Woanders – Der Wirtschaftsteil

Gemüse selbst anzubauen ist sicher eine feine Sache, aber leider heillos kompliziert. Das wächst alles nicht ganz von selbst, das muss alles irgendwie gepflegt und gehegt, begossen und behütet werden und die meisten von uns haben die paar tausend Jahre Erfahrung der Vorfahren damit leider nicht mehr parat. Und die Großmutter ist vielleicht auch gerade nicht verfügbar, die womöglich noch weiß, was mit einem Samenkorn genau zu tun ist. Sehr praktisch, wenn man dann so ein Set hier greifbar hat. Es sieht ein wenig so aus, als würde es bei einem schwedischen Möbelhaus an der Kasse liegen, und vielleicht tut es das ja auch bald. Passt schon.

Man hat nach Gebrauch des Sets jedenfalls Lebensmittel, die so was von regional sind, dagegen sind die vom Bio-Wochenmarkt schon von weit her. Oder auch nicht, es ist eben alles eine Definitionsfrage. Dazu mehr bei der Stiftung Warentest. Was ist regional?

Die Süddeutsche berichtet von der Nordic Diet und radikaler Regionalität. Früher waren die Radikalen links oder rechts, heute sind sie regional, warum auch nicht. Schon einmal Fichtensprossen probiert?

Und während wir liebevoll an der Bio-Balkon-Tomate herumgärtnern, denken wir mitleidig an die Kunden in den Fast-Food-Restaurants, die nicht nur grauenvolles Essen bekommen, sondern auch nicht mit Geld umgehen können, aber das haben wir uns natürlich schon gedacht.

Aber man soll auch nicht immer glauben, die Welle des Trends zu reiten, wenn man es gar nicht tut. Zwei Drittel der Menschheit essen Insekten, wir noch nicht. Man ist eben immer bei irgendeinem Thema auch hoffnungsloser Late-Adopter. Aber wenn man die Wahl hat zwischen Gen-Food aus den USA und schmackhaften Raupen aus der Region? Denkt man dann um? Na, so lange wir noch ein Drittel der Lebensmittel hier wegwerfen, ändert sich wohl wenig.

Genug von Lebensmitteln, vielleicht lesen Sie das hier gerade im Urlaub, da wird eh gegessen, was auf den Tisch kommt. Das ist alles bezahlt, das muss alles weg. Vielleicht ärgern Sie sich dann aber beim Lesen auf dem Smartphone schon über die Kosten für das Lesen? Das geht Nico Lumma ganz ähnlich.

Auf Reisen lebt man aus dem Koffer oder aus dem Rucksack, das ist natürlich eine hervorragende Gelegenheit, noch einmal über den Minimalismus nachzudenken und sich zu fragen, was man wirklich braucht und warum eigentlich.

Und wenn die Reise nach Spanien führt, das wäre immerhin kein völlig absurder Zufall, dann achten Sie doch einmal im Stadtbild von Villariba oder Villabajo auf Mütter mit Babys. Vielleicht fällt Ihnen etwas auf. Wer mehr Geld zur Verfügung hat und Fernreisen macht, der landet vielleicht sogar auf Kuba. Dort dann aber bitte nicht auf Babys achten, sondern auf 120-jährige Rentner.

Wer auf irgendeine kleinere Insel reist, Helgoland oder Graciosa etwa, der kann dort auch einmal über die Energieversorgung nachdenken, die man für die Menschen dort braucht.

Oder Sie reisen in die USA, dort sind Sie als zahlender Gast wahrscheinlich willkommen. Hier ein paar Bilder von Menschen, die dort überhaupt nicht willkommen sind.

Und wer nicht ans Mittelmeer, sondern an die Nord- oder Ostsee fährt, der blickt auf ein Meer, in dem es wieder ein paar mehr Fische gibt. Auch schön.

Egal an welchem Meer, den Smalltalk-Bereicherungsbegriff der Woche kann man an jeder Küste und in jedem Urlaubsort verwenden, denn die Plastisphäre ist immer nur einen Wellenschlag entfernt.

Genug gereist, ökologisch sinnvoller ist es sicherlich, Reisen gar nicht erst anzutreten. Im Lande bleiben, zuhause bleiben, auf dem Balkon bleiben. Dort wachsen immerhin die weiter oben bereits erwähnten Tomaten, auch schön. Die könnten aber einen schickeren Blumenkasten gebrauchen, und den kauft man natürlich nicht, den baut man selbst. Ab in den Baumarkt!

Der Design-Link der Woche schließlich für ein Auto, das aus dem Kofferraum heraus eine Solar-Ladevorrichtung entfalten kann, die sehr nach Science-Fiction aussieht. Oder nach halb-organischen Autos. Ist dies vielleicht bald das Land, wo die Autos blühen? Auch das wäre natürlich ein ökologischer Fortschritt. Wer hätte das gedacht.

GLS Bank mit Sinn

Kurz und klein

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Woanders – diesmal mit Neusprech, einem Beatboxer, Helgoland und anderem

In der NZZ geht es um Neusprech. Das wird inhaltlich nicht jedem gefallen, interessant ist es aber allemal. Ich enthalte mich einfach noch ein paar Jahre dezent der Meinungsbildung, ich weiß nicht recht. Ich habe aber neulich doch sehr gelacht, als ich am Kiosk einen Text über mich in einer großen deutschen Frauenzeitschrift suchte. Denn in der beginnt das Editorial tatsächlich mit der Anrede “Liebe Leser”. Kein Scherz.

Anders-anziehen über eine Restauratorin.

Film: Ein wirklich erstaunlicher Beatboxer.

Bilder: Das Flugzeug von Led Zeppelin.

Bilder: Ich habe tatsächlich in diesem Happy-Family-Blog hier noch nie irgendwas gelesen, ich sehe mir da immer nur die Bilder an. Klingt nicht so, als würde es für das Blog sprechen, ist aber doch so. Und obwohl ich meine Kinder nie so im Internet präsentieren würde, bin ich oft gerade von den Familienszenen da fasziniert. Wie gekonnt die aufgenommen sind, wie wenig inszeniert die oft aussehen, wie schön viele sind. Und dann frage ich mich, warum ich so etwas nicht auch aufnehme, wenn schon nicht für die Öffentlichkeit, dann doch für die private Erinnerung? Das wäre doch toll? Die Antwort ist natürlich ganz einfach: Weil ich es schlicht nicht kann. Aber ab und zu neidisch hingucken, das kann man ja. Man versteht wahrscheinlich, was ich meine, wenn man da im Blog etwas zurückblättert. Da ist auch vieles dabei, das ich eher kitschig finde, aber gerade die eher alltäglichen anmutenden Bilder gefallen mir.

 

 

Auf Eiderstedt

Eiderstedt ist das Gegenteil von Hamburg-Mitte, deswegen müssen wir da ab und zu mal hin. Um uns daran zu erinnern, dass es menschenleere Wege auch noch gibt. Dass es die gute Luft noch gibt, den unverbauten Horizont und den ungeheuren Himmel, dass es noch frei vagabundierende Wolkengebilde und absurd viel Gegend gibt.

Unbenannt

Einmal zum Leuchtturm von Westerhever laufen, durch Salzwiesen und Schafschiet. Am Parkplatz steht der freundliche Mann, der den ganzen Tag an jedem Autofenster “Moin Moin, drei Euro” sagt, immer wieder. Ein Tourist fragt ihn nach der Uhrzeit. Der Parkplatzwächter schiebt die Dienstmütze hoch und fragt zurück: “Machen sie hier Urlaub oder wat?” “Ja”, sagt der Tourist. “Na, dann ist die Uhrzeit auch egal”, sagt der Parkplatzwächter und wendet sich dem nächsten Autofenster zu.

Unbenannt

Immer wieder Gegend angucken. Das macht man als Hamburger im Alltag eher nicht so, aber hier muss man das dann. Das kennt das Auge gar nicht mehr, dass es so weit kommt.

Unbenannt

Und immer gucken, wer guckt. Das macht man als Hamburger natürlich auch, aber hier ist es anders.

Unbenannt

Das Bodenständige an den Nordfriesen lieben, den Sinn für das Praktische und Sinnvolle.

Unbenannt

Da müsste man öfter hin, in die Gegend. Denke ich jedes Jahr. Und dann klappt es wieder nicht.

 

Woanders – Der Wirtschaftsteil

Biodiesel klingt toll, ist es aber gar nicht. Denn Biodiesel ruiniert anderweitig den Urwald. Nicht alles mit der Vorsilbe bio ist super. Siehe auch viele  Biologielehrer. Kleiner Scherz. Welche Folgen die Brandrodungen für Palmöl haben, sieht man im Bild etwa hier, im folgenden Text eine beeindruckende Aufnahme aus Singapur.

Unser Land ist übrigens auch nicht mehr so super, und das ist nicht einmal politisch gemeint. Sondern bezogen auf die Infrastruktur, die laut der Zeit sichtbar vor die Hunde geht. Na gut, das ist dann wohl doch politisch.

Und das betrifft natürlich auch Radwege. Vermutlich kann jeder deutsche Großstadtbewohner ein Lied davon singen, ob nun im Ruhrgebiet, in Hamburg, Berlin oder München. Und das, obwohl doch 2013 das Jahr ist, in dem wir zum ersten Mal das Wort “Fahrradstau” in den Nachrichten lesen. Sogar der Papst fährt jetzt Rad. Vielleicht jedenfalls . Und das ist ja nicht von Pappe, so eine symbolische Nachricht.  Der im zuletzt verlinkten Text eingebettete Film ist übrigens nicht nur wegen des Fahrrades interessant. Es ist auch ein schöner Film über Arbeit und Leidenschaft und Erfindungen.

Bei SPON kann man nachlesen und rechnen, ob man zur Mittelschicht gehört oder womöglich doch darüber oder darunter angesiedelt ist. Lautet die Diagnose Mittelschicht, wird einem gleich eine weitere Diagnose mitgeliefert: Selbstbetrug.  Mit einem letzten Satz zum Ausschneiden und Einrahmen, das ist immer ein netter Service.  Und wenn man beim Lesen denkt, dass der Text irgendwie seltsam nach taz klingt – das erklärt sich, wenn man den Kasten zur Autorin liest.

Wenn man zur Unterschicht gehört, dann hartzt man womöglich. Die SZ hat einen Artikel über die neuen Begriffe im Duden, die in erstaunlichem Ausmaß einen ökonomischen Hintergrund haben.

Wer einen neuen Duden schon im Regal hat, kann schnell nachsehen, ob das Verb containern auch schon drinsteht. Oder vielleicht plastikfasten? Findet man die Umsonstläden im Buch? Zu diesen und anderen Themen gibt es jedenfalls hier in einem Blog eine aktuelle Linkliste. Und wenn man übrigens so viele Klischees in einen Text packt, dass man denkt, es kann beim besten Willen keine einzige sachliche Aussage mehr hineinpassen, was hat man dann? Einen SPON-Artikel über ökologisch ambitionierte Studenten.

Einen neuen Begriff wollen wir noch erwähnen, er gehört zum längsten Text, den wir heute verlinken. Es geht um die Internet-Wirtschaft, um eine Branche, die womöglich durch den NSA-Skandal angeschlagen ist. So angeschlagen, dass man auf Neunetz von einem Super-Gau für den Wirtschaftsstandort Deutschland lesen kann – und von Never-Adoptern. Vielleicht ein Begriff, den man sich merken muss.

Never-Adopter wissen natürlich auch nicht, was eine Cryptoparty ist. Aber wir hier, in unserem kleinen Kreis hypermoderner Weltverbesserer und Topchecker, wir wissen das jetzt. Das Dumme ist aber, dass wir, die wir das wissen, auch ein gewisses Risiko haben, als digitale Tagelöhner zu enden. Fatal.

In den letzten Woche hatten wir etliche Links zu Kaffee oder Kakao, da ging es in den Texten um Schäden oder Mängel in Südamerika und Afrika. Man kann natürlich auch an beliebige andere Rohstoffe denken, um über die Schäden oder Mängel dort zu berichten. Nehmen wir etwa seltene Erden, die es entgegen landläufiger Meinung nicht nur in China gibt.

Aber seien Sie bitte äußerst vorsichtig bei den Texten, die hier verlinkt sind. Die stehen nämlich alle in irgendwelchen Medien und verblüffend viele Deutsche meinen, die seien sowieso alle korrupt.

Der Design-Link der Woche geht, es ist immer noch Reisezeit, an diese Liste mit coolem Campingzubehör. Was wäre Camping ohne Gadgets.

GLS Bank mit Sinn

Radfahrer bitte absteigen

Unbenannt

 

Der Campingplatz bei Pelzerhaken an der Ostsee lag direkt am Strand, zwischen Platz und Strand nur ein schmaler Kiesweg. Keine Promenade also, eher ein Wanderweg. Ich habe der Herzdame die Kinder in die Hand gedrückt und bin diesen Wanderweg entlang gegangen. Ich fühle mich an neuen Orten immer erst wohl, wenn ich weiß, was man alles zu Fuß erreichen kann. Jedem seinen Spleen, ich weiß. Nach Norden hin ging es nach Rettin, hübsch am schnell steiler werdenden Ufer entlang. Heckenrosen, immer diese Heckernrosen am Ostseestrand, mit dem penetrant süßen Duft. Ein schwerer, lieblicher Geruch, die Hummeln auf den Blüten wirken nicht umsonst wie besoffen. Rechts also erst die Heckenrosen, dahinter die Ostsee. Links die Dauercamper mit den seltsam akkurat gestalteten Parzellen. Alles sehr sauber, ordentlich, gründlich gefegt, geputzt. Gartenzwerge, bunt bemalte Muscheln und hübsch geformte Steine. Gehäkelte Schutzdeckchen auf Gartenmöbeln. Vorzelte in Streifenmustern aus den Siebzigern, der Rasen gestylter als auf jedem Golfplatz. Bierbäuche bei den Herren und Dauerwellen bei den Damen. Freundliche Menschen, die Dauercamper, da gibt es nichts. Mit denen kann man über den Zaun nett ins Gespräch kommen. Wenn man zwischen ihnen zeltet, sind sie gastfreundlich und hilfsbereit. Auch wenn man das seltsam irritierende Gefühl nicht los wird, mit Menschen aus einer Gerhard-Polt-Szene zu reden.

Rechts also die Ostsee, links die Dauercamper. Vorne Rettin, das sah nicht aus, als sei da viel los. Was natürlich nicht gegen Rettin spricht, im Gegenteil, verschlafene Küstenorte können auch ihren Charme haben. Aber doch erst einmal umgedreht und die andere Richtung genommen. Links die Heckenrosen und die Ostsee, rechts die Dauercamper. Befremdlich für mich auch die Fahnenmasten vor den Wohnwagen, so etwas habe ich nie verstanden. Flaggen von Deutschland, vom HSV, von Bayern München, vom BVB, von Polen. Eine polnische Flagge zwischen drei deutschen, da werden Zeichen gesetzt. Es sind erstaunlich viele Polen auf den Campingplätzen, ich nehme an, sie arbeiten hier an der Küste. Ein Wohnwagen nach dem anderen auf dem Rasen, einer größer als der andere, immer noch einer und noch einer, Campingplätze können weitläufig sein. Limousinen mit Hamburger Kennzeichen, wenn man nachfragt, erfährt man, dass viele Camper aus Volksdorf kommen, aus den Walddörfern, aus Niendorf. Die haben alle ein Haus mit Garten in Hamburg und bauen hier eine Miniversion davon aus Plastik. Ich muss auch nicht alles verstehen, denke ich und gehe weiter.

Links also wieder die Ostsee, rechts immer weiter die Camper, dann plötzlich ein Schild am Weg: “Radfahrer bitte absteigen, Friedhof”. Mitten auf dem Wanderweg, direkt am Meer. Der Ehrenfriedhof für die etwa 7.000 Toten der Cap Arcona und der Thielbek. Das Unglück ist nicht sehr bekannt, die Sache mit der Wilhelm Gustloff scheint man in Deutschland viel eher zu kennen, vermutlich weil sich der Grass daran abgearbeitet hat, nein, weil es einen Film darüber gibt. Nicht einmal bei den Dauercampern, die ein paar Meter weiter grillen, kennt man die Geschichte der Cap Arcona oder auch nur das Ehrenmal. “Nee, da waren wir noch nicht. Wir gehen da gar nicht lang.” Die Radfahrer jedenfalls, die den Wanderweg entlangkommen, sie steigen tatsächlich ab, wie auf dem Schild verlangt, ich habe mir das eine Weile angesehen. Sie steigen ab und wenn sie zum ersten Mal da sind, dann bleiben sie vor den erklärenden Tafeln stehen und lesen erst einmal. Dass sie dabei den Helm abnehmen, es ist eine ganz, ganz feine Ironie der Geschichte.

Sie steigen ab, lesen die Gedenktafeln, drehen sich um und sehen auf das Meer. Irritiertes Kopschütteln, noch einmal nachlesen, was da auf den Tafeln steht, wieder auf das Meer sehen. Da ist so ein Guckrohr, man kann dadurch sehen, wo die Cap Arcona lag, als sie sank, das Schiff ist in den Blick gezeichnet. Überforderte Eltern stehen dabei, die nicht wissen, wie sie das, was da steht, ihren sechs-, acht- odder zehnjährigen Kindern erklären sollen. Kinder, die manchmal auch selber lesen und nichts begreifen. Kinder, die auf das Meer starren, wo die Schiffe damals untergingen. Entsetzte Nachfragen, tief durchatmende Eltern. Wie soll man das erklären, ich könnte es auch nicht. Ich verstehe die Eltern, die unsicher nach Worten und Sätzen suchen. 7.000 Menschen, KZ-Häftlinge fast alle. Auf dem Gedenkstein stehen die Nationen, aus denen sie kamen. Franzosen, Belgier, Litauer, Polen, Russen, Tschechen, die Liste ist lang, sie hört gar nicht auf. Auf den Gedenktafeln steht auch, die Schuldfrage sei ungeklärt. Nanu, denke ich. Über gewisse andere Vorkommnisse in Neustadt zu gleicher Zeit im Jahr 45 steht da nichts, im oben verlinkten Wikipedia-Eintrag findet man das im Abschnitt “Stutthoff-Häftlinge”. Vielleicht wird das in der Stadt in den Museen erläutert, ich weiß es nicht.

Das Meer funkelt natürlich blau wie im Bilderbuch, weiße Segel kreuzen alle paar Minuten die Stelle, an der die Schiffe sanken. Bis in die sechziger Jahre hinein fand man hier noch Menschenknochen am Strand, steht in der Wikipedia, das wusste ich bisher nicht. Die Radfahrer steigen am Ende des Ehrenmals, wo der Weg normal weiter geht, wieder auf ihre Räder. Auf dem Rückweg steigen sie hier dann wieder ab, ich finde das gut. Ich finde auch Stolpersteine gut, bei denen man sich runterbeugen muss, um sie zu lesen. Ich finde es gut, wenn die Gegend sich erklärt, ich finde es richtig, zu gedenken. Meine Großelterngeneration war an der Zeit, der hier gedacht wird, in der einen oder anderen Weise beteiligt. Das ist keine Geschichte des Mittelalters, das war gerade erst. Da kann man schon einmal absteigen.

Ich sage einem Dauercamper, ich sei bei dem Ehrenmal gewesen, er fragt, was das denn eigentlich sei. Ich schildere ihm, was man da sieht, worum es geht. “Ach”, sagt er, “Cap Arcona. Das Schiffsunglück. Aber das war ja nicht hier.” “Doch”, sage ich und zeige auf die Ostsee, “das war genau da.” “Ach?” sagt er und schüttelt den Kopf. Das wusste er nicht.

 

Das einfache Leben

Unbenannt

 

Wir haben am Wochenende etwas Camping gemacht. Im Zelt. Auf einem Campingplatz. Am Meer. Das fällt also klar unter “was tut man nicht alles für die Kinder”, manchmal staunt man über sich selbst. Wir haben uns extra ein neues Zelt gekauft, ein etwas gigantomanisches Wurf-Zelt, das baut sich praktisch alleine auf, es ist wirklich beeindruckend. Zehn Minuten und man kann einziehen. Also was man beim Camping eben so Einzug nennt.  In Wahrheit ist es bekanntlich so, dass man neben seinem Zeltplatz parkt, eine Autotür öffnet und sich genau von diesem Augenblick an irrsinnig viele Gegenstände aus dem Auto heraus scheinbar eigenmächtig über den Platz verteilen, es ist eine Art Explosion des Zubehörs. Ab der zweiten Minute nach der Ankunft sucht man schon irgendetwas, ab der dritten sind auch die Kinder aus dem Auto gestiegen und mit Zeug in beiden Händen Richtung Strand durchgebrannt. Was hatten die beiden jetzt gerade in der Hand? Wasserpistolen oder Trinkflaschen? Wo sind eigentlich die Heringe? Wo ist der Autoschlüssel? Wo die Sandalen? Und wo die Herzdame? Ah, da. Mit dem Kopf im Gebüsch, die sucht auch irgendwas.

Man sammelt alles wieder zusammen, man baut auf, richtet ein, kramt herum, sortiert, wirft alles ins Zelt. Dann macht man das Zelt von außen zu und wenn man vorsichtig das Ohr daran hält, dann kann man hören, wie die Gegenstände darin leise durcheinanderkrabbeln, sich verwirren, verknoten, verschieben und umschlingen. Nach einer Stunde ist alles nur noch ein amorpher Haufen Ausrüstung, in dem das Gesuchte immer ganz unten liegt. Man kommt am einfachsten ran, wenn man alles andere noch einmal rauswirft, so dass vor dem Zelt bald schon wieder ein Teppich aus Dingen liegt, der an den Seiten ausfranst, wo die Kinder spielen. Die Kinder finden andere Kinder, die nehmen auch irgendwas mit oder schleppen irgendwas an, ich denke unwillkürlich an Ameisenkolonnen, die Blätter und Beute herumtragen, und wem gehört denn bloß dieser Eimer?  Hello Kitty? Hä?

Wir liegen im Gras, die Sachen liegen im Gras und weiter unten schwappt die Ostsee herum. Wir raffen Dinge zusammen und schleppen sie zum Strand. Die Dinge stürzen sich in den Sand und graben sich ein, es ist unheimlich, was sie hier für ein Eigenleben führen. Aufblasbare Spielzeuge wehen völlig losgelöst Richtung Lübecker Bucht, Sand kriecht in Trinkflaschen und Kekspackungen. Über allem ein penetrant süßer Geruch nach Heckenrosen und Sonnencreme und Kindheit, und wenn der Wind richtig steht, dann riecht es auch ein wenig nach Meer. Der Weg zu den Toiletten ist weit, der zum Kiosk erst recht. Das Auto steht in der anderen Richtung und essen wollen wir später bei den Freunden mit dem Wohnwagen, das ist dann wieder woanders. Die Herzdame, die Söhne und ich ziehen in verschiedenen Richtungen und mit verschiedenen Bedürfnissen über den Platz. Jeder trägt irgendwas mit sich herum, mit einiger Sicherheit ist es das, was ein anderes Familienmitglied gerade sucht. Ein Geduldsspiel könnte man sich nicht vertrackter ausdenken.

Die Sonne brennt. Das ist ein Satz, mit dem in diesem Jahr keiner mehr gerechnet hat, aber sie brennt tatsächlich, also suchen wir auf dem Campingplatz nicht nur Zeug und die anderen, wir suchen auch noch Schatten. Wir suchen Zeug, Angehörige, Schatten und etwas Essbares. Und Trinkwasser. Wenn man am Strand im schmalen Schatten der schützenden Sonnenmuschel liegt und Durst hat, muss man erst zurück zum Zelt, um die Flasche zu holen, die man vergessen hat. Nur um im Zelt zu merken, dass die Flasche längst leer ist und man zum Kiosk muss, der natürlich in der anderen Richtung liegt. Man geht zum Kiosk, ganz langsam, denn es ist heiß. Man kauft Wasser und trinkt auf dem Weg zum Strand schon einmal die halbe Flasche aus, das gluckert nur so weg. Wenn man am Strand angekommen ist, muss man bereits auf die Toilette, aber die ist da ganz hinten. Und das geht immer so weiter, jede Handlung ist absurd verworren, unpraktisch und heillos verkompliziert. Jedes Bedürfnis wird hier zur Aufgabe oder zum Strategiespiel, denn wir müssen bei allem auch noch Wertsachen und Kinder im Auge behalten. Das Handy hat keinen Empfang, das fällt als Hilfsmittel aus. Wenn die Herzdame außer Sichtweite ist, dann war es das mit der Abstimmung. Ich kann ihr natürlich ein Kind hinterherschicken, aber ich weiß nicht, ob es mit erfülltem Auftrag wieder zurück kommt oder vielleicht mit drei anderen Kindern oder einem gefundenen Hundewelpen oder einem toten Fisch im Zustand fortgeschrittener Verwesung.

Alleine für das Frühstück mit Familie und Freunden und deren Kindern brauchen wir fast drei Stunden inklusive Vorbereitung und Abwasch. Die anderen Mahlzeiten gestalten sich ähnlich langwierig und dann gehen wir ins Bett, das dauert auch fast zwei Stunden bis alle geduscht sind, umgezogen, eingetütet. Zack, Tag vorbei. Und weil ich es eh nicht ändern kann, ergebe ich mich schon gleich nach dem Aufwachen in dieses seltsam veränderte Leben. Ich gebe alle Eile auf und denke nur noch bis zum nächsten Kaffee, bis zum nächsten Reißverschluss, bis zum nächsten Wasserhahn, bis zum Grill. Ich mache im Grunde gar nichts, abgesehen von der Befriedigung elementarer Bedürfnisse, und sie kosten mich tatsächlich den ganzen Tag.  Das ist dann allerdings ein Tag, den ich wundersam entspannt verbringe, weil ich morgens schon weiß, dass ich sowieso nichts erreichen kann, außer am Abend wieder da zu liegen. Auf der Isomatte im Zelt, in dem der Rest der Familie schon schläft. Mehr ist nicht zu gewinnen. Das ist wirklich einfach und fühlt sich ungewohnt gründlich nach Urlaub an.

Vielleicht ist das der eigentliche Charme des Campings. Man macht sich das Leben künstlich so heillos kompliziert, dass alles plötzlich wieder ganz einfach ist. Ich habe es geschafft, einen Schluck Wasser zu trinken. Ich habe meine Schuhe gefunden. Ich habe in Ruhe eine Tomate gegessen. Hey, toll.

 

Durchs hippe Holstein

Mit ein wenig gutem Willen kommt man auf dem Weg zur Nordsee von Hamburg aus auch an der Ostsee vorbei. Doch, das geht. Und da sieht man dann retro-urbane Leuchtreklame, da können die Hipster in Berlin nur neidisch gucken. Hier ein Beispiel aus Neustadt.

Unbenannt

Und im nahegelegenen Rettin findet man dann auch dazu passende Bade-Stege im dezent nostalgischen Design.

Unbenannt

Ich finde das schön, wenn Seebäder so mit der Zeit gehen.

Woanders – diesmal mit durchsichtigem Glas, Jogging, dem Bitchy Resting Face und anderem

Mein Bruder hat Kunden, und manchmal treten Sie paarweise auf.

Das Nuf joggt. Ich übrigens neuerdings auch und ich muss natürlich noch drüber schreiben, aber jetzt muss das ein paar Tage warten, sonst klingt alles so ähnlich wie hier. Schlimm.

Hier ein Aufklärungsfilmchen (englisch) über ein Problem, das auch in Hamburg stark verbreitet ist: Bitchy Resting Face.

Fotos von Männern in den Kleidern ihrer Frau oder Freundin.

Constantin Seibt über Stil. Feiner Text. Besonders toll der Hinweis auf den Salglarismus.