Noch ein Dank…

… diesmal zunächst an eine Herrenrunde, aber das ist natürlich nur Zufall. Es kam Weihnachtspost von Rochus, Andreas und Steffen – ich danke herzlich im Namen der Söhne. Und Rochus, Dein Wunsch wird selbstredend erfüllt, womöglich schon im Januar im Blog.

Post für die Söhne kam auch vom Verlag Hoffmann & Campe. Danke an die Dame mit der Idee! Das ist übrigens ganz seltsam, während man bei anderen Produkten immer darüber nachdenken müsste, was man hier wie genau als Werbung deklariert und ob nicht jede Firmennennung schon als Schleichwerbung verdächtigt und kritisch kommentiert wird usw – bei Büchern und Verlagen ist mir das völlig wurscht. Werbung für Bücher und Verlage ist irgendwie immer in Ordnung.

Ein Update bei „Was machen die da“

Drüben bei „Was machen die da“ haben wir in dieser Woche ein Interview mit Heiko Kunert vom Hamburger Blinden- und Sehbehindertenverein.Das ist lang, es ist sogar sehr lang, es ist aber natürlich auch interessant, da passt das schon.

Sohn I z.B. hat sich das alles sehr genau erklären lassen, jedes Bild und auch das, was da gesagt wird. Wenn Sie auch Kinder haben, zeigen Sie denen ruhig etwas vom Artikel, z.B. die Stelle mit den Wahlen, so etwas weiß ja nicht jeder. Und wenn man dann merkt, wie interessant Kinder das finden, macht der später folgende Absatz über Inklusion gleich noch viel mehr Spaß.

Bitte hier entlang zum Text.

Notiz-Streifen mit Braille-Schrift

Und was ist mit Tee?

Teekanne

Im Wetterbericht stehen für die nächste Woche schon wieder so seltsam schwiemelige Temperaturen, irgendwas um acht Grad herum. Wir hatten früher ja nicht nur nichts, wir hatten auch viel weniger Grad im Dezember, wir hatten da manchmal sogar Schnee. Sohn II hört es und staunt, er hält Schnee mittlerweile endgültig für Märchenzubehör. Immerhin war es aber zwischendurch in den letzten Tagen schon etwas kälter in Hamburg und durch den heftigeren Wind von der Nordsee her sogar ein wenig ungemütlich. Als ich mich vorgestern vom Büro nach Hause wehen liess, habe ich endlich ein wenig gefroren, ein ganz vergessenes Gefühl. Und im Umland gab es tatsächlich Temperaturen unter null Grad! Da ist sogar schon der Grünkohl offiziell freigegeben. Der Grünkohl, den man sonst bei plus zwei Grad auf gar keinen Fall essen darf, weil man sonst von irgendwem ungefragt belehrt wird, ab wann der essbar ist. Selbst dann, wenn man den aus der Tiefkühltheke nimmt.

Bei ausreichender Kälte geschieht mit mir eine seltsame Verwandlung: Ich bekomme Lust auf Tee. Nicht gerade morgens, da könnte ich ohne Kaffee nicht existieren, aber doch am Nachmittag. Tee fällt mir das ganze Jahr über nicht ein, kein Gedanke, keine Option – aber bei Kälte wirkt der Gedanke an eine Tasse Tee plötzlich sinnvoll und schlüssig.

Und da ich ja, wie hier ausführlich beschrieben, etwas mehr in der Küche herumbasteln will, gibt es jetzt selbstgemachten Gewürzteee. Bei selbstgemachtem Apfelkompott wird man zur eigenen Großmutter, bei selbstgemachtem Gewürztee zum eigenen Yogi, immer eine Stufe mehr. Man arbeitet sich langsam hoch. Das Rezept kommt wieder aus diesem Buch von Yvette van Boven:

Untitled

Tee-Rezept

Wir basteln uns also einen Gewürztee, der im Geschmack tatsächlich an den bekannten Yogitee erinnert, auch wenn er vermutlich mit einem Zehntel der Zutaten auskommt. Man braucht nur das hier:

Tee-Zutaten

Nämlich ein daumengroßes Stück Ingwer, einen Zweig Thymian, eine halbe Zimtstange, den Saft von zwei Mandarinen oder Clementinen oder was da gerade herumliegt, sowie frisch gemahlenen Pfeffer. Wenn die Kinder mittrinken wollen, lässt man den Pfeffer besser weg, ich finde ihn allerdings unverzichtbar.

Der Rest ist dann sehr einfach, den Ingwer in Scheiben schneiden, die Mandarinen vom Nachwuchs auspressen lassen, wenn ich dass als Küchenchef mal so delegativ ausdrücken darf. Alles – außer dem Mandarinensaft – in einem Topf mit dem Thymian und der Zimstange aufsetzen. Mit Wasser, versteht sich. Und ohne Mandarinenschalen.

Mandarinen

Zwanzig Minuten bei schwacher Hitze sachte ziehen lassen. Danach den Mandarinensaft dazugeben, evtl. noch Honig. Und zack, hat man einen Gewürztee, der nach wesentlich mehr schmeckt, als drin ist. Der schmeckt tatsächlich so, als hätte man erst stundenlang bei Vollmond -zig Zutaten verrieben. Manchmal ist es ja einfach.

Im Gegensatz zum handelsüblichen Yogitee hat man aber keinen Teebeutel mit fader Kalenderweisheit an der Tasse baumeln, das wird dem einen oder anderen sicher fehlen, man gewöhnt sich auch an so etwas. Mir fehlt das jedenfalls, ich trinke im Winter gerne Yogitee und die Sprüche gehören nun einmal dazu, genau wie die Glückskekse mit Orakelzettelchen zum chinesischen Imbiss gehören. Für das Rundumsorgloswinterteeerlebnis muss man sich also selbst einen Sinnspruch mit fundamentaler Weisheit an die Tasse basteln, aber auch das ist natürlich schnell gemacht.

Teebeutelanhänger

Und in der nächsten Woche mache ich etwas mit ziemlich viel Alkohol und werde mein eigener Wirt. Warum auch nicht.

 

Flitzt, ihr Filme, es ist bald Weihnachten!

Ein Gastbeitrag von Rochus Wolff

Dass ich mit meinen Weihnachtsgeschenken in nahezu jedem Jahr recht spät dran bin, ist mir natürlich alljährlich (und alljährlich ein wenig mehr) peinlich. Dank Blogs und Social Media wissen wir immerhin inzwischen, dass es vielen von uns so geht und es wirklich die entspannte Elite ist, die Anfang Dezember schon ein Häkchen an die Liste macht, sich entspannt zurücklehnt und schon mal ein wenig Glühwein einatmet. Richtig peinlich und öffentlich ist es aber natürlich, mit Texten über Geschenkempfehlungen spät dran zu sein, so wie diesem. Aber weil es ja nun wirklich drängt und ich doch eigentlich so viel lobpreisen will, empfehle ich, zwei Wochen vor dem Fest, noch schnell ein paar wirklich tolle Kinderfilme. Die lassen sich aber auch nächstes Jahr noch verschenken, die werden so schnell nicht schlecht.

Dabei weiche ich elegant den Filmen aus, die es jetzt seit kurzem für’s Heimkino gibt und die ich hier und im Kinderfilmblog schon reichlich beworben und gepriesen habe (namentlich Antboy, mit Rico, Oskar und die Tieferschatten den besten deutschen Kinderfilm dieses ausgehenden Jahres, sowie Pettersson und Findus – Kleiner Quälgeist, große Freundschaft, die aber alle drei ganz großartig sind, sagte ich das schon?), und auch jenen, die sowieso überall beworben werden (etwa The Lego Movie oder den wirklich leider eher sehr grässlichen Muppets Most Wanted).

Wie wäre es denn stattdessen mit einem richtigen Weihnachtsmärchen? Die Legende vom Weihnachtsstern kommt aus Norwegen und ist dort wohl eine durchaus bekannte Erzählung (jedenfalls behauptet das hiesige Filmbewerbungsmaterial das, mir persönlich fehlen die Kenntnisse norwegischer Mythen, um das beurteilen zu können). Da steckt alles drin: eine seit zehn Jahren verschwundene Prinzessin mit dem eher Barbie-haften Namen „Goldhaar“, die sich dann (großer Spoiler!) als inzwischen sehr patentes junges Mädchen herausstellt – geht ja gar nicht anders, wenn man bei einer Räuberbande gefangen war. Zwischendrin hopsen Naturwesen herum, Zauberer und Figuren, überhaupt atmet alles Ronja Räubertochter, wenngleich sehr zeitgemäß aufgetrickst und schmalziger, als es Astrid Lindgren je war (ab fünf Jahren).

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Foto: Polyband

Darf es etwas knarziger sein, aber gleichwohl aus dem Norden? Gerne. Dänemark bringt uns Otto ist ein Nashorn, einen Animationsfilm von sehr eigentümlicher Ästhetik – alles schief und krumm und seltsam gefärbt, jedenfalls nicht gefällig oder landläufig schön. Man muss sich ein wenig darauf einlassen, dann wird es aber rasch ganz wunderbar: Der leicht irre und wirre Junge Topper hat nämlich einen Bleistift gefunden, und was man damit zeichnet, wird alsbald real. Ahnungslos zeichnet er ein riesenhaftes Nashorn an die farbige Wohnzimmerwand, und schon rasch stellt sich ihm und seinem Freund Viggo die Frage, wie man denn bitteschön ein Tier da in der Wohnung füttert, das gar nicht recht durch die Zimmertür hinauspasst? Das ist alles so irr und wirr wie die Hauptfigur, nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Ole Lund Kirkegaard, das man derzeit nur antiquarisch (RoRoRo) bekommt, und das ist eine Schande (ab sechs Jahren).

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Foto: Filmfest München

Für etwas größere Kinder und eigentlich auch fast noch mehr für nostalgisch veranlagte Erwachsene, die sich in die gute alte Zeit zurückwünschen (also in das Jahr 60.000.003 vor Christi Geburt), gibt es noch ein ganz besonderes Geschenkschmankerl: Die Fernsehserie mit dem schlichten Titel Die Dinos ist jetzt endlich als Komplettbox zu haben. Im Grunde ist das eine Familien-Sitcom klassisch-amerikanischer Machart mit Mama, Papa und drei Kindern – zwei Teenager und ein Baby. Der zentrale Unterschied liegt nicht nur darin, dass alle Figuren Dinosaurier sind (man erwarte bitte keine biologisch korrekten Artzuordnungen), sondern auch in der auch für die frühen 1990er noch durchaus direkten Art und Weise, mit der alle möglichen Themen hier angeschnitten wurden: Sex, Rassismus, Bürgerrechte, Ausbeutung und so weiter und so fort bis hin, natürlich, zur Frage nach gefährdeten Tierarten. Nicht ohne Grund gilt die letzte Folge der Serie als berühmt-berüchtigt, mutig bis zur Zuschauerverzweiflung: Das Schicksal der Dinosaurier ist ja bekannt (FSK 6, ab ca. 8 Jahren).

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Foto: Capelight

Ich habe in diesem Jahr auch einen Science-Fiction-Trickfilm wiedergesehen und -entdeckt, den ich als Kind wohl im Fernsehen gesehen haben muss – aus meiner vagen Erinnerung vermute ich, vielleicht nachmittags an einem Wochenende – und von dem mir nur einzelne Bilder und Sequenzen in Erinnerung geblieben waren, vor allem ein paar kleine Männchen mit kugeligen Gliedmaßen. Herrscher der Zeit war das, Les Maîtres du Temps von 1982, eine Zusammenarbeit von René Laloux und dem großen Jean Giraud, besser bekannt als Moebius. Aus einfachen Linien werden seltsame Welten, dahinter versteckt sich, das wird erst in den letzten Minuten wirklich klar, eine tieftraurige Geschichte. Unfassbar schön; das ist hier – wer Moebius’ Comics kennt, wird das ahnen – kein technisch fundiertes SciFi, sondern phantastisches Kino in seiner weitesten Auslegung, die „conditio humana“ berührend. Und bleibt doch zugleich auf der Augenhöhe des noch sehr kleinen Jungen, um dessen Rettung es sich dreht, und der die Wunder einer fremden Welt mit Staunen aufnimmt. (FSK 6, vermutlich ab 10 Jahren)

Zwei Kinderfilm-Lücken möchte ich in diesem Jahr noch schließen, da fehlen Klassiker, das darf man als halbberuflich über Filme sprechender Mensch ja kaum gestehen: Disneys Schneewittchen habe ich immer noch nicht gesehen, den Klassiker des amerikanischen Trickfilms überhaupt, das kann so natürlich nicht weitergehen. Und einer der wichtigsten Miyazakis fehlt mir noch, Chihiros Reise ins Zauberland, auch der soll noch vor Silvester nachgeholt werden. (Beide sind gerade auf Blu-ray neu erschienen, nach allem, was ich gehört habe, sind das auch keine schlechten Geschenke.)

Rochus WolffRochus Wolff ist Filmkritiker, Feminist und Vater, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Im Kinderfilmblog sucht er nach dem schönen, guten, wahren Kinderfilm. Er lebt mit seiner Familie in Berlin und arbeitet hauptberuflich als PR-Mensch und Konzepter für eine Online-Agentur in Süddeutschland.

Und noch ein Dank …

… an die Damen Nicole, Astrid, Sandra und Carola, die den Jungs Weihnachtsgeschenke geschickt haben. Dank gebührt auch einem vollkommen unbekannt gebliebenen Menschen.

Die Geschenke landen zwar alle unterm Baum, wir haben da aber mittlerweise schon traditionell einen separaten Stapel „Post von den Leserinnen“ liegen. Wir schieben diese Pakete also nicht dem Weihnachtsmann unter. Denn ich finde, die Söhne können ruhig wissen, dass da draussen am anderen Ende des Internets echte Menschen sitzen, von denen manche sehr freundlich sind, das kann man auch mit fünf oder sieben Jahren schon verstehen. Im Grunde ist auch das Medienerziehung, denn dass man im Internet mit Menschen umgeht, das ist ja eine eher wichtige Botschaft. Sehr nett, das auf diese Art weitergeben zu können. Für meinen neuen Kolumnisten Jojo etwa, der natürlich etliche der Kommentatoren im Blog oder in anderen sozialen Medien auch persönlich kennt, gibt es keine Trennung zwischen echten Menschen und Menschen im Internet. Es gibt Bekannte und Unbekannte. Ich denke, das ist richtig so.

Kurz und klein

 

Zwischendurch ein Dank …

… an Frau A.H., für das äußerst nette Kompliment an mich und für die Geschenke, die sie den Söhnen vom Wunschzettel ausgesucht hat. Die Geschenke werde ich jetzt leider aus naheliegenden Gründen nicht mehr explizit benennen können – es ist immerhin möglich, dass Sohn I das Blog liest. Und eine Überraschung soll es natürlich noch bleiben, was da geschickt wird.

Ganz herzlichen Dank!

Vitalisiert

Neulich habe ich eine Parfümerie betreten, da fühlte ich mich gerade frisch und im besten Alter. Wie man sich eben fühlt, wenn man einen Herbstspaziergang durch angenehm kühle Luft hinter sich hat. Vitalisiert nennt man das wohl, und das Wort passt auch schön zum Sprachgebrauch in diesen Geschäften. So vitalisiert war ich, dass ich Lust bekam, mal wieder mein Rasierwasser zu wechseln. Was man eben so tut, wenn gerade kein Baum zum Ausreißen herumsteht.

Ich fragte eine junge Verkäuferin nach den Düften eines bestimmten Herstellers. Ich erinnerte mich dunkel an etwas, das ich früher von dem genommen hatte. Sie zeigte mir die Flakons,  aber die sahen falsch aus. Das Design war wohl verändert worden. Ich fragte, ob die Flaschen früher anders gewesen seien? Die Verkäuferin guckte irritiert und fragte, wann denn genau. Ich überlegte. Ich überlegte sogar ziemlich lange und fing schließlich an zu rechnen. Wann hatte ich das Zeug eigentlich genommen? Welche Lebensphase war das denn bloß? Ich versuchte mich an die Umstände und Badezimmerregale zu erinnern, ich zählte Jahre ab, das war gar nicht so einfach. Die Verkäuferin sah mich an, für ihr Alter war sie bemerkenswert geduldig. “Nun”, sagte ich, “es kann fünfzehn Jahre her sein.”

Die Verkäuferin lächelte. Sie stand seit etwa einem Jahr im Berufsleben, vor fünfzehn Jahren hat sie noch Kuchen aus Sand auf dem Spielplatz gebacken. “Wir können die Dame an der Kasse fragen”, sagte sie, “die geht bald in Rente. Vielleicht weiß sie noch was von früher.” Und die Dame an der Kasse sah mich über ihre Lesebrille hinweg verständnisvoll an. Ich verließ den Laden als Senior, der mit einer Ruhestandskandidatin ein nettes Gespräch über damals geführt hat.

Manchmal reicht ein kurzer Dialog, um so schnell zu altern, dass es sich anfühlt wie im Zeitraffer.

(Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

Ein Update bei „Was machen die da“

Wir haben eine Premiere. Das ist natürlich leicht, bei einem so jungen Format, wir haben eigentlich dauernd Premieren. Manche fallen mehr, manche fallen weniger auf. Diesmal sind wir jedenfalls zum ersten Mal beim Interview gegangen. Und gleich quer durch die Stadt, vom Rathausmarkt zur Hafencity, durch Betonelend und über historische Plätze und große Straßen.

Wir haben Hendrik Neubauer getroffen, er ist Moderator in der Stadtplanung. Und was er da so macht, das erklärt er hier und das ging natürlich nur unter freiem Himmel.

Handelskammer Hamburg

November/Dezember

Ich habe neulich beim Lesen der Novembergedichtsammlung von Reclam gedacht, dass es doch schade ist, wie wenig man von den Jahreszeiten mitbekommt, wenn man mitten in der Millionenstadt wohnt. Schon das herbstliche Ziehen der Vögel merken wir kaum, hier sammeln sich keine Schwärme, das machen sie irgendwo da draußen. In Pinneberg oder so, was weiß ich. Stadttauben fliegen eben nicht nach Afrika, Stadttauben fliegen aufs nächste Dach oder in den nächsten U-Bahnschacht. In der Innenstadt stehen auch kaum Bäume, da leuchtet also kein Herbstlaub weit und breit und wenn das Straßenbegleitgrün kahl ist, fällt das gar nicht weiter auf. Und gerade die Stille, die man sich zum Finale des Herbstes im November doch geradezu zwingend hinzudenken muss, damit das alles vernünftig auf uns einwirken kann, sie findet hier nicht statt.

Manchmal wäre ich gerne öfter auf dem Land, nur zu Besuch, versteht sich, um so etwas genauer mitbekommen zu könnnen. Und auch, um es den Kindern zu zeigen, wie das alles eigentlich gehört. Gerade nach dem vollkommen schneelosen letzten Winter weiß doch zumindest Sohn II überhaupt nicht mehr, wie die Jahreszeiten gemeint sind. Aber dann gibt es Momente in der Stadt, da geht es doch, da sieht man den Kalender ganz deutlich vor dem Fenster. Ein Abend Ende November, der Dezember rückt mit Macht heran und wir haben beide Monate in einem Moment gesehen, ganz genau sogar. Und das kam so:

Wenn die Herzdame ausgeht, schlafen die Söhne und ich im Wohnzimmer. Eine Tradition, deren Ursprung ich schon gar nicht mehr weiß, aber wann immer sie zum Tanzen oder sonst wohin geht, bauen wir uns ein Lager auf dem großen Sofa, auf dem man sehr bequem zu dritt liegen kann, und schlafen dort. Da reden wir dann abends noch etwas länger als sonst, und sehen gemeinsam raus, denn vom Wohnzimmer aus hat man Ausblick, richtig guten Ausblick. Über den Spielplatz hinweg auf die alte Kirche, deren Turm nachts angeleuchtet ist und sich würdevoll über die Altbauten daneben erhebt. Das ist wirklich ein ziemlich schönes Stück Stadt, ein Bilderbuchausschnitt. Man kann zusehen, wie in den Häusern um den Spielplatz herum die Lichter an- und ausgehen, man sieht Menschen an Fenstern stehen oder auf Balkone treten, um zu rauchen. Und neuerdings sieht man auch Vögel.

Da denkt man erst, man guckt nicht richtig, weil man sie nur als wilde Schattenfetzen wahrnimmt, aber nach einer Weile erkennt man es dann doch. Da fliegen Vögel vor dem Fenster herum, noch Stunden nach Sonnenuntergang. Krähen sind das, die auf der großen Eiche schlafen, die mitten auf dem Spielplatz steht. Eine Großfamilie von Krähen, um die fünfzig vielleicht. Sie sitzen in der Eiche, wippen auf den dünnen Zweigen und man wundert sich, warum sie nicht auf den dicken Ästen sitzen, das müsste doch viel bequemer sein? Sie sitzen und wippen lieber auf dürren Zweigen im Wind und wenn in den Häusern ringsum eine Tür zuknallt, dann fliegen sie alle auf. Fliegen auf und drehen eine schnelle Runde um den Kirchturm und um den Block, flattern lautlos durch die Nacht, zwei Runden, drei Runden bevor sie wieder landen. Sie krächzen nicht, sie schlagen nicht laut mit den Flügeln, sie huschen sehr schnell vorm Fenster vorbei wie Novembergespenster. Wenn man die dunkle Bewegung am Rande des Blickfelds wahrnimmt, sind sie auch schon wieder weg.

Der Himmel ist leer, dann ziehen fünfzig Schatten vorbei, eine schwarze Wolke senkt sich auf die Eiche. Ganz selten ein leises Krächzen, als hätten sie Ruhezeit und würden jetzt nur noch das Notwendigste sagen. Tagsüber krächzen sie unentwegt, nachts schweigen sie sich an, eine eingeschworene Gemeinschaft, eine verdächtige Bande. Da, wo heute der Spielplatz ist, war früher ein Friedhof, es gibt Details, die man gerade im November erwähnen muss.

Ich liege mit den Söhnen im Dunkeln auf dem Sofa und beobachte die Vögel. Wenn man geduldig wartet und genau aufpasst, sieht man sie deutlich vor dem Himmel, und da fällt Sohn I zum ersten Mal auf: Hier wird es gar nicht richtig dunkel. Der Himmel ist grau, nicht schwarz, und es ist nicht einmal ein sehr dunkles Grau, es ist ein helles Grau mit einem Stich ins Gelbe, es ist ein Nachthimmel über der großen Stadt. Schmutziggelb, diesig und unklar. Keine Sterne über Hamburg, fast nie, schon gar nicht im November. Aus den Fenstern ringsum das goldene Licht der Wohnzimmerlampen, dazu weißes Licht der Autoscheinwerfer, die lange Spuren durch die Nacht ziehen, rot blinkende Flugzeuge ziehen darüber hin. Wir sehen uns all die Lichter an, die dem Schwarz keine Chance lassen. Nachtschwarz sind hier nur die Krähen, die Novembervögel, die unruhige Truppe, die beim leisesten Geräusch auffliegt, obwohl die Vögel all die Geräusche der Menschen doch längst kennen müssen. Immer noch eine Runde um den Kirchturm, als gelte es, noch schnell ein wenig zu spuken, schwarzes Flügelvolk vor düsterem Backsteingemäuer. Wenn man vor der Kirche steht und hochsieht, genau diesen Anblick kennt man aus Gruselfilmen, es fehlt nur noch ein voller Mond mit ein paar dekorativ vorbeijagenden Wolkenfetzen davor.

Die Söhne und ich lauschen, es ist auch nicht still. Da fahren Autos durch die Stadt. Einige hört man ganz deutlich heraus, einige fahren an unserem Haus vorbei, der weiter entfernte Verkehr summt unentwegt um uns herum, das hört nie auf. Da hinten spielt Musik, irgendwo muss eine richtig große Party sein. Autotüren klappen, Hunde bellen, jemand ruft irgendwas, man versteht es nicht. Jemand ruft jemandem etwas hinterher, eine Frage vielleicht, eine Unfreundlichkeit, ein Gruß. Schritte auf dem Fußweg, die Leute gehen schnell, es ist kalt da draußen, der Frost ist hinter den Leuten her. Dann fährt ein Auto weg. Die Vögel kreisen schon wieder, das Grau des Himmels schwarz durchflockt, all die Geräusche ringsum etwas gedämpft in dicker Großstadtluft. Das ist November in Hamburg. Die Vögel kreisen und kreisen und durch die Schar hindurch sieht man, dass seit heute im oberen Kirchturmfenster wieder der große Stern leuchtet, wie in jedem Jahr. Der leuchtet da bis nach Weihnachten, ich weiß gar nicht, wie lange, das folgt bestimmt irgendeiner christlichen Regel, die ich wieder nicht kenne. Der Stern sieht jetzt aus, als würde er blinken, das liegt aber nur daran, dass die Krähen immer wieder daran vorbeiflattern. Der Stern blinkt den Dezember heran, mit noch mehr Licht in der Stadt und einem großen Themenwechsel, und Sohn II stellt ganz richtig fest: “Da hängt schon Weihnachten im Turm.”

Und in der nächsten Woche steht jetzt ein Schneeflöckchen im Wetterbericht. Wenn es tatsächlich fällt, muss es vielleicht für die Naturbeobachtung im Dezember reichen. Ich werde berichten.