Beifang vom 22.11.2016

Ein Gespräch über Donald Trump. Mit jemandem, der sich etwas länger mit ihm beschäftigt hat. “Er ist nicht intelligent. Er ist nicht fleißig. Er hat kein historisches Verständnis. Er ist unglaublich ignorant. Er ist nicht selbstreflektiert. Er ist nicht freundlich. Er ist nicht warmherzig. Menschen, vor allem Frauen, sind für ihn nur Objekte. Er ist nicht seriös. Er hat keine Moral. Er hat sein Leben nichts anderem gewidmet, ich sagte es, als dem Geld, der Macht…, wollen Sie noch mehr hören?”

Die Soziologin Nilüfer Göle über den gewöhnlichen Islam in Europa.

Die Zeit über die wahre Regression in die 50er durch die Unterwerfungsformel. Die These am Ende des Textes, dass der allgemeine Hass auch mit der Überzuckerung der öffentlichen Konversation zusammenhängt, sie ist vielleicht etwas zu steil. Aber als in Hamburg lebender Lübecker möchte ich gerne einen Punkt ergänzen, einen konservativen, heimatverbundenen Punkt, das ist sonst nicht meine Art, aber hier doch einmal: diese maßlos übertriebene Höflichkeit, diese verbale Herumgeschwänzel, diese “Ausweitung der Floskelzone”, wie es im Artikel treffend heißt – das ist nicht norddeutsch. Das passt hier nicht. Wenn ich in in einen Laden gehe und “Moin!” sage, dann will ich “Moin!” hören und kein gejauchztes “Guten Morgen der Herr, wie schön, dass Sie wieder da sind, da freuen wir uns sehr, was können wir denn heute Gutes für Sie tun?” Das nimmt mir ein Stück Heimat, echtjetztmal.

Zwischendurch und ohne besonderen Anlass ein Hinweis auf das Journal der Kaltmamsell, das mit Einträgen wie diesem hier ein Format gewonnen hat, das man später einmal ausdrucken und als Geschichtsbuch binden lassen kann. Historiker reißen sich heute um solche Journale aus den vorigen Jahrzehnten, das wird später nicht anders sein. Ich lese das sehr gerne.

Bobby McFerrin mit dem Ave Maria wird fast jeder kennen, hier aber doch noch ein Tipp für Eltern. Ich habe den Söhnen mehrere dieser Aufnahmen gezeigt (mit Exkursen zum Thema Beatboxing, aber egal) und was soll ich sagen, es war nicht Absicht – aber jetzt wollen sie abends zum Einschlafen Bach hören. Manchmal ist es ja einfach.

Kurz und klein

Beifang vom 21.11.2016

Nachdem hier gerade etwas am Blog-Layout geschraubt wurde, werde ich auch inhaltlich hier und da etwas umbauen, das soll ja ab und zu ganz gesund sein. Ich bin z.B. mit dem bisher gepflegten Woanders-Format nicht mehr recht zufrieden, dieser wöchentliche Rhythmus passt irgendwie nicht mehr. Es gibt zu viele Links, besonders in speziellen Zeiten wie diesen (Satz bleibt ewig gültig, kann man ruhig so stehen lassen). Und wenn es sehr viele Links in einer Woanders-Ausgabe sind, dann ist das irgendwann nicht mehr zumutbar, weil niemand Zeit hat, sich achtzehn Links anzusehen, selbst wenn sie ihn interessieren könnten. Ich stelle also versuchsweise auf tägliche Links um, dafür in deutlich kürzeren Ausgaben und nenne das ganze nun Beifang, denn die meisten Links finde ich tatsächlich auf der Suche nach den Texten, die ich für den Wirtschaftsteil brauche. Und Beifang muss sofort zurück ins Meer, wie sicherlich bekannt, wobei das Meer hier im metaphorischen Sinne das Netz ist, da wird es also kompliziert und geht am Ende auch nicht auf, egal, man kann als Autor nicht immer Glück haben. Eine Handvoll Links also, mehr nicht, und darum etwas herumgedacht. Eventuell sogar täglich, aber sicher nicht am Donnerstag. Geht los.

Auch so kann ein Abschied vom Vater ausfallen.

“Finnland schafft die Schulfächer ab”, das konnte man auf etlichen Medienseiten lesen. Bei der Tagesschau wird das relativiert, es bleibt aber interessant. Projektorientiertes Lernen klappt auch zuhause besser als das herkömmliche “Wir machen mal Mathe”. Ich steige seit einer Weile nur noch bei dem ein, was die Kinder interessiert, man kann überall Aspekte von Mathe, Deutsch, Medienkunde, Englisch etc. finden, das ist nicht schwer und funktioniert gut – auch für Erwachsene. Wenn ein Kind in die Wanne will, kann man nebenbei gemeinsam herausfinden, wie viele Liter Wasser dort hineinpassen und hinterher googeln, ob man richtig lag, da fällt das Lernen nicht auf. Es ist auch nicht so, dass wir mit den Söhnen dringend irgendwas üben müssten, aber wenn wir solche Gespräche nicht führen würden, es bliebe uns vollkommen unklar, was die mittlerweile ungefähr können. Das ist ein kleiner Nachteil von Ganztagsschulen, wenn man es denn als Nachteil sehen möchte. Siehe beim Thema Schule auch hier über Nachhilfe von Youtube. So weit sind wir noch nicht, aber das kommt noch.

Boris wollte mich verbrennen”, ein Text aus dem österreichischen Falter über die Radikalisierung. Es lässt einen ratlos zurück.

Beim Techniktagebuch geht es um die Modernisierung der Hotelzimmernachttischbibel. Von denen ich lange keine mehr gesehen habe, werden die nicht mehr verteilt?

Ein Interview mit Wolf Haas: Es ist mir schon passiert, dass mir in einem Dialog für jemanden eine extrem gute Antwort eingefallen ist. Aber blöderweise ist die Figur schon im Kapitel vorher gestorben, und da hab ich sie dann halt doch weiterleben lassen.”

Nein

Zu den letzten beiden Lesungen musste ich jeweils stundenlang Zug fahren, das mag ich sehr. Im Zug gibt es oft kein Netz, da habe ich also tatsächlich frei, da kann ich in die Gegend gucken oder lesen oder dösen, ich finde das herrlich. Dösen wird überhaupt stark unterschätzt, finde ich.

Der Zug fährt von Nord nach Süd. Ein Mann steigt ein, er wird etwa am Anfang des Rentenalters sein. Seine Frau geht hinter ihm her, sie sieht etwas älter aus. Er wirkt bestens gelaunt, sie eher müde und verhalten. Er verräumt die Koffer, die sind groß und schwer, das wird eine längere Reise. Sie setzen sich, sie haben zunächst einen Tisch für sich alleine. Er sitzt breitbeinig und raumgreifend, sie lehnt sich ans Fenster und sieht ins graue Novembernichts der norddeutschen Tiefebene, das da eintönig vorbeizieht. Er holt ein Fischbrötchen aus einem Rucksack, gräbt weiter darin herum, bis er auch noch eine Flasche Apfelschorle findet. Nimmt das Fischbrötchen in die rechte Hand, die Flasche in die andere und beißt und trinkt abwechselnd, wobei er die Hände an die Tischkanten legt, das ist jetzt sein Revier., das hat er reserviert. Er kaut konzentriert, kommentiert dann das Fischbrötchen, das Fischbrötchen ist gut, jedenfalls für ein Imbissfischbrötchen vom Bahnhof, da weiß man ja nie. Gut und groß mit ordentlich Zwiebeln drauf, so muss das sein. Die Frau nickt und isst nichts.

Er holt eine Regionalzeitung aus der niedersächsischen Provinz heraus und breitet sie vor sich aus, zuerst kommt der Politikteil. Er zeigt mit dem Fischbrötchen auf eine Überschrift, er liest vor, er erklärt seiner Frau kopfschüttelnd die Weltlage, ohne den Rest des Artikels zu lesen. Die Frau nickt. Das Fischbrötchen weist schon zur nächsten Überschrift, er erklärt, das geht eine Weile so weiter. Seine Erklärungen beendet er immer wieder mit einem “Was?” Sie nickt, ja, das wird wohl so sein. Eine junge Frau setzt sich neben die Frau des Rentners, holt ein Notebook heraus, klappt es auf und korrigiert an einem Text herum. Unwillig zieht der Rentner die Zeitung ein Stück zu sich, das ist nicht schön, wenn man auf einmal weniger Platz hat. Er liest wieder eine Überschrift vor, lacht verächtlich, er befindet, dass das alles Idioten sind, die da in der Politik, is’ doch so? Was? Sind sie doch? Er guckt sich um, seine Frau nickt, die junge Frau sieht kurz hoch und sagt “Nein.” Das sagt sie nicht unfreundlich, das sagt sie einfach so, weil es für sie eben nicht stimmt. Und weil der Mann ihr gegenüber nun einmal so fragend guckt, der will ja wohl eine Antwort.

Der Mann guckt sie entgeistert an, er wiederholt sicherheitshalber seinen letzten Satz, die junge Frau hat vielleicht nicht verstanden, worum es gerade geht, manchmal hören Leute nicht richtig zu. Die junge Frau sagt: “Nein”. Und tippt weiter. Er schüttelt den Kopf, er lehnt sich schnaufend zurück und streicht die Zeitung glatt, er sieht zu seiner Frau, seine Frau sieht aus dem Fenster. Er zeigt wieder mit dem Fischbrötchen auf die Zeitung, er guckt die junge Frau an, er macht den Mund auf, er sagt dann aber doch nichts mehr. Er liest still weiter, murmelt nur ab und zu tonlos etwas und guckt auch ab und zu hoch, auf die seltsame junge Frau, die ihn nicht beachtet und weiter arbeitet. Er blättert um, er sieht sie noch einmal an und schüttelt den Kopf.

Jetzt kommt der Sportteil, er liest und rollt die Augen, verzieht angewidert den Mund, lacht kurz höhnisch auf. Er kaut den letzten Bissen, er fingert mit weit offenem Mund nach Fischbrötchenresten zwischen seinen Zähnen. Dann schiebt er die heruntergefallenen Zwiebelringe auf der Zeitung zusammen und steckt sie zurück in die Brötchentüte, knüllt sie zusammen und schiebt sie ohne hochzusehen mit langem Arm seiner Frau hin, die seinen Müll in ihre Handtasche steckt. Sie macht die Augen zu, den Kopf an das Fenster gelehnt.

Zwischendurch ein Dank …

… und zwar gleich zweifach! Nämlich an Oliver von Blogoli für das “Leben des Brian” von Monty Python, das ist immerhin ein Film, den sogar ich als ziemlich kategorischer Filmverweigerer gerne sehe, auch zum xten Mal. Ein Weltkulturgut, nicht wahr.

Außerdem an Carola von ddorfer.info für die Stickerbücher von Usborne (diese Stickerbücher sind übrigens ein guter Tipp für alle, die Familie mit Kindern besuchen, die sind als Mitbringsel sehr geeignet – hier kommen sie jedenfalls immer gut an).

Was schön war: Hanseatic Help und Forchheimer Bagger

Vor ein paar Wochen haben wir Altkleider zu Hanseatic Help gebracht. Hanseatic Help ist das, was aus der improvisierten Kleiderkammer in den Messehallen wurde. Die ist vor einem Jahr ja sogar bundesweit bekannt geworden, als tausend und mehr Hamburgerinnen dort Spenden für die vielen Geflüchteten hinbrachten, die dann andere Tausende (mit Schnittmenge) stunden- tage- und wochenlang sortiert und ausgegeben haben. Das war damals ein ziemlich unfassbarer Anblick, wegen der Menge an Spenden, wegen der Einsatzbereitschaft der Leute, wegen des riesigen Gewusels und auch weil es eine schnelle Entwicklung zu einem formidablen Ordnungs- und Organisationssystem gab. Diese Systeme waren dann sogar so gut und tragend, dass aus der Kleiderkammer der Verein Hanseatic Help wurde, der immer noch Spenden annimmt und sortiert, und zwar in ziemlich großem Maßstab.

Diese Spenden werden neu gebündelt und mittlerweile nur noch an andere helfende Vereine und Institutionen ausgegeben, Hanseatic Help arbeitet also wie eine Art Großhändler und ist keine Anlaufstelle für Einzelne mehr. Die Abnehmer helfen dann den Bedürftigen in der Stadt, Obdachlosen, Geflüchteten usw.. Das immer noch und besonders ganz rechts so beliebte Spiel, Gruppen von Bedürftigen gegeneinander auszuspielen, das klappt dabei also nicht mehr recht. Als ich dort war, wurden gerade Container für Haiti fertig gemacht, denn in Hamburg gab es noch genug gespendete Sommerkleidung, die hier im Winter keiner braucht, die aber auf Haiti vermisst wird. Das ist also noch einmal eine neue Dimension der Hilfe.

Der Mann, der mich dort herumführte, war darauf verständlicherweise stolz. Auf den Haiticontainer und auch auf die Organisation an sich. Wer sich ein wenig für Ordnungssysteme interessiert, der wird das nachvollziehen können. Ein Lagersystem, Verteilschlüssel, Sortierkriterien, neue Räume, Schichtpläne, Verpackungslösungen, Vernetzung in der Stadt, Öffentlichkeitsarbeit, Vereinsgründung etc. – alles von Freiwilligen aus dem Boden gestampft, innerhalb eines Jahres, das ist schon was.

Und es ist schön zu sehen, wie da Spenden ankommen und ihren Weg nehmen, wie glatt das alles läuft, wie das erfasst wird, gelagert wird, verarbeitet wird, verpackt wird, und wie am Ende dann Pakete rauskommen, die tatsächlich bei Menschen ankommen, die etwas benötigen. Man kann nach wie vor dort helfen gehen, auch kurz, man kann auch nach wie vor dort Spenden abgeben.

Das ist etwas, das in den letzten und höchst kritischen Monaten der Weltgeschichte dann doch positiv hängengeblieben ist, auch bei uns im Stadtteil: Diejenigen, die geholfen haben, die bleiben oft dabei, die haben in den letzten Monaten eine ganz neue Kultur des Helfens und eine Art sozialer Spontaneität entwickelt, weil Helfen auch Spaß macht. Der Herbst 2015 hat bei uns im kleinen Bahnhofsviertel zu einer neuen und vorher ungeahnten Verdrahtung des Stadtteils geführt, hier kennen sich jetzt mehr, hier weiß man jetzt, was man gemeinsam leisten kann, wenn es darauf ankommt. Zigtausend Portionen Suppe für hungrige und frierende Durchreisende etwa – das klappt, das kriegt man hin, man muss einfach anfangen, etwa beim Gemüseschnippeln und dann sieht man weiter. Der eine hat einen großen Topf, die hat einen Gefrierschrank, der hat Platz, die hat Zeit, der kann kochen, so ging es immer weiter – und es hat dann tatsächlich geklappt, die kleine Initiative hat wochenlang jeden Tag Suppe ausgegeben, an unzählige Menschen. Man weiß nicht, dass man so etwas kann, bevor man es gemacht hat, aber hinterher bleibt es einem dann. Das ist wirklich schön.

So zeigt eine Einrichtung wie Hanseatic Help, was diese Stadt und ihre Einwohnerinnen mitmenschlich leisten können, und das kann man ruhig einmal zur Kenntnis nehmen, bei all den schrecklichen Nachrichten gerade.

Als ich in Forchheim gelesen habe, fuhr ich am nächsten Morgen mit dem Zug zurück. Als unheilbarer Frühaufsteher und überpünktlicher Mensch war ich natürlich viel zu früh am Bahnhof, stand dort dumm herum und guckte in die Gegend. Die Gegend war in dem Fall eine große Baustelle, man war noch beim Tiefbau. Nicht ganz so tief wie in Stuttgart, aber Löcher an Bahnhöfen sind wohl gerade in. Bagger, Muldenkipper und andere Laster, die ich nicht einmal korrekt benennen könnte, fuhren dort herum, Raupenfahrzeuge, all das Zeug, was Kinder immer wieder so begeistert. Dazwischen Männer in alarmroten Westen, die das Ganze dirigierten, Sand von links nach rechts, undefinierbares Metallgerümpel von einem Laster auf den anderen, Werkzeugkisten von da nach dort. Das habe ich mir zwanzig Minuten lang angesehen – und das war auch schön. Wie das alles funktionierte und Sinn ergab. Das war wie bei Hanseatic Help, ein vernünftiges System. Menschen mit Einsatz, und dann wird da was bewegt. In diesem Fall sicher nicht ehrenamtlich, vielleicht nicht einmal gerne – aber es lief, vermutlich sogar nach Plan, ich möchte es einfach unterstellen.

Ich fand es belebend, bei so etwas wieder wie ein Kind kurz stehenzubleiben und mir das anzusehen, gerade weil die Nachrichten nur noch aus Bedrohungen, Weltuntergängen, Schreckensszenarien, Ängsten und unheilvollen Spekulationen bestehen, aus Meldungen und Kommentaren, in denen die Welt bereits zu Bruch geht. Es fühlt sich heilsam an, bei einem Aufbau irgendeiner Art zuzusehen. Weil der Mensch an sich was kann, wenn er will. Da muss man sich vielleicht zur Zeit etwas bewusster dran erinnern, sonst vergisst man das noch vor lauter Sorge.

Mit anderen Worten, ich brauche also schon Bagger und schweres Gerät, um wieder auf konstruktive Gedanken zu kommen – danke Trump!

Mit Kindern zum Barcamp? Jo.

Wer mit dem Begriff Barcamp gar nichts anfangen kann, der gucke bitte erst einmal hier.

Das sind also Veranstaltungen für viele Menschen aus verschiedenen Berufen und Lebenssituationen, auf denen über eine ausdrücklich bunte Themenauswahl geredet wird, mal in Form von Vorträgen, mal auch in Diskussionsrunden, Fragestunden etc., wobei es viele Mischformen gibt und man vorher nicht weiß, wozu es Vorträge (“Sessions”) geben wird.

Wir waren gestern auf dem Barcamp Hamburg, und nicht zum ersten Mal. Wie uns gestern wieder einfiel, war Sohn I schon mit sechs Monaten auf seiner ersten Campveranstaltung.

Auf so einem Barcamp gehen am Morgen die Teilnehmerinnen, die etwas vortragen oder sonstwie veranstalten wollen, kurz auf Bühne und stellen das vor, was sie im Sinn haben, dafür reicht jeweils eine Minute. Danach wird das Publikum gefragt, wen das interessiert, und wenn sich dann Menschen melden, findet die Session statt. Es gibt etliche Räume, in denen Sessions stattfinden können, es gibt fixe Timeslots, so entsteht nach und nach ein Raster mit weit über hundert Möglichkeiten, zumindest in Hamburg, nicht jedes Barcamp ist so groß. Kann man sich das ungefähr vorstellen?

Es wird dort eine äußerst bunte Palette vorgestellt, es ging um Marketing, IT-Technik, um soziale Themen, um regionale Landwirtschaft, um Trump, um Hausboote, ums Fremdgehen, ums Loslassen, um den modernen Mann, um Filme, um Programmiersprachen, um Podcasts, um Bücher, um Apps, ums Atmen und um Gott weiß was. Ganz grob geschätzt sind 75% der Sessions technik-business-office-lastig, der Rest ist eher wild und würde in der Zeitung unter “Vermischtes” oder gar in der Wochenendbeilage vermeldet werden.

Man stellt sich nach der Auftaktrunde vor den Sessionplan und überlegt, was einen um 10 Uhr wohl interessieren könnte, was um 11 Uhr und so weiter. Man kann Themen wählen, bei denen man sich auskennt, man kann sich absichtlich völlig über- oder unterfordern und sich auch ausdrücklich fremden Welten aussetzen, man kann zuhören, diskutieren etc. Man kann auf dem Weg in die erste Session mit irgendwem ins Gespräch kommen und dann erst einmal zwei Stunden am Kaffeestand verplappern, das geht auch. Grundsätzlich sind die meisten Besucherinnen aufgeschlossen und gesprächsbereit, man geht auf ein Barcamp, um in Kontakt zu kommen und sich auszutauschen, um zu lernen oder vielleicht auch etwas weiterzugeben. Daraus ergibt sich keine Tagung im klassischen Sinn, sondern so etwas wie ein Konferenzwimmelbild mit endlos vielen Details und wer Kinder hat, der weiß: Kinder mögen Wimmelbilder.

Auf Barcamps gibt es oft Kinderbetreuung, unsere Söhne sind mit sieben und neun Jahren nach eigenem Beschluss jetzt alt genug, an Barcamps “richtig” teilzunehmen. Wie geht das nun? Es gibt eine (nicht verpflichtende) Tradition, dass Besucherinnen, die zum ersten Mal kommen, auch etwas anbieten, denn Barcamps leben nun einmal nur vom Mitmachen. Wir haben also als Familie zusammen unser Blogfamilienunternehmen vorgestellt und etwas über bloggende Kinder und Eltern erzählt. Dabei haben die Kinder zwar fast nichts gesagt, aber irgendwo fängt man eben an. Sie haben jetzt schon einmal auf der großen Bühne gestanden, sie haben eine Session vorbereitet und erlebt, sie wissen, wie nett das sein kann und das andere sich für sie interessieren können, das lief sehr gut.

Danach haben wir uns wie alle anderen auch vor den Session-Plan gestellt und überlegt, wen was interessieren könnte. Die Godzilla-Session, in der die besten Szenen aus allen Godzilla-Filmen gezeigt werden, ohne Dialog und Handlungserklärung und Sinn, die fand leider gleichzeitig mit unserer Session statt und konnte von Sohn I nicht besucht werden, das war etwas schade für ihn. Die muss aber auf jeden Fall hier erwähnt werden, weil sie zeigt, dass es in den Sessions nicht bierernst zugehen muss, ganz und gar nicht, da ist Raum für Spaß und auch für Improvisation.

Wir haben uns eine Session mit coolen Kinderbuchempfehlungen angehört, da konnten die Jungs natürlich auch etwas beitragen, das war ebenfalls eine gute Erfahrung. Danach dann eine über Brettspiele, die zwar eher für Erwachsene waren, aber deswegen noch lange nicht uninteressant. Dass Erwachsene überhaupt spielen, das ist schon einen Gedanken wert, das kennen sie vom eigenen Vater eher nicht, andere Männer gehen da aber glatt als Experten durch. Krass! Zwischendurch waren die Herzdame und ich in Sessions, die die Kinder nicht interessierten, da haben sie sich in anderen herumgetrieben oder im Foyer auf dem mitgebrachten iPad gespielt und gemalt, man kann sich dort auch einmal aus den Augen lassen. Jeder macht sein eigenes Barcamp, das kann man mit sieben Jahren schon verstehen – und das ist nicht die schlechteste Lehre für so einen Tag.

Man kann also auch eine halbe Stunde am Buffet stehen und Unmengen Kuchen verdrücken, wenn einem danach ist, why not, da sagt keiner was.

Manchmal saßen die Kinder längere Zeit nur herum und guckten sich das Gewusel an, hörten irgendwo zu, wo sie gar nichts oder nur Splitter verstanden, liefen planlos durch die Räume, guckten kurz, wie Sprecherinnen auftraten – und dachten vermutlich auch immer wieder sehr intensiv darüber nach, ob sie nicht doch einmal diesen verbotenen Energy Drink probieren sollten, den die Erwachsenen da alle in rauhen Mengen wegbecherten. Ab und zu sprachen sie mit anderen Kindern, ab und zu sahen sie aus Neugier doch mal in die Kinderbetreuung, dort blieben sie aber nicht.

Welchen Sinn hat das nun, was lernen die da? Eine ganze Menge. Da sind also lauter Menschen mit enorm verschiedenen Interessen und unterhalten sich neugierig über ihre Themen. Das ist eine Atmosphäre der entschlossenen Offenheit, das verstehen Kinder und das finden sie toll. Allein dieses Gefühl, in irgendeine Session gehen zu können, egal in welche, sich einfach hinsetzen und zuhören – und keiner wundert sich. Freie Auswahl, das ist eben nicht nur an der Losbude toll. Man kann fragen, man kann etwas sagen, man muss beides aber nie, das ist ganz anders als in der Schule und es ist manchmal auch befreiend. Man kann zwischendurch sogar rausgehen, wenn es doch nicht interessant ist, das machen die Erwachsenen auch, das ist wirklich faszinierend. Tür auf und weg. Da wartet keiner, bis es klingelt. Ich bin falsch, tschüss, drüben ist es vielleicht besser.

All diese Menschen, die sich für irgendwas interessieren und begeistern, die an ihren Themen Spaß haben – das wirkt und es entgrenzt. Weil es eben immer noch mehr Themen gibt, als man sich vorstellen kann, noch mehr Möglichkeiten, damit im Leben etwas anzufangen, im Beruf oder in der Freizeit. Es ist alles noch viel bunter, als sie eh schon geahnt haben.

Ganz nebenbei bekommen Kinder auch mit, wie es ist, wenn man freundlich diskutiert. Da sitzt ein Erwachsener und erzählt etwas, das klingt kompliziert und schlau und souverän, aber danach steht jemand auf und sagt: “Nein, so ist das doch gar nicht.” Und dann gehen die beiden sich nicht an den Hals, sondern sie unterhalten sich, es kommen dritte und vierte Meinungen dazu und es wird bunt und der Gesprächsverlauf ist ganz anders als es alle erwartet haben. Und trotzdem finden es viele gut. Das ist wichtig, so etwas mitzubekommen, das kann man sich leicht im pädagogischen Sinne vorstellen, was da alles nebenbei gelernt wird.

Wobei man keine falschen Erwartungen haben darf, die Kinder sehen gar nicht unbedingt so aus, als würden sie etwas lernen. Sie spielen vielleicht auf irgendeinem Gadget herum, sie liegen auf dem Boden und malen auf Give-away-Blöcken ud kauen Give-away-Gummibären, sie starren in die Gegend und laufen ziellos herum, sie spielen irgendwas – aber wenn man dann abends nachfragt, dann merkt man es doch, was da alles ankam.

Auf dem Barcamp im letzten Jahr haben sich zwei junge Mädchen, etwa zwölf Jahre alt, zu ihren Online-Gewohnheiten befragen lassen. Das war eine der bestbesuchten Sessions überhaupt, die gesamte IT-Branche war da versammelt und hatte viele, viele Fragen an den User-Nachwuchs, das war ein großartiges Beispiel, wie sinnvoll solche Zusammenkünfte auch generationenübergreifend sein können. Im Gegenzug gab es z.B. in diesem Jahr eine Session “20 Jahre Internet”, da haben die Veteranen von damals erzählt, das hören Sechzehnjährige dann mit Staunen.

Sohn II fing gestern zwischendurch an, alle Namen aufzuschreiben, die er kennt oder schon einmal gehört hat, für einen Schreibanfänger eine wissenschaftliche Aufgabe, das hat er dann zuhause noch bis zehn Uhr abends fortgesetzt, das war ein Motivationsflash erster Klasse. Sohn I hat eher zufällig eine Idee für seine berufliche Zukunft aufgeschnappt und in einem ganz kleinen Dialog mit einem kompetenten Herrn geklärt, dass diese Idee gar nicht so abwegig ist. Das war nur eine hingeworfene Bemerkung bei der Verabschiedung – aber das wirkt jetzt so in ihm herum und schon dafür hat sich der Tag gelohnt. Für diese kleine Gleichung: Wenn ich mich dafür interessiere, kann das dabei herauskommen. Barcamps können für Kinder super sein, auch ohne Kinderbetreuung. Man muss einfach ohne Erwartung hingehen und gucken, was passiert.

Wenn Sie mal so eine Veranstaltung in Ihrer Nähe haben – einfach mal probieren, es könnte gut sein.

Noch einmal der Terminhinweis für Franken

Am Donnerstag dieser Woche lese ich abends um 19:30 im oberfränkischen Forchheim in der Herder-Ehrenbürg-Mensa, das kostet sieben Euro Eintritt. Und ist gar nicht mal so weit von der Metropole Nürnberg entfernt.

Die Veranstaltung wird dort so angekündigt: “Maximilian Buddenbohm liest aus „Marmelade im Zonenrandgebiet“, „Es fehlt mir nicht, am Meer zu sein“ und andere Texte. Er begegnet skurrilen Mitmenschen, einer sehr schönen Frau und versucht, auch in den absurdesten Situationen seine Würde zu bewahren.

Dann werde ich das jetzt mal entsprechend vorbereiten.