Ich habe eine Sendung gehört, die popkulturell und kulturgeschichtlich einiges zu bieten hat. Die allerdings auch etliche Trigger für vielleicht etwas unangenehme, schambelastete Formen der Nostalgie liefert, denn es ging um Power-Balladen. Da werden alle, zumindest alle etwa in meinem Alter, die bei der Entwicklung vollumfänglich dabei waren und bei Musik dieser Art zum ersten Mal geküsst etc. haben, ihre Lieblings- aber auch ihre Hass-Melodien haben: Wie Balladen dem Pop das Pathos lehrten (56 informative, sehr saxophon- und gitarrenlastige Minuten).
Nicht wenige in meiner Altersgruppe werden leider heute noch verhaltensauffällig, wenn sie auf Partys zu späterer Stunde ein Stück aus diesem Genre und also aus ihrer Jugend hören. Ich dagegen höre etwa einmal im Jahr das alte „Bat out of hell“-Album von Steinman/Meatloaf auf einem Spaziergang durch eine möglichst menschenleere Gegend. Dabei habe ich einen Nostalgieflash in Drogentripqualität und bin mit dem Thema dann wieder fertig für ein Jahr, ohne jemanden damit zu belästigen. Rücksicht auf andere, so wichtig.
Zwischendurch habe ich, pardon, ich schweife ab, etwas herumgegrübelt, mit dem Ergebnis, dass ich mir sicher bin: Weder bei meinem ersten Kuss noch beim ersten Sex lief bei mir Musik. Waren diese Szenen ohne Soundtrack aber überhaupt gültig, fragt man sich da im etwas ratlosen Rückblick. Habe ich tatsächlich schon damals alles falsch angefangen. Ich sehe noch eben die Top-Hits des Kuss-Jahres nach, was habe ich da verpasst. Und okay, das war etwa „Der Nippel“ von Mike Krüger. Lassen wir das.
Wie auch immer, man kann bei dem unvermeidlichen Wind of change (es wird auch noch voll ausgespielt, man macht was mit) schnell vorspulen, dann hat man das Schlimmste hinter sich. Vorspulen, noch so ein Wort aus der Vergangenheit. Mit, es fällt mir gerade auf, mehreren Vergangenheitsschichten, was die Technik betrifft. Denn die hölzerne Spule, von der es stammt, verweist noch ins Mittelalter und zu aufgewickelten Fäden, zum Spinnen. Meine Generation assoziiert aber den Finger am Kassettenrecorder oder am Walkman. Meine Söhne wiederum assoziieren vermutlich nur noch das sachte Antippen eines Buttons in diversen Apps. Es liegt immer weniger Tätigkeit in diesen Anklängen. Die noch fiktiven Kinder der Söhne werden für diese Funktion sicher gar nichts mehr berühren und keinen Finger mehr bewegen.
Aber das nur am Rande, das nur als Anmerkung der Generation „Wir haben noch klackernde Tasten betätigt. Hat es uns geschadet?“, zu der ich nun einmal gehöre.
Wie man es auch dreht und wendet, ein Stück unserer Geschichte ist diese Musikrichtung jedenfalls. Und die unheilvolle Drohung am Ende der Sendung, dass die Power-Ballade vielleicht nur schläft und irgendwann wiederkommen kann, wie Barbarossa im Berg gewissermaßen … warten wir es einfach ab.
Das hat sich im Falle des alten Kaisers auch bis heute bewährt, also schon recht lange.
***
Sie können hier Geld in die virtuelle Version des Hutes werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch. Die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.
Zum Vorspulen: Ist die Generation unseren Söhne (hier *2007 bzw. *2008) nicht „Generation Skip“? Ich müsste mal fragen, ob meinen das Wort „vorspulen“ überhaupt etwas sagt… Physisch haben sie das weder mit Audio- noch mit Video-Kassetten gesehen/getan.
ich hätte nichts dagegen, wenn die Zeit zurück käme. Dafür würde ich dann auch die Balladen in Kauf nehmen.
Aber skippen ist doch technisch etwas anders, das meint ja immer ein ganzes Stück zu überspringen. Spulen ist stückunabhängig, denke ich.
Ich kann mich nur an die Musik meines Mannes erinnern. Und er mochte Juliane Werding. Und mir war das immer zu melancholisch. Das drübte meine Stimmung. Und er besaß ein Tonband. Da wurde oft vor- und zurück gespullt.
Ich wünsche einen schönen Tag.
Gruß Katrin
Mein 90er-Jahre-CD-Player hatte auch noch Tasten für einen dem Vor- bzw. Zurückspulen ähnlichen Vorgang!