Wir werden es immer schon gemacht haben

Die Herzdame und ich waren im Kirchenkonzert, es gab das Weihnachtsoratorium von Bach. Ich erfinde mir oder uns damit gerade einige Traditionen neu, womit man zu beliebigen Zeitpunkten anfangen kann. Keineswegs muss man dabei nur auf die Vergangenheit bauen. Dazu kann ich ebenfalls eine Rainald-Grebe-Liedzeile mitsummen, fällt mir ein: „Wahre Schönheit kommt von innen, kann man jederzeit mit beginnen.“ Aber das nur am Rande.

Zwei Traditionen lege ich jedenfalls ab 2024 fest, wir wollen es mit der Anzahl auch nicht übertreiben. Zwei brandneue Traditionen erscheinen mir plausibel und machbar. Das Brahms-Requiem im Michel und ein Weihnachtsoratorium von Bach also. Es gibt in keiner Stadt mehr Aufführungen dieses Oratoriums als in Hamburg, las ich irgendwo, es ist also nicht besonders schwierig, einen passenden Termin zu finden.

Jetzt muss ich beides lediglich fünf, sechs Jahre durchhalten, schon wird es eine ehrwürdige Tradition sein. So läuft das nämlich: „Das haben wir schon immer so gemacht.“

Dieses Konzert hätte in der evangelischen St. Jacobi-Kirche stattfinden sollen, ich berichtete, die aber wegen dringender Renovierungsarbeiten spontan geschlossen werden musste. Eine andere christliche Fraktion, die katholische Variante, bot Hilfe und Raum an, man plante hopplahopp um, das Konzert konnte dann im Mariendom in unserem kleinen Bahnhofsviertel stattfinden, fast vor unserer Haustür.

Das katholische Christentum ist mir noch deutlich fremder als das evangelische, aber dass die beiden Glaubensgemeinschaften sich heute gegenseitig freundlich bei der Kirchenmusik aushelfen, statt sich in offener Feldschlacht umzubringen wie früher, das immerhin ist ein mittlerweile gut abgesicherter geschichtlicher Fortschritt. Der auch, soweit ich weiß, nicht gerade von irgendwelchen Irren wieder zurückgedreht wird. Und das muss man ausdrücklich würdigen in diesen Zeiten.

Denn Fortschritt, da stehen wir ja drauf, in unserer progressiven Bubble.

Die Front des Mariendoms am Abend

Den Mariendom hatte ich vor diesem Abend etliche Jahre nicht mehr besucht. Zuletzt mit den Söhnen, als sie noch klein waren. Irgendwann bei einem Pflichttermin sicherlich, vermutlich auch um Weihnachten herum, noch in der Kindergartenzeit. Sicher führten sie dort damals irgendwas auf, ein Krippenspiel oder weiß der Kuckuck was. Ich weiß es nicht mehr, wir wissen es nicht mehr, diese Auftritte verschwimmen alle längst im Rückblick.

Ich konnte mich an die Gestaltung des Innenraums der Kirche jedenfalls überraschend wenig erinnern. Es kam mir alles erstaunlich fremd darin vor, ganz so, als sei ich ein staunender Tourist auf der Durchreise und nicht etwa ein Nachbar. Als sei ich zum ersten Mal in diesem Dom. Was im besten Fall aber nur heißt, dass ich damals, vor zwölf Jahren oder wann auch immer das war, nur Augen für die eigenen Kinder und ihre Freunde hatte. Guck mal, guck mal, jetzt machen sie dies, jetzt machen sie das.

Der Herzdame ging es ebenso wie mir, wir nahmen es erfreut als beiderseitige Bestätigung, genau so wird es also gewesen sein. Und ich fand dann, dass es ausgezeichnet zum Basteln von neuen Traditionen passt, sich nebenbei noch eben die Vergangenheit schön zu deuten.

Es ist nur konsequent. Bei der Gelegenheit muss dann Jan Johansson noch einmal ran, es passt so gut. Man darf das leise mitpfeifen, auch oder gerade am Montagmorgen:

***

Sie können hier Geld in die virtuelle Version des Hutes werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

3 Kommentare

  1. Es ist immer erstaunlich, wie Erinnerungen verblassen. Wir verwechseln auch laufend Ereignisse oder mischen sie. Besonders Veranstaltungen, die mit den Kindern zu tun hatten. 3 verschiedene Schulen, da wir umgezogen sind. Da kann man schonmal was durcheinander bringen. Ich wünsche Ihnen eine schöne Woche. Gruß Katrin

  2. In über 60 Lebensjahren habe ich sicher schon an die 50 mal das Weihnachtsoratorium gehört und es war jedesmal wieder wie neu.
    Heute habe ich in der ARD Mediathek den Beitrag über das kleinenDorf Siedenbollentin aus der Reihe „Das Dorf Ding“ entdeckt und dachte direkt an Sie und Ihre neuentdeckte Liebe zum Weihnachtsoratorium.
    (Danke für den Link zu Jan Johansson, von dem ich noch nie gehört hatte!)

  3. Ich habe über Ihren Link das Weihnachtsoratorium zumindest wiederentdeckt. Ich bin mir sicher, dass meine chorsingenden Freunde früher davon erzählt haben, aber erst jetzt habe ich es bewusst gehört. Und letztes Jahr habe ich an einem offenen Singen des Weihnachtsoratorium mitgewirkt, das war sehr spannend, weil die ganze Kirche voll war mit Sängerinnen und es nur sehr wenige „Nur“-Zuhörer gab. Es gab professionelle Solisten und Instrumente und eben den Chor.

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Time limit exceeded. Please complete the captcha once again.