Ich bin so alt, ich muss bei dieser elenden Diskussion um den Golf von Mexiko immer wieder an Les Humphries denken und habe dann für den Rest des Tages eine etwas klebrige Melodie im Kopf. Schlimm.
Sechs Jahre war ich bei diesem Auftritt der Gruppe alt. Aus so bunten Zeiten komme ich nämlich, das muss man sich auch ab und zu einmal klarmachen.
Sollten Sie die Gruppe nicht kennen, lesen Sie über den Gründer und seine Truppe unbedingt bei der Wikipedia nach, es ist popkulturell ungemein ergiebig. Es hängen zig Geschichten daran, Stoff für mehrere Romane findet man da.
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Ich habe meiner Mutter Blumen vorbeigebracht. Es bestand Tulpenbedarf, so hatte ich jedenfalls vermutet. Als ich klingelte, war sie gerade damit beschäftigt, radikalrechte Wahlwerber aus dem Haus zu werfen. Sie hat in ihrer Kindheit wahrlich genug aus dieser Richtung mitbekommen, weil die Rechten auch damals meinten, radikal Recht zu haben, und zwar gegenüber der ganzen Welt.
Sie geben sich da in diesen Tagen die Klinke in die Hand, diese Wahlwerbetrupps, quer durch das Spektrum der politischen Möglichkeiten. Vielleicht gilt eine Gegend, in der viele ältere Menschen wohnen, als besonders ertragreicher Fischgrund. Die sind da alle dauernd zu Hause und haben nichts als Zeit, wie praktisch ist das denn. Verlorene Kugelschreiber mit Parteiaufdruck liegen auf den Wegen vor den Häusern, Info- und Werbezettel gucken aus den Briefkästen.
Bei uns dagegen hat noch nie ein Wahlwerbetrupp geklingelt. Vermutlich fällt unsere Wohnlage durch irgendein Raster. Das ist immerhin alles klug berechnet und sie ziehen nur dort durch, wo sie auch mit Erfolgen rechnen können. Zumindest in der Theorie. So hat es mir jedenfalls einmal jemand erklärt, der sich damit auskannte, der darin geschult war und sogar einigermaßen stolz darauf war. In den USA geschult, und das galt zu jener Zeit noch etwas.
Wie unfassbar belästigend ich so eine klingelnde Wahlwerbegruppe finde würde, das konnte ich dieser Person damals nicht vermitteln, daran erinnere ich mich noch. Dabei würde ich mich, verhielte ich mich vollkommen authentisch, ohnehin auf jedes Türklingeln reagieren wie ein besonders schlechtgelaunter Dobermann.
Aber Contenance, versteht sich. Ich habe es so weit noch im Griff. Meistens.
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In der Schweizer Republik geht es um die Unfähigkeit, zu trauern: „Es ist deshalb unabdingbar, dass die linksliberale und grüne Öffentlichkeit einen Marschhalt einlegt und sich eingesteht, dass sie auf der ganzen Linie unterlegen ist, dass sie alles verloren hat, woran sie all die Jahre geglaubt hat. Es gibt kein Paris-Abkommen mehr, kein Kyoto-Abkommen, keine «Fridays for Future», keine Klimakleber, keine Massnahmen gegen die schwindende Biodiversität und so weiter und so fort.“
Nach diesem Satz wird es dann noch schlimmer in diesem Text, und nach der gestrigen Nachrichtenlage könnte man schon wieder Weiteres anlegen.
Aber ich sehe das auch so. Es hat keinen Sinn mehr, daran vorbei wunschzudenken, wie es noch so erstaunlich weit verbreitet ist. Man muss vielmehr von diesem Statement, von dieser bitteren Erkenntnis aus weiterdenken. Anders wird es nicht mehr vorwärts gehen.
Und vorwärts, da stehen wir doch drauf.
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Im Bild etwas Handarbeit, Flechtwerk in Hammerbrook.
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Danke für die vielen Links, Herr Buddenbohm (oder Sohn?) Das spricht mich sehr an, mit sechs Jahren habe ich „Mexico“ auf und abgehört, stundenlang und mir für jede dieser Personen auf dem Single-Cover eine Geschichte zusammenphantasiert. Morgen in der Mittagspause werde ich die Links anklicken, Flucht vor der Gegenwart in die Nostalgie. Auch den Autor in der Republik muss ich dann noch lesen, der Tod des Klimaschutzes ist ja leider wirklich zuerst schleichend und nun plötzlich sehr abrupt eingetreten, aber dafür brauche ich die App, hier komme ich an die Bezahlschranke.
Auch wenn ich den Song Mexico von Les Humphries sofort vor meinem geistigen Ohr höre, wäre er mir zu Trumps Aneignungswahn nicht eingefallen. Ich mochte diese Musik damals, als ich so etwa 13 war.
Den Text von Strassberg finde ich in einer Weise radikal, wie er vielleicht echt irgendwie heilsam sein könnte. Denn die Realitätsverleugnung ist natürlich ein Kopf in den Sand stecken. Man muss nur einmal durch den Harz fahren, um eine Ahnung davon zu bekommen, was wir angerichtet haben und weiter anrichten. Es hat ja nicht einmal mehr Sinn ein Apfelbäumchen zu pflanzen, weil es ohne Grundwasser gar nicht mehr angeht…
Was heißt dann noch Vorwärts?
Ich weiß es auch nicht, was noch vorwärts ist, und das ist nur eine der vielen Fragen. Aber ausschließen möchte ich es auch nicht.