vielleicht auch, ich muss es mir bewusst machen, und auch das alle Jahre wieder, tatsächlich stimmt.

Diese Menschen sind teils sehr jung, das erklärt schon einiges. Sie waren neulich vielleicht noch Kinder, sind es womöglich anteilig noch. Sie kommen, das ist in dieser Zeit nicht unwahrscheinlich, aus der tiefen Provinz in unser leuchtendes, buntes Gewimmel. Oder sie sind zum ersten Mal zu zweit, fest liiert und daher komplett selig mit einem anderen Menschen an der Hand in der Wintergroßstadt.

Oder sie haben zum ersten Mal ein eigenes Kind dabei, tragen das Kleine vor dem Bauch oder schieben es vor sich her, zeigen jauchzend und frohlockend auf alles, was leuchtet, finden alles großartig. Und das Kind guckt groß, versteht nichts und lächelt.

Oder sie sind eben erst zugezogen. Es ist ihr erster Dezember als Studentin in der Stadt vielleicht, es geht alles gerade erst los und abends in den Club, so etwas. Lauter plausible Möglichkeiten, erfreut zu sein, es gibt doch welche.

Und ich gehe da also einigermaßen seelisch runtergerockt, jahresendverbraucht und dezent angebittert durch und würde sie am liebsten alle aus dem Weg schubsen, diese Glühweingrinsekatzen.

Ich denke mir, es ist am Ende auch eine Art Deal. Und Deals, nicht wahr, liegen voll im Trend. Wenn wir etwa kurz an die USA denken, was wir aber nur äußerst ungern tun, ich weiß. Der Deal ist jedenfalls: Ich ziehe Euch ein wenig runter, wenn ich da schlecht gelaunt, höchst genervt, eilig und in alltagsradikalisierter Stimmung, vorgezogen nörgelrentnermäßig grummelnd mitten durch die Seligen durchmarschiere, mit Waldorf und Statler als Wappenfiguren auf dem nur gedachten Banner – und sie bauen mich im Gegenzug ein wenig auf, mit ihrer so echt wirkenden Freude, mit ihrer manchmal wohl tiefempfundenen Heiterkeit.

Und wir stehen uns also im Weg und kappen uns ein wenig die Extreme. Man muss sich nur eben ansehen, es reicht schon eine Sekunde der Wahrnehmung.

Also ich könnte das so denken. Wenn ich mir manchmal noch ein wenig mehr Mühe gäbe vielleicht. Aber wir wollen nicht übertreiben.

Ein geschlossener Stand für gebrannte Mandeln in den Tunneln des Hauptbahnhofs

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4 Kommentare

  1. Ich weiß das noch genau, wie es sich anfühlt. Damals arbeitete ich in der Norddeutschen Pampa ohne jegliche weihnachtliche Deko. Landwirtschaft war das oberste Gebot. Ich habe meine Freundin in Oldenburg besucht und bin mit ihr über den Weihnachtsmarkt gegangen. Sie lacht sich halb tot über mein Gesicht. Sie sagte, Du stehst da wie ein kleines Kind mit glänzenden Augen. Und so war das auch.
    Ich hab damals eine Uhr gekauft, die steht immer noch im Wohnzimmer. Ich habe übrigens nie wieder so einen schönen Weihnachtsmarkt gesehen.
    ( Sie haben das sehr schön beschrieben)

  2. Glühweingrinsekatzen ist ein wunderbarer Ausdruck! Ich bin neulich sehr genervt, aber durchaus mit einem Gefühl der Überlegenheit, durch den Weihnachtsmarkt am Wiener Belvedere gestapft, weil ich nämlich mein Wochenende mit Kunst (und damit meine ich nicht den blöden Klimt!) und nicht mit absurd überteuertem Kaiserschmarrn im Stanitzel verbringe.

  3. Vor lauter Volkstümelei ist wahrscheinlich noch nie jemandem die Idee gekommen, zu prüfen, ob es überhaupt den Auflagen des Denkmalschutzes entspricht, sorgsam restaurierte historische Marktplätze für geschlagene fünf Wochen mit billigen Sperrholzverschlägen zu möblieren, die landauf, landab identisch sind, …

    Wer gewohnt ist, seinen Geschmack nicht als gottgegebene Eigenschaft wie seine Augenfarbe zu betrachten, sondern als eine Größe, an der beständig gearbeitet werden muß, wird vielleicht Schwierigkeiten haben, an einem Weihnachtsmarkt etwas schön zu finden, aber diesen Einwand werden die Leute abschmettern und sagen: »Was ist schon schön?« …

    Bretterbuden mit aufgetackertem Fichtengrün, vor denen man, gruppenweise stehend, auf die dümmste Art, die Menschen möglich ist, minderwertige Lebensmittel verzehren kann. Nur Leuten mit dem Weitblick eines Nostradamus würde ich es abnehmen, wenn sie nun sagten, sie kennten noch dümme Arten, Golden-Delicious-Äpfel aus Drei-Kilo-Plastiksäcken zur Verköstigung zu bringen, als sie auf meist morsche Stäbe gespießt in rot gefärbten Zuckerlack zu tauchen. Dümmer wäre nämlich lediglich, wenn man mit dem Paradiesspieß versehentlich an seinen Schal käme — auch noch voll Schalfusseln, das rote Gruselding. Man könnte nun noch fortfahren und aufwendig den Brauch kritisieren, die Mandelernte vom vorvorigen Jahr durch Karamelisierung zu entsorgen, wobei man hinzufügen müßte, daß man denjenigen, die das essen, wohl auch kandierte Zigarettenstummel vorsetzen könnte, aber das würde ohne Zweifel überhaupt nichts nützen. Viel lieber sage ich folgendes: Wenn ich nun einen schlechten Rotwein hätte, eine Alkoholzufuhr aber für dringend sachdienlich hielte, würde ich den Wein so weit wie möglich runterkühlen. Man weiß ja von Coca-Cola und manchem Milchspeiseeis, daß eklige Dinge halbwegs tolerabel schmecken, wenn man sie stark kühlt. Ich würde den schlechten Wein jedenfalls nicht zur drastischeren Offenlegung seiner minderen Qualität auch noch erwärmen!

    … Wir wollen also gar nicht erst damit anfangen, leise tickende Taschen auf Weihnachtsmärkten abzustellen, sondern gehen kühl lächelnd, geführt von ruhigem, friedlichem Desinteresse, seitlich an ihnen vorbei – und dank der guten baupolizeilichen Bestimmungen in Deutschland ist es ja möglich, seitlich an so ziemlich allem, was häßlich ist, vorbeizugehen!

    Max Goldt »Der Zauber des seitlich dran Vorbeigehens«

  4. Lasst uns froh und munter sein!

    (Ich habe hier in dem Sinne eine andere Lebensphase wohnen:
    Das Kind singt sich seit Tagen für den Nikolaus ein, lustig, lustig, tralalalala, und wir freuen uns recht von Herzen, wenn das Fest geschafft ist.)

    Unabhängig vom Nikolaus („ist ein guter Mann!“) kann das aber natürlich trotzdem ein Appell an die Mitwelt sein. Hauptsache: von Herzen!

    Frohe Adventszeit weiterhin

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