Duckfaces und echte Enten

Am frühen Abend eines heißen Tages saß ich an der Alster, ich hatte ein Date in der Abendsonne. Ein wenig vorabendserienmäßig war es von der Ausstattung her, ein wenig posh, wie meine Begleitung befand. Die Sonne glitzerte in den Kaltgetränkgläsern wie in klassischen Werbefilmchen. Üppig gediehene Palmen standen in großen Pflanzkübeln davor, leicht wedelnd im Abendwind. Feierabendgäste der gepflegteren Art um uns herum. Büromenschen in smart casual und noch entspannter. Es war warm, so warm, die aufgeheizte Stadt. Man legte ab, was nur ging.

Unter den jüngeren Gästen am Steg einige, die sich mit den Selfies vor der Kulisse des Bilderbuchjulis erheblich Mühe gaben. Viele Versuche, aufwändige Inszenierungen, lange Begutachtungen der Ergebnisse und Nachbearbeitungen. Stative sahen wir, große Kameras auch, nicht nur schnelle Schüsse aus dem Handgelenk nebenbei. Es musste schon alles stimmen. Minutenlange Frisurkorrekturen, oft wiederholtes Herumzuppeln an Kleidchen und Klamotten, am Schmuck, an allem. Grimassierende Duckfaces auf den Selfiegesichtern um uns herum. Wie in einem Kabarettprogramm sah das aus, wenn Selfies lächerlich gemacht werden sollen. Eine zu oft gespielte Nummer, aber was interessiert das die Wirklichkeit.

Eine junge Frau in einem durchsichtigen Kleid, unter dem sich die Unterwäsche abhob und fürchterlich unordentlich saß, das konnte auf den Bildern kaum gut aussehen. Ich hatte ein ausgeprägt elterliches Bedürfnis, ihr das mahnend mitzuteilen.

Aber Contenance. Immer nur die eigenen Kinder kritisch kommentieren, und auch die besser nicht zu oft.

Segelboote im Abendlicht vor uns, langsam durchs Bild gleitend, elegant wendend. Daneben die Schiffe der weißen Alsterflotte, letzte Fahrten des Tages vielleicht schon. Außerdem Tretboote, in denen alle Plätze besetzt waren. Familienverbünde fuhren noch ein Viertelstündchen vor der Bettzeit herum. Kleinere Kinder mit Schwimmwesten hinten, die Väter vorne am Steuer, die Mütter daneben. Fast immer die Väter am Steuer.

Schwäne, Gänse, Enten und Möwen. Etliche Vögel sahen wir oben segelnd oder unten dümpelnd in dieser Szenerie. Die Sonne sank langsam am Westufer nieder, es gefiel allgemein.

Updates und Austausch, wir hatten uns länger nicht zu zweit gesehen. Wer macht was und mit wem, und auch wieder: „Was wurde eigentlich aus“, die beliebte Rubrik. Dazu die üblichen Themen unseres Alters, etwa die langsam kritischer werdenden Zustände der Eltern. Die Abläufe ähneln sich bei uns allen, Variationen auf eine Grundmelodie werden durchgespielt.

Immerhin mussten wir keine eigenen Krankengeschichten abnudeln, dafür muss man dankbar sein. Es endet üblicherweise irgendwann, dass man ohne diese Themen durchkommt. Noch einmal Schwein gehabt, das stets mitdenken.

Beim Zahlen dann die unwillkürliche Frage, als der absurd hohe Preis genannt wurde: „Kann das denn sein?! Für vier Getränke?“ Ich freute mich immerhin, dass nicht ich das laut gefragt hatte. Ich hatte es nur gedacht. So ist es nämlich, wenn man nicht oft ausgeht. Man staunt dann mit seinen Preiserinnerungen, die allmählich dezent veraltet sind, die eindeutig präpandemisch sind.

Und die Bedienung, entspannt gelaunt, mit lässiger, großer Geste über das Gewässer zeigend: „Was wollen Sie, Alsterblick!“

Und lacht und lacht. Wieder Gäste, die zu lange unter einem Stein gelebt haben oder aus der Provinz kommen. Kopfschüttelnder Abgang.

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Eine normale, gut vorstellbare Geschichte

Christian schreibt hier über den vermeintlichen Rechtsruck, mit interessanten Links, und wenn Sie dazu noch etwas sehr Schräges hören wollen, dann empfehle ich Ihnen ein Zeitfragen-Feature über die Geschichte der Reichsbürger mit höchst bemerkenswerten Tonaufnahmen aus dem Jahr 1975.

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Gesehen, und besonders gerne gesehen: Mademoiselle Chambon. Es war wiederum ein Film bei arte, ich gucke da jetzt alles leer, bis ich wieder à jour bin.

Von 2009 ist dieser Film, er wirkt noch gegenwärtig. Regie Stéphane Brizé, von dem gerade noch mehr bei arte zu sehen ist. In den Hauptrollen Sandrine Kiberlain und Vincent Lindon, beide sind ausgezeichnet besetzt. Sie waren auch privat ein Paar, lese ich nach, und trennten sich, während sie im Film gerade laut Drehbuch zögerlich und kurz zusammenkamen. Ihr Beruf bietet spezielle Gelegenheiten für ironische Entwicklungen. Es müssen seltsame Erfahrungen sein, stelle ich mir vor.

Der Film gefiel mir jedenfalls, ein leiser, zurückhaltender, betont ruhiger Liebesfilm. Dezidiert unaufgeregt mit besonders schönen Szenen der unerklärlichen Annäherung. Nicht der übliche sexuelle Magnetismus, der viel leichter zu inszenieren ist, mehr diese schwer greifbare Irritation eines obskuren Nähewunsches.

Es wurde sehenswert abgebildet, wie eine erst kaum spürbare Anziehungskraft entsteht. Eine Anziehung, wo besser keine hingehört, wo sie nicht gut passt, wo sie zumindest etwas ungelegen kommt und dann auch andere mehr und mehr stört. Wie man damit umgeht, wenn das Gefühl doch nun einmal da und nicht mehr zu leugnen ist.

Wenn man also auf einmal dieses unerwartete Problem hat, diese einigermaßen unbegreifliche Zuneigung, die so nicht bestellt war. Die Verblüffung darüber und die nachfolgende Ratlosigkeit bis zur nachvollziehbaren Entscheidungsunfähigkeit, das spielen die beiden fantastisch. Kein fröhlicher Film, auch kein sehr trauriger Film. Eine normale, gut vorstellbare Geschichte mit einem besonders gelungenen Ende. Die lange Bahnhofsszene, hervorragend. Es gibt viele Liebesgeschichten, die mit Bahnhofsszenen beginnen oder enden, diese ist eine der besseren.

Deutliche Empfehlung jedenfalls für einen ruhigen, warmen Sommerabend bei leichter Schauerneigung und heraufziehender Bewölkung. Das Wetter wird dann zur Gefühlslage im Film gut passen.

Und bei der Kombination von Bahnhofszene und Liebe muss ich noch eben Agneta anlegen, das letzte Abba-Stück, es ist quasi Pflicht. So ein schönes Video war das, ich hätte mich in diesem Zug selbstverständlich auch in sie verliebt. Und wie.

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Gehört: Eine Folge Radiowissen über Iwan Turgenjew, von dem hier noch die „Aufzeichnungen eines Jägers“ bei den ungelesenen Büchern liegen, wie mir gerade beim Schreiben einfällt. Dieses Buch sollte ich vielleicht schon einmal auf den Herbststapel umsortieren. Ich könnte die Zeit nach der Sommerpause im Geiste bereits angehen, ich könnte hier und da und zumindest nebenbei schon etwas vorsorgen und zurechtlegen. Die Tage werden immerhin bereits wieder kürzer.

Außerdem hörte ich noch eine Sendung über Rosa Luxemburg. Da kann ich assoziativ gerade nichts anlegen, was aber nichts macht, glaube ich. Dennoch gerne gehört.

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Die schrundige Menschheit

Hier eine Meldung, die ich erst nur aus dem Augenwinkel gesehen habe, dass sich eine Hautkrankheit gerade rasant ausbreitet. Ein Pilzbefall, der eventuell über die Barbershops weiträumig gestreut wird, welche es auch bei uns im Stadtteil seit einigen Jahren in gefühlt jedem zweiten Haus gibt. Und es werden immer noch mehr.

In einem dystopischen Erzählszenario könnte man das mit einem naheliegenden Bezug zu Corona einbauen. Mit jeder Covid-Infektion wird das Immunsystem weiter geschädigt und schwächer. Pilze und dergleichen haben nach jeder Welle umso leichteres Spiel … so ein Drehbuch schriebe sich fast wie von selbst, denke ich. Und schon nach etwa 15 Filmminuten müsste die Maske immer mehr leisten. All die Flechten, Ekzeme, Knoten, Rötungen etc., die immer mehr entstellten Hauptdarstellerinnen. Schließlich mehr und mehr aussätzig aussehende Personen im Bild, die schrundige Menschheit, die Schuppen und das Schicksal. Und dazu der Klimawandel, es wird stetig wärmer, der Schweiß brennt an den Sommertagen sengend in den entzündeten Schleimhäuten …

Aber gut, wer hat schon noch Interesse an Dystopien.

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Am Sonntag habe ich am Abend noch weiteren italienischen Autorinnen und Autoren hinterher recherchiert. Damit ich mir kurz vor dem Urlaub bei nur einem einzigen Gang durch die Zentralbücherei auf jeden Fall genug Romane, Erzählungen etc. unter den Arm klemmen kann. Genug jedenfalls, um ein paar davon später im Liegestuhl lässig wieder verwerfen zu können. Es wird schon werden.

Weiter im Troller-Tagebuch aus Paris gelesen, passend zu den Wahlergebnissen aus Frankreich, es fügte sich angenehm. Und während er im Buch über den Aufstand von 68 und die irritierte Reaktion von de Gaulle schreibt, brennen in Paris wieder Mülltonnen und Macron sagt an diesem Abend lieber nichts, es harmoniert ganz ungemein.

Gehört: Radiowissen (ich bin bald durch mit dem Archiv) über Marlene Dietrich und  über F. Scott Fitzgerald.

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Vor unserer Haustür blüht ansonsten irgendwas, ich habe es leider nicht weiter ermitteln können, das an schwülen, drückenden Hitzetagen eklig und intensiv riecht, wie ungelüfteter Puff. Was ich allerdings schreibe, ohne da besonders umfassende Kenntnisse zu haben. Es ist mehr so eine ungefähre Vorstellung, eher angelesen als erlebt. Es geht vielleicht auch in die Richtung Raps in höherer Potenz, darunter wird man sich vielleicht etwas vorstellen können. Allerdings wächst hier weit und breit kein Raps. Der nächste Acker ist erst nach langem Marsch erreichbar, nach mehreren Bahnstationen.

Überaus unangenehm körperlich riecht es jedenfalls, nach zu viel von allem. Nach besonders schwierigen Verhältnissen auch, nach einem Übermaß an unregulierten Körperflüssigkeiten und nach eher schweren hygienischen Mängeln, die man vermutlich einer Behörde melden müsste. Schwer und lastend wabert es schauderhaft durch die Saunaluft mancher Tage der Sommermitte, und an der Ecke da vorne hat sich jemand übergeben, sehe ich. Fast könnte man einen Zusammenhang vermuten, und heute sollen es üppige 28 Grad werden.

Die Stadtnatur ist auch nicht immer die Erlösung vor der Haustür, das wollte ich nur eben andeuten.

Ein Pärchen sitzt im letzten Abendlicht am Ufer der Außenalster und blickt übers Wasser. Die beiden sind von hinten nur als Silhouetten zu sehen. Am Horizont, am anderen Ufer der Fernsehturm.

Man muss in Hamburg an manchen Tagen erst ganz runter bis zur Alster, zur Elbe oder zur Bille gehen. Man muss sich am Ufer stehend beim tieferen, bemühteren Durchatmen etwas maritime Frische einbilden, um dieses urbane Draußen ausreichend schön und belebend zu finden.

Manchmal gelingt einem die Übung sogar, und das ist dann besser als gar kein Erfolg am Tag.

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Hochsommernotate

Vorweg wieder ein Nachtrag zu gestern, ich fand auf Youtube noch eine Doku zu den Gärten der Finzi Cortini, eine sehenswerte Aufbereitung der Themen von Film und Roman und der Garten- oder Parksymbolik, ansprechend bebildert:

Nebenbei beschließe ich, noch während diese Doku läuft, das lange Überlegen in diesem Jahr radikal abzukürzen und im Sommerurlaub, der in wenigen Wochen beginnen wird, einfach nur Bücher italienischer Autorinnen zu lesen. That was easy!

In der Wikipedia werden für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg 22 wichtige Autoren und vier Autorinnen genannt, dieses Verhältnis wird mit Sicherheit diskutabel sein. Es gibt jedenfalls mehr als genug Bücher von dort, die ich nicht kenne, eine reiche Auswahl gibt es. Und es wird dann vielleicht auch vom Wetter her passen, zum ausklingenden Juli hin. Ja, mach nur einen Plan.

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Und eine Kleinigkeit zur Saison noch. Ich erwähnte gestern den Hochsommer, und die Kaltmamsell tat es am gleichen Tag auch, sogar bereits in der Überschrift, mit ähnlichen Einschränkungen im Text wie ich, der Regen, der Sturm. Damit haben wir den Hochsommer also gemeinschaftlich für Nord und Süd festgestellt, das ist damit meiner Kenntnis nach sofort, unverzüglich.

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Am Sonntag machten wir wieder einen Spaziergang am Hafen, die Herzdame und ich, und weil alle Menschen, welche die Schlagzeile „Der Tourismus erholt sich“ für diese Stadt bunt illustrieren, auch gerade da waren, bogen wir am Michel ab und zogen quer durch die etwas leereren Straßen der Innenstadt, die nicht in jedem Reiseführer stehen. An einem Café kamen wir vorbei, in dem es schon Pflaumenkuchen gab. Kann es denn schon so weit sein? Ich lese das mit den Pflaumen später skeptisch wie immer nach: Frühe Sorten ab Juli. Na gut, dann will ich das durchgehen lassen.

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Und noch Weiteres zum phänologischen Kalender der großen Stadt. Ich hätte es schon vor einigen Tagen notieren müssen, vor dem erneuten Regen, denn es kommt bildlich nicht richtig hin, wenn es gerade schüttet. Die Eindrücke sind fast schon veraltet, ich müsste deutlich zügiger bloggen, wenn es um die Natur geht. Sie eilt doch recht flott durch die Jahreszeiten, diese Natur, wenn man genauer auf sie achtet.

Die Linden blühen jedenfalls bei uns wieder und die Blattläuse im Laub sondern wie immer unablässig klebriges Zeug ab und tropfen und ferkeln alles am Boden voll. Sie verwandeln zuverlässig etwa die unter ihnen parkenden Autos schon nach kurzer Zeit in etwas, das nach drastischem Wertverlust aussieht, nach Verwahrlosung auch, nach bald abzuholendem Schrott gar. Stumpf der Lack und blind die Scheiben. Das autobezogene Gegenstück zu „geteert und gefedert“, so sehen diese besudelten Wagen aus. Ein Anblick grässlich und gemein.

Ich sah hier fast rührende Szenen, als stolze SUV-Besitzer ihr Prachtstück nach einer oder nach sogar mehreren Nächten, in denen es unter den falschen Bäumen stand und kein Starkregen hilfreich die dicke Schicht abwusch, derart verwandelt wiederfanden. So viel Schmerz in den Blicken. Es war manchmal schon schön und mir auf die boshafteste Art angenehm. Besonders bei denen, die ihre Ungetüme in den Feuerwehrzufahrten etc. geparkt hatten. Und wenig sind das in diesem Stadtteil nicht, weil Freiheit etc. Man kennt das, wie allzu gut man es mittlerweile kennt.

Die Lindenblüte, das wissen wir jetzt, zeigt den Hochsommer an. Wann ist die nächste Stufe erreicht, der Spätsommer? Wenn wir mehr Libellen sehen, lese ich. Das müsste ich im Garten an der Bille bei Gelegenheit verifizieren, Libellen fliegen nicht um den Hauptbahnhof. Wenn die ersten Äpfel reif sind, das gehört auch zu den sicheren Spätsommerzeichen, und auch das würde ich im Garten merken. Wenn die Vogelbeeren reifen und die Mirabellen. Die immerhin habe ich vor der Haustür, die Mirabellen.

Nach denen werde ich also gehen können und dann berichten. Ich merke uns das vor, damit wir stets Bescheid wissen.

Ansonsten ist Montagmorgen und Element of Crime hat den Wetterbericht.


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Schlagt nach bei Hoddis

Der Sonnabend ein weiterer Tag mit einem Wetter, das es früher meiner Erinnerung nach gar nicht gab. Diese schräge Mischung aus unfassbar schwül und dabei doch wild stürmisch. An der Nordsee wehte es sogar in Orkanstärke, mitten im Hochsommer. Welchen wir daran zu erkennen haben, dass die Linden blühen. Aber das nur am Rande, dazu eventuell morgen mehr.

Man geht jedenfalls um den Block, könnte nach hundert Metern bei 27 Grad schon wieder und am besten kalt duschen und hat nach zwei Windstößen keine Frisur mehr. Man hat nur noch Haare.

Es ist ein meteorologischer Mix, der sich für mich immer noch nach Katastrophenfilm anfühlt. „Dieses Wetter ist nicht von hier“, könnte ich den ganzen Tag murmeln. Und ich frage mich grübelnd , wieso es denn bloß nicht alle dauernd und deutlich beunruhigt feststellen. Ich fühle mich in aller Ausdrücklichkeit wie bei „Don’t look up“ und verstehe die Lage nicht mehr recht.

Fortwährender Sturm ohne jede Frische als Zeichen der Zeit und des Wandels also. Und nicht einmal die neu erworbene Kopfbedeckung kann ich bei diesem Wetter tragen, denn dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut.

Schlagt nach bei Hoddis, möchte ich mahnend ergänzen, und achtet außerdem auf Eure Dachdecker. Wir z.B. haben so einen in der Familie, und, weil so viele Scherze kaum noch in Arglosigkeit aufgehen, gab es da doch gerade etwas bei der Tageschau zu denen. Moment, ich sehe nach: Der Beruf und der Klimawandel.

„Schlagt die Pointe entzwei

Sie macht unsere Kinder nicht frei“

Seit Tagen habe ich, ganz unabhängig von diesem Text hier, ein Kreisler-Stück als ausgeprägt festsitzenden Ohrwurm. Nach der ersten Wahl in Frankreich fing es an und geht gar nicht mehr weg, sein vorletztes Lied. Vielleicht hilft es mir noch einmal, den Song zu posten, vielleicht hilft es auch, eine Interpretation nachzulesen, in einem feinen Blog, das ich soeben gefunden habe.


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Gesehen: Der Garten der Finzi Contini, auf arte. Ein Film von Vittorio de Sica, nach dem Roman von Giorgio Bassani,. Ein Roman, von dem ich genau weiß, dass er in der Piper-Taschenbuch-Ausgabe lange bei mir im Regal stand, allerdings nicht mehr genau weiß, ob ich ihn auch gelesen habe oder nur jahrelang lesen wollte. Egal, heute steht das Buch jedenfalls nicht mehr im Regal, wie ich gerade verifiziert habe. Warum und wann auch immer es verschwunden ist, das entzieht sich meiner Kenntnis. Bücher führen manchmal ein seltsames Eigenleben, sie kommen und gehen, ganz wie es ihnen beliebt.

Zu dem Film drängt sich mir zunächst eine wenig feuilletongeeignete Beobachtung auf, denn wie irritierend ist bitte die Ähnlichkeit des Schauspielers Fabio Testi mit dem jungen Sascha Hehn. Ich muss dauernd bemüht darüber hinwegsehen und eine dezente Klausjürgen-Wussow-Erwartung für die nächsten Szenen niederkämpfen. Schlimm ist das, und vollkommen unangemessen bei dem Ernst der Handlung und des Themas ist es auch.

Es geht um den Faschismus in Italien, um die Entrechtung und Verfolgung der Juden und um die Lage in Frankreich und Deutschland.

[Einschub zu Frankreich: Nils Minkmar aktuell zur Situation, Christine mit dem letzten Update vor vier Tagen und ich hoffe inständig, dass meine Kolleginnen in Paris (ich arbeite für Ipsos, wenn ich auch mit Wahlforschung vor vielen Jahren zuletzt etwas zu tun hatte) auch diesmal richtig liegen.]

Wo war ich. Die Bezüge zur Gegenwart basteln sich bei dem Film wie von selbst, das wollte ich noch ergänzen. Ob man diese Bezüge sehen will oder nicht, und eigentlich möchte man doch wirklich nicht mehr. Aber wenn man etwa den eben erwähnten Fabio Testi aus Neugier nachliest, der in dem Film noch einen dem Kommunismus nahestehenden Gegner der Faschisten spielt, sieht man, dass er später Anhänger von Berlusconi und Forza Italia wurde …

Wie die Geschichte immer wieder mischt und alles durcheinanderwirft. Es ist auf die gruseligste Art faszinierend.

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Alles geben die Götter

Ich lese abends weiter im erfreulich dicken „Tagebuch mit Menschen“ von Georg Stefan Troller, seine Einträge aus den Sechzigern, in denen er oft auch recht giftige Bemerkungen über andere notiert. Das Buch läuft nicht gerade über vor Wohlwollen, aber das nur am Rande.

Mir wird jedenfalls erneut bewusst, wie in diesem Jahrzehnt, in dem ich auf die Welt kam, die Trümmer des Zweiten Weltkriegs im realen und im übertragenen Sinne noch das Leben prägten. Die Kultur auch. Er trifft für seine Interviews so viele Überlebende, halb oder ganz Vergessene, Versehrte, Verirrte, Wiedergefundene und Zurückgekehrte. Es lohnt sich, das nachzulesen, es erweitert mein Bild dieses Jahrzehnts.

Wie präsent das große Grauen damals noch war. Fast nichts davon habe ich in meiner Kindheit bemerkt, abgesehen vielleicht von der Grundangst der Erwachsenen um mich herum, die Russen könnten doch noch kommen. Und diesmal dann bis Lübeck und noch weit darüber hinaus. Diese Vorstellung wurde oft deutlich.

Bei Gewittergrollen und ähnlichen Geräuschen immer der Satz: „Die Russen kommen.“ Ein Satz, den wir Kinder übernommen haben. Normaler Sprachgebrauch war das, und als Kind habe ich selbstverständlich nie bedacht, welche Inhalte aus früherem Erleben viele Erwachsenen damit verbunden haben müssen.

Es hört nicht auf, dass ich mich darüber wundern kann, wie wenig die geschichtliche Vergangenheit in meiner eigenen Vergangenheit stattfand. Und wie spät ich dieses generalisierte Schweigen über die Geschichte erst als solches wahrgenommen und verstanden habe. Wenn es interessiert, bei Radiowissen gibt es passend dazu auch eine hörenswerte Folge über das kollektive Gedächtnis.

Ich lerne bei der Lektüre auch etwas darüber, wie diese Interviews damals für das Fernsehen inszeniert wurden, mit welchen Tricks manchmal gearbeitet wurde. Vielleicht erinnern Sie sich noch, ich hatte hier vor längerer Zeit einmal einen Clip im Blog, in dem der Schriftsteller Somerset Maugham Verse von Goethe zitierte, auf Deutsch:

„Alles geben die Götter, die unendlichen,
Ihren Lieblingen ganz,
Alle Freuden, die unendlichen,
Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz.“

Ich wusste damals vermutlich nicht, dass es ein Ausschnitt aus einem Troller-Interview war.

Hier kommt gleich mehr dazu im Video. Bei den Aufnahmen zu Beginn ist Troller neunzig Jahre alt, während er über den damals neunzigjährigen Somerset Maugham spricht, das ist dabei bitte auch zu beachten. Alte Männer sind ja gerade hier und da Thema auch in den Nachrichten.


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Wie erwachsene Menschen

Donnerstagmorgen. Es regnet, es regnet, es regnet seinen Lauf. Wenn es gerade nicht regnet, dann schüttet oder nieselt es. Und das seltsame Gefühl direkt nach dem Aufstehen im Bad, es war wohl im Ernst ein kleines Frösteln. Eine Stunde später sehe ich am Schreibtisch Terminanfragen für den, und ich sehe dann genauer hin, Oktober und November. Die kommen etwas unerwartet, passen aber gut ins allgemeine Bild dieses Tages, so fühlt es sich alles an. Auf dem Handy poppen dann noch die Windwarnungen auf, Stärke acht aus Südwest. Mary-Poppins-Verschnittfiguren, die mit solchen Winden reisen, sind ziemlich flott unterwegs.

Egal. Im Home-Office arbeite ich mich in gewohnter Emsigkeit wieder warm und quer durch die Juliroutinen auf die nächsten heißen Tage zu, die fraglos kommen werden. Und bald schon.

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Ein kleines Update zu meinem Hinweis vor zwei Tagen auf die aktuelle Corona-Welle: Jetzt sehe ich Krankmeldungen aus allen Richtungen, und viele davon. Man kann es eigentlich beim besten Willen nicht mehr übersehen. Irgendwo in der Wohnung bellt ein Sohn, noch während ich dies notiere. Den dann auch mal einen Test machen lassen.

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Die Herzdame und ich hatten einen Termin bei einem Notar, es ging um unser Testament und war ungemein lehr- und hilfreich. Solche Termine lohnen sich auch für den Gefühlshaushalt, wir kamen uns hinterher wenigstens für einen Moment wie erwachsene Menschen vor, die Dinge ernsthaft und zielstrebig geregelt bekommen. Ein angenehmer Zustand ist das, wie kurz er auch anhalten mag.

Termine dieser Art sind immer noch die weiteren Nachwirkungen unserer im Winter begonnenen administrativen Aufräumarbeiten. Man braucht doch erstaunlich lange für alles. Jedenfalls dann, wenn man einigermaßen gründlich sein möchte und sich auch jene obskuren Themen vornimmt, die man in Gedanken stets unter G wie Gott weiß wann abgelegt hat.

Und fertig sind wir, soweit ich es absehen kann, mit den ganzen Angelegenheiten noch lange nicht. Also wenn man damit jemals fertig werden kann. Ich habe allmählich leise und vermutlich berechtigte Zweifel. Man sucht den Sinn des Lebens in der Ablage, administriert sich vermutlich bis zum Tode und muss direkt danach sicher erst einmal einen weiteren Account anlegen, für die nächste Dimension. Und man wird dann auch eine Vorgangsnummer erhalten, die man sich merken oder die man wiederauffindbar abheften muss, und dann immer so weiter in Ewigkeit, Amen.

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Wie vorgehabt: Am Abend „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von 1931 auf arte angesehen. Der Film ist nur noch fünf Tage verfügbar und es lohnt sich, ihn zu sehen. Es ist ein Erlebnis, so beeindruckende Bilder. Diverse höchste Einstufungen sind auch bei der Wikipedia nachzulesen, und vollkommen Recht haben sie.

Was gucke ich jetzt? Naheliegend wäre die Doku über Peter Lorre – Hinter der Maske des Bösen, auch bei arte, 54 Minuten. Ja, so mache ich das.

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Nieselregen und Werktagsdinge

Bei Spektrum las ich einen Artikel über Extremwetter und „freak-events“. Währenddessen sterben hier in der Alster und in den Kanälen gerade die Fische. Was ich allerdings nur in den lokalen Medien sehe, nicht als Zeuge am Ufer stehend. Sie sterben, weil der Starkregen neulich so viel organisches Material eingeschwemmt hat, und der Abbau dieses Zeugs nun zu Sauerstoffmangel führt.

Man lernt nebenbei und eher unwillig auch solche Zusammenhänge noch einmal neu, die Nachrichten als Biobuchnachlieferung.

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Im Vorbeigehen habe ich ein Plakat gesehen, es war Werbung für die Bundeswehr. Die allgegenwärtige Personalnot, selbstverständlich auch bei denen. Ob man allerdings noch ganz bei Groschen sein kann (ich weiß gar nicht, aus welchen Tiefen der Erinnerung mir dieser Ausdruck gerade wieder einfiel, Ewigkeiten habe ich das nicht gehört oder verwendet, aber es ist doch ein absolut zauberhafter Boomer-Ausdruck, nicht wahr), wenn man auf ein Poster für die Armee unseres Landes „Hol Dir den Win bei der Bundeswehr“ schreibt – ich habe doch deutliche Zweifel.

Kopfschüttelnd und „Alle bekloppt“ murmelnd weitergehen. Ich freue mich weiterhin ungemein auf das spätere Krückstockgefuchtel im Rentenalter, es wird dann schon passen.

Ungemein gut wird es passen.

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Ansonsten war es ein gewöhnlicher Bürotag in Hammerbrook, es fiel nichts Blogbares an. Nieselregen und Werktagsdinge, immerhin harmonisch passend zur durchgehend freudlosen Stadtteilgestaltung und den sich dort jahrelang hinziehenden Großbaustellen, bei denen unfassbar viele Absperrungen alle paar Tage überraschend neu aufgestellt werden. Wie bei einem Brettspiel mit Gegenwartsbezug, finde Deinen Weg durch den Verkehr der Millionenstadt. Auf dem Lieferwagen vor dem Bürofenster aber steht der Slogan „Barrierefrei leben“, als ob das schon jemals auch nur einem Menschen gegeben war.

Der Mittwoch zieht sich zäh und fühlt sich früh ausgereizt an.

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Gehört: Eine Folge Radiowissen über Reich-Ranicki, mit Erinnerungen an den legendären Grass-Streit damals, 1995 war das. Als es in Feuilletons spannend zuging und es noch Leitmedien gab, die „man“ eben las und auf deren nächste Ausgabe man sich vielleicht sogar freute. Lange ist es her, und kaum noch kann man es den Jüngeren erklären. Tempi passati.

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Und so schlecht ist es nicht

Wenn die Timelines als Indikator zu verwenden sind, und ich habe keinen Zweifel, dass sie es sind, gibt es gerade eine weitere Corona-Welle. Und ich staune noch einmal über die beträchtliche geistige Abwehrleistung der Menschen auch in meinem Umfeld, die das nicht wahrhaben wollen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Das Verbiegen der Realität als Volkssport. Dabei muss man doch nur die Meldungen im eigenen Kreis flüchtig mitzählen, es reicht ja schon.

Wie hat es sich alles seltsam entwickelt.

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Draußen findet währenddessen das Revival der Herbstmode statt. All die Trenchcoats und Lederjacken aus dem letzten Jahr sehen immer noch wie eben gekauft aus. Sie werden etwa eine Woche lang erneut eingetragen, im in jeder Hinsicht überzeugenden Oktoberwetterimitat dieser Woche. Auf dem Spielplatz vor der Haustür etliche Kinder in bunter Regenkleidung und in Gummistiefeln, die mit leuchtenden Farben und kindgerechten Mustern auch an solchen Tagen fröhlich wirken sollen. Zögernd stehen die Kleinen am Rand der Sandkiste und wissen dann nicht recht weiter. Unbenutzte Schaufeln halten sie in den Händen, während die Eltern sich weiter hinten mehr oder weniger geduldig unterstellen. Sie sehen auf ihre Handys sehen und warten ab.

Schaukeln schwingen leer im Regen, ganz sacht nur.

Obdachlose schieben tropfnasses Hab und Gut in lädierten Einkaufswagen an der Kirche vorbei. Vor den Cafés und Restaurants die zusammengeklappten Sonnenschirme, die leeren Tische und die zusammengeschobenen oder aufgestapelten Stühle. Kleine Pfützen auf Holz- und Plastikflächen. Über die teils noch ausliegenden laminierten Speisekarten ziehen Schauer hinweg, noch einer und noch einer, und dann immer so weiter. Ttagelang wird es noch so gehen. Das Programm ist insgesamt wenig originell und gut absehbar, aber ich finde es okay.

Sich auch mal bescheiden geben, genügsam sein. Immerhin ist es nicht zu heiß in dieser Stadt. Auch einmal das Positive unter dem Regenschirm sehen, in stoischer Selbstermunterung pfeifen und weitergehen. So beginnt hier der Juli, so beginnt bei uns das zweite Halbjahr, und so schlecht ist es nicht.

Am Nachmittag habe ich einen Termin mit der Herzdame in Winterhude. Ich verlasse also wie programmgemäß schon wieder unser Quartier. Wie so ein Mensch, der regelmäßig in der Stadt herumkommt. Im vollen Bus, der sich ruckelnd durch den zähen, stockenden Feierabendverkehr schiebt, riecht es intensiv nach nassen Hunden, Klamotten und Menschen.

Eine schwer mit Einkäufen bepackte Mutter schimpft laut, zeternd und anhaltend mit ihrem kleinen Sohn. Der hört überhaupt nicht hin, sieht vielmehr die ganze Zeit konzentriert aus dem Fenster in den sich stauenden Verkehr da draußen und träumt von etwas anderem.

Und wenn man sich die erwachsenen Passagiere mit ihren matten Werktagsgesichtern und den Blicken ins Leere so ansieht: Wer weiß, wer noch.

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Hinter den sieben Bergen

Vorweg schnell ein Service-Hinweis in Bezug auf den so sehr geschätzten Sender arte, der Film-Klassiker „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ ist noch acht Tage verfügbar. Sie wollen das vielleicht einplanen? Ich schaffe das auch noch, so jedenfalls das Vorhaben. Yes, we can.

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Am Montagmorgen trommelt wie erwartet schon beim Aufwachen der Regen auf die Dachfenster, es ist mir überaus angenehm. Ein guter Wochenstart ist das für mich, zumindest was das Wetter betrifft. Und gut temperiert ist an diesem Tag alles. Es gibt wieder die übersaisonalen 12 Grad am Morgen, die Gradzahl meiner klimatischen Heimat.

Doch, ein recht angenehmer Start ist das. Nach einem feinen Sonntag auch, den wir hier, und das ist keineswegs selbstverständlich, erstaunlich entspannt zugebracht haben. Es war fast schon ein Wellness-Tag, also für meine Verhältnisse jedenfalls, und da kann man eher bescheidene Erwartungen ansetzen. Vielleicht war es der halbwegs faire Ausgleich für den vollkommen vergurkten und schwer verspannten Freitag der letzten Woche, ich berichtete.

Auf dem Bett habe ich stundenlang müßig gelegen und im Troller weitergelesen, in seinem Tagebuch mit Menschen. Auch einen Film habe ich gesehen (auf Filmfriend), der mir nicht weiter empfehlenswert vorkam, und es machte aber nichts. Es ärgerte mich nicht und es kam mir nicht wie verschwendete Zeit vor, eher wie eine lässige Spielerei mit der Zeit, und zu dieser Einstellung finde ich nicht immer leicht.

Eine französische Märchenadaption habe ich mir da angesehen, „Weiß wie Schnee – wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Regie Anne Fontaine. Eine faszinierend wilde Landschaft war es immerhin, in der das alles dort spielte. Eine wunderbare Hauptdarstellerin (Lou de Laâge) spielte die sich unerwartet freudig an Männer aller Art verausgebende Tochter von besonderer Schönheit. Außerdem war es eine bekannte Story, nett in die Gegenwart versetzt. Es kamen exzentrische Nebenfiguren als moderne Variante der sieben Zwerge vor, und dazu war noch Isabelle Huppert sehenswert als böse Stiefmutter nach Art der Cruella de Vil, es stand ihr ausgezeichnet. Der Prinz fehlte, und niemand hat ihn vermisst. Also es ging schon.

Aber man wird sich an den Film andererseits auch nicht erinnern müssen.

Kurz habe ich danach noch etwas gestaunt, wie leicht diese Geschichte von Schneewittchen für die Gegenwart zu adaptieren war. Das ging so faszinierend gut auf. Dann habe ich weiter überlegt, mit welchen anderen Märchen das wohl ebenso leicht möglich wäre, wie aus denen ein moderner Film oder Roman mit höchstens mäßigem Einsatz von Fantasy-Elementen zu machen wäre. Worüber natürlich enorm viele andere auch schon nachgedacht haben, teils mit Ergebnissen.

Dabei bin ich eingeschlafen und habe abgefahren und fortgeschritten unheimlich geträumt, ausgeprägte Grusel-Grimm-Momente gab es in dieser Nacht.

Jeder ist seines Horrorfilmes Schmied und Märchen vor dem Schlafengehen sind vielleicht doch eher nicht so empfehlenswert, jedenfalls nicht für Erwachsene. Man hat ab einem gewissen Alter einfach zu viel Assoziationsballast.

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Beim Kochen gehört: Eine Folge Radiowissen über Jakob Michael Reinhold Lenz und eine über Sturm und Drang. Ich war kurz etwas weiter zurück orientiert.

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Es starb Ismail Kadare. Ich sehe nach, was er alles geschrieben hat, und ich komme nicht mehr darauf, welche Bücher oder welches Buch ich von ihm kenne. Die Cover passen alle nicht recht zu dem, was ich meine zu kennen, die Inhaltsangaben auch nicht. Aber ich weiß noch, ich war beim Lesen etwa dreißig Jahre alt und die Geschichte hat mein Bild von Albanien dauerhaft geprägt und mich schwer beeindruckt.

Literatur wirkt, auch lange, und selbst ohne präzise Erinnerungen.

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