Und los

Ich sitze am Schreibtisch, der Schreibtisch ist das letzte, was in der Wohnung noch steht. Der Rest liegt mehr oder weniger in Trümmern. Ich fühle mich wie ein Überlebender nach einer Naturkatastrophe, der in sein verwüstetes Heim zurückkehrt und sich ratlos umsieht. Die Naturkatastrophe war in diesem Fall allerdings die Herzdame. Sie hat in der leeren und etwas langsamer schleichenden Zeit zwischen den Jahren festgestellt, dass das Regal aus dem Flur auch prima ins Kinderzimmer passen würde. Und das Regal aus dem Kinderzimmer, das könnte dann doch ins Wohnzimmer. Und wo im Wohnzimmer diese Lücke ist, da könnte man im Möbelhaus am Rande der Stadt nachsehen, was man da hinstellen könnte. Und wenn das neue Stück eine andere Farbe hätte, warum auch nicht, dann könnte man den Rest der Möbel und die Wände anmalen, das müsste doch gehen? Und wenn sie so fragt, dann geht es auch.

Und dann gab es diese Innenumbau-Kettenreaktion, die jeder kennt, der schon einmal ein Bild geradegerückt oder einen Tisch verschoben hat. Alles gerät in Bewegung, alles stürzt auf einen ein, fliegt herum und verdoppelt sich im Volumen, sobald es den angestammten Platz verlassen hat. Das ist wissenschaftlich ungeklärt, aber hinlänglich bekannt. Wenn ich aufstehe, fällt sicher irgendwas um. Ich stehe also nicht auf, ich bleibe einfach hier sitzen. Die Herzdame steht währenddessen mit Farbmusterfächern vor Wänden und murmelt von Altweiß und Taubenblau, ich höre schon seit Tagen nicht mehr zu. Ich passe nur noch auf meinen Schreibtisch auf, ich hänge sehr an ihm.

Andere starten entspannt und fit ins Neue Jahr, wir erstehen eher aus Ruinen auf. Und aus dem Staub der letzten Jahre steigt eine neu dekorierte Wohnung. Zumindest demnächst, wenn der Maler erst da war. So beginnt das Neue Jahr mit glänzenden oder doch wenigstens mit taubenblauen Aussichten. Man muss es als gutes Omen nehmen. Alles. Immer.

(Dieser Text erschien als Sonntagskolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

 

Kurz und klein

The same procedure

In nun schon alter Tradition erscheint hier auch an diesem Silvestertag wieder das bemerkenswerte und mittlerweile als historisch zu bezeichnende Bilddokument, das an einen Silvester-Abend vor vielen Jahren in besonderer norddeutscher Ausgelassenheit erinnert. Deutlich erkennt man die sogenannte Hanseaten-Ekstase in meinem Blick. Denn man muss gerade die süddeutschen und rheinländischen Leser gelegentlich daran erinnern: wir hier oben, wir sind gar nicht so. Wir können auch anders.

Merlix: Silvester
Und weil die Herzdame in diesem Jahr im Blog nennenswert präsenter war als sonst und hier neuerdings auch mit Bildern auftaucht, ergänzen wir erstmalig das entsprechende historische Bild von ihr. Gleicher Abend, einen Meter weiter:

Die Herzdame: Silvester

Wir wünschen einen guten Rutsch und ein wundervolles Jahr 2015 – bewahren Sie Haltung! Bis nächstes Jahr.

Und nie vergessen: Ein Silvester ohne Partyhut ist ungültig.

Und sonst so

Vor dem Jahreswechsel sind noch Schulden abzuarbeiten, ich habe da noch ein paar offene Fragen herumliegen – diesmal u.a. von Pyrolim. Dann wollen wir mal:

Woher stammen Deine Blog-Ideen?

Ich sitze hier einfach herum und warte ab, dass etwas passiert. Da ist man natürlich etwas im Vorteil, wenn man Kinder hat, man wartet nicht besonders lange. Wenn aber wirklich nichts passiert, dann koche ich was.

Mandala

Wie viel Zeit verwendest Du auf einzelne Blogbeiträge?

Wenn es ein Text wird, der potentiell irgendwo vorgelesen werden könnte, lasse ich ihn immer erst eine Nacht liegen und schreibe ihn am nächsten Morgen noch einmal um. Nun lese ich natürlich gar nicht dauernd irgendwo Texte vor, ich mache das sogar eher sehr selten, das ist also nur ein rein theoretischer Anhaltspunkt – wenn es ein möglichst gut formulierter Text sein soll, braucht er immer mindestens eine Nacht. Oder auch zwei oder drei. Ich schreibe in Schleifen, der Text ändert sich bei jedem Durchgang und erst, wenn ich einmal heil durchkomme, ohne etwas zu ändern, ist der Text fertig. Und wenn ich ihn dann auch noch laut lesen kann, ohne weiteren Änderungsbedarf zu hören, dann geht er online. Und wenn er online ist, dann sehe ich sofort, was man noch alles sehr dringend ändern müsste. Deswegen gucke ich ältere Texte von mir nicht mehr an, das würde mich in den Wahnsinn treiben.

Die Einträge zum Kochen oder Backen dauernd manchmal auch ziemlich lange, da kommen die Aufnahmen dazu, die Bildbearbeitung, die Abstimmung mit der Herzdame oder den Söhnen, das Warten auf Licht usw. Und nicht jedes Essen gelingt sofort, manches wird einfach nichts und ich schreibe nicht über misslungene Gerichte.

Welches war Dein erfolgreichster Blogpost?

Die erfolgreichste Seite im Blog ist die über den “Rest von Hamburg”. Und, das ist wohl ganz typisch für das Schreiben in Blogs, mit dem Erfolg habe ich so nicht gerechnet, das war nur so eine kleine Spaßaktion, die dann überraschend groß wurde.

#hamburg

Wie wichtig findest Du Fotos in Blogposts?

Ich finde Fotos sehr wichtig, man kann jeden Beitrag dadurch interessanter machen, das scheitert allerdings oft an der Zeit. Bilder machen kostet Zeit, Bildbearbeitung kostet Zeit, das vernünftige Verschlagworten von Bildern kostet auch Zeit.

Voll fett

Wie oft kommentierst Du in anderen Blogs?

Mitteloft. Oder? Keine Ahnung.

Welches Buch liest Du gerade?

Ein Kamerahandbuch. Und die Lektüre artet allmählich in Arbeit aus. Schlimm.

Welches Land würdest Du gerne einmal besuchen und warum?

Irland. Da wollte ich immer schon einmal hin, das hat sich aber nie ergeben. Ich war dann mehrmals in Schottland, das war auch schön, aber die Sehnsucht galt eigentlich doch der anderen Insel. Vermutlich will ich da schon seit der Werbung mit der irischen Frühlingsbrise hin, das ist schon eine Weile her. Da badeten rothaarige Schönheiten in altmodischen Badewannen, die auf blühenden Wiesen am Meer herumstanden, das fand ich schön.

In welcher Zeit würdest Du gerne einmal für zwei Wochen leben?

Zwei Wochen Anfang der Siebziger im letzten Jahrhundert wären nett. Die habe ich zwar schon einmal erlebt, die wären mir aber aus Recherchegründen bei Familienthemen noch einmal wichtig, da müsste ich um den 17. Juni herum nochmal etwas genauer wissen. Wobei der 17. Juni dabei eine rein private Bedeutung hat, der war bei uns nur ein Feiertag, weil da Oma Geburtstag hatte.

Welche Musik hörst Du gerne?

Das müsste ich nachlesen. Und ich könnte es sogar nachlesen, da ich am Ende eines jeden Monats so eine Liste veröffentliche. Tatsächlich habe ich aber auch diese Listen noch niemals wieder nachgelesen. Vermutlich sind die auffälligsten Konstanten Element of Crime und Leonard Cohen.

Hast Du einen Lieblingsort?

Klar. Ist im nächsten Sommer auch wieder gebucht. Und der sieht übrigens etwas nach der irischen Frühlingsbrise aus, fällt mir gerade auf.

Westerhever

Likörchen

Auch zwischen den Jahren steht der Buddenpütz in seiner Hobbyküche und hat da schon einmal etwas vorbereitet. Nämlich das hier:

Baileys

Das sind 300 ml Whiskey (der sollte eigentlich irischer Herkunft sein, das ist der hier leider nicht, wie der Kenner sofort sieht, das macht aber nichts), 200 g Sahne, 1 große Dose gesüßte (!) Kondensmilch (so etwas zählt also neuerdings zur russischen Küche – nanu!), 1 EL Espressopulver, 1 EL Schokoladensirup.

Damit macht man folgende hochkomplizierte Prozedur: Man schüttet alles zusammen und mixt es kurz und energisch durch. Dabei kann man jüngeren Familienmitgliedern damit auf den Wecker gehen, von alten Zeiten zu schwadronieren, also von der eigenen Kindheit zum Beispiel, in der man Kondensmilch, die kennen die Söhne hier übrigens gar nicht, noch aus der Dose genuckelt hat, einfach so. Weil alle Erwachsenen, besonders die Großmütter, davon ausgingen, dass man davon irgendwann groß und stark werden würde. Das kam bei mir übrigens nicht ganz hin, Bärenmarke hin oder her.

Aber wenn man schon bei diesem schönen Thema ist, kann man nebenbei noch erwähnen, dass es damals auch regelmässig Zuckerei gab, also ein in ein Glas geschlagenes Ei, das mit ordentlich Zucker verquirlt und dann roh getrunken wurde, das galt ebenfalls als Stärkungsmittel. Aber Achtung, nicht jeder junge Zuhörer ist der Vorstellung süßen Glibbers gewachsen. Egal, wenn man schon dauernd älter wird, dann darf man auch von früher erzählen, das gehört dazu.

Hat man jedenfalls so viel erzählt, dass man endlich alleine in der Küche ist, kann man in aller Ruhe probieren, was man da gemixt hat – und versinkt schon wieder in Erinnerungen. Diesmal landet man aber nicht in der Kindheit, diesmal geht es in die Jugend. Man ist sechzehn Jahre alt, man ist Oberstufenschüler. Man hat lange Haare und Pickel, man hat einen Parka und rote Jeans an, hört Neue Deutsche Welle und hat eine Flasche von diesem Zeug unterm Arm, Baileys stand da drauf. Das war der Likör, den man damals umschwärmten Mädchen zu Partys mitgebracht hat, wenn man es ernst meinte. Weil es der Getränk gewordene Puddingtraum war, weil es so schmeckte, als könne es unmöglich irgendwie schädlich oder auch nur stark sein, weil es als äußerst seriöses Erwachsenengetränk beworben wurde, das hatte also Stil. Und weil die Flasche für Schüler irre teuer war, unerschwinglich geradezu und man damit ganz prima seine Wertschätzung gegenüber Angebeteten ausdrücken konnte. Jedenfalls solange man sich nicht dazu hinreißen ließ, über die vorhergehende Beschaffungskriminalität zu reden.

Man selbst trank dann aber auf den Partys doch lieber Bier, denn Likör, versteht sich, Likör ging gar nicht. Likör war genau so schlimm wie der stets mit dem Strohhalm getrunkene Katlenburger Erdbeersekt vom Aldi. Spätestens da hört man dann lieber auf, sich zu erinnern, da wird es dann doch zu schlimm, und Verdrängung ist manchmal auch ganz schön.

Als ausgewachsener Mann kann man natürlich mittlerweile offen zugeben, dass es mindestens zwei Likörsorten gibt, die tatsächlich schmecken, auf Eiscreme oder auch auch ohne. Die eine ist Irish Cream, also Baileys, die andere ist, da bin ich aber womöglich nicht mehrheitsfähig, Eierlikör. Zur zweiten Variante kommen wir womöglich später im nächsten Jahr noch, die erste folgte eben gerade wiederum einem Rezept von Yvette van Boven, diesmal aus ihrem Buch “Home Made Winter”, also aus der kälteoptimierten Fortsetzung von “Home Made”.

Home made winter

Faszinierend jedenfalls, dass diese Irish Cream ziemlich exakt wie das Original schmeckt. Nicht wie irgendein Verschnitt, nicht wie ein netter Versuch – das kommt auf den Punkt hin. Das kann man ganz hervorragend als Last-Minute-Geschenk zur Silvesterparty mitnehmen und auch heute noch einer umschwärmten Dame in die Hand drücken. Und es ist natürlich viel wirksamer, den Likör selber herzustellen, als einfach nur irgendwo eine Flasche zu kaufen. Man hat ja doch mit Liebe am Mixer gestanden! Bei der Herzdame hat bereits der erste Schluck erwartungsgemäß große Freude und einen ähnlichen Backflash wie bei mir ausgelöst, damit werden wir wohl nach und nach noch den ganzen Freundeskreis beglücken.

Baileys

Schnell noch ein Dank…

… an Herrn O.T., der die Jungs mit Musik versorgt hat und an die Leserin Nina, die das essentiell wichtigen Lego-Zubehörteil geschickt hat – ganz herzlichen Dank!

Übrigens das erste Weihnachtsfest, zu dem Sohn I dezidierte Musikwünsche hat – und sogar solche, mit denen man gut leben kann. Er lernt sehr leicht und schnell Texte und kann ruckzuck alles mitsingen, was mehr als einmal läuft, das ist manchmal etwas irritierend – etwa wenn er morgens aufwacht, aus dem Fenster sieht und lauthals in die Straße singt: „Guten Morgen Berlin, du kannst so hässlich sein.“ Der Kenner weiß gleich, das ist von Peter Fox. Und natürlich ist die Aussage auf jede beliebige Großstadt übertragbar, kein Zweifel.

 

Und noch ein Update bei „Was machen die da“

Wir können ja auch anders, wir können auch außer der Reihe. Das letzte Update gab es erst letzten Dienstag, wie sind also eigentlich gar nicht dran – da erscheint heute aber dennoch ein neues Interview. Aus saisonalen Gründen mit genau diesem Timing.

Zum neuen Interview bitte hier entlang.

Und damit ist dann auch „Was machen die da“ für dieses Jahr durch. Der erste Beitrag für 2015 ist aber schon in Arbeit.

Eine Weihnachtsmannfigur

Der Umgang mit dem ganzen Zauber

Sohn II glaubt noch an den Weihnachtsmann, Sohn I nicht mehr. Das stellt man sich schwierig vor, nicht wahr, wie kann das denn gutgehen, liegt da nicht Konfliktpotential? Die beiden reden doch dauernd miteinander? Muss der Zauber denn nicht auffliegen, den man rund um Weihnachten veranstaltet? Es geht aber gut, es geht sogar sehr gut. Weil sie beide ganz genau wissen, dass sie im Recht sind. Sohn II weiß es, weil es Geschenke gibt, das hat er selbst in den letzten Jahren gesehen, dass die plötzlich unterm Baum lagen, einfach so. Das ist eine unumstößliche Tatsache, die muss man nicht diskutieren. Außerdem ist der ganze Monat mit Bildern vom Weihnachtsmann dekoriert, die Erwachsenen reden dauernd von ihm – alles, wirklich alles belegt seine Existenz. Deswegen glaubt er sehr berechtigt, dass es den Weihnachtsmann gibt.

Sohn I dagegen meint zu wissen, dass es den Weihnachtsmann gar nicht geben kann. Denn, ist ja klar, das ist ein Märchen. Der wohnt am Nordpol und bringt Geschenke für alle, haha. Von Wichteln handgedrechseltes Spielzeug, hm? Nein, das kann ihm doch keiner erzählen. Die Welt ist kein Märchenland. Rentiere fliegen nicht, so nett es auch wäre. Alles, wirklich alles belegt die Nichtexistenz des Weihnachtsmanns. Deswegen glaubt er sehr berechtigt, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt.

Und weil beide wissen, dass sie zweifellos richtig liegen, lassen sie einander einfach in Ruhe. Soll der andere doch glauben, was er will, das kann noch so abwegig sein, das ist ja nicht ihr Problem. Brüder sind eben manchmal seltsam.

So wird hier der Familienfrieden gewahrt, weil die Söhne für sich und aus dem Stand heraus gerade die Toleranz in Glaubensfragen erfunden haben. Und wenn die Söhne so etwas mit fünf und sieben Jahren können – sollten es Erwachsene dann nicht auch hinbekommen? Na, war nur so ein Gedanke.

Ich wünsche eine wunderschöne Weihnachtswoche! Mit oder ohne Weihnachtsmann.

(Dieser Text erschien in etwas kürzerer Form als Sonntags-Kolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)