Gewidder

Sonntag, der 15. Oktober, haben wir diesen Monat auch schon wieder halb geschafft, wie isses nun bloß möglich.

Am Morgen gelesen: Ein Update zur Lage der Hilfen am Hamburger Hauptbahnhof: Es ist kompliziert.

Und dann, noch viel komplizierter, dieses Interview bei der Republik zur Lage in Israel und Gaza, das vermutlich nach ein paar Tagen nun schon veraltet ist. Dennoch lesenswert.

Den Erskine Childers endlich durchgelesen, Rätsel der Sandbank. Ich habe den seglerischen Teil vermutlich vollumfänglich nicht verstanden, aber das machte nichts, ich mochte immerhin das Fachvokabular, das Gefühl kennt man vielleicht auch von der Lektüre der Werke von Joseph Conrad. Jetzt wieder weiter in den Briefen von Bukowski, der gerade seine Bio und ein Bild von sich an einen Verlag schicken soll und sich und den Briefempfänger fragt, was Bio und Bild denn bitte mit seinem Werk zu tun haben sollen. Ja, so kann man das auch sehen. Ein belesener Mann mit einer Vorliebe für Bier und Bach war er, der Bukowski. Belesener jedenfalls als man womöglich denkt, wenn man zunächst nur den vulgären Part der Gedichte im Sinn hat. Als ich ihn damals gelesen habe, mit siebzehn vielleicht, da war es sozusagen noch ein Akt des Widerstandes, solch verkommenes Zeug zu konsumieren. Wenn man sich heute die allgemeine und rapide fortschreitende Verspießerung der Welt so ansieht, dann wird es das auch bald wieder sein. Kulturgeschichtliche Loops, bei denen mich nur überrascht, dass sie innerhalb meiner Lebensspanne passieren. Ich hatte schon verstanden, dass es diese Loops nahezu unweigerlich gibt, aber dass sie so schnell durchlaufen werden, binnen so weniger Jahrzehnte, damit hatte ich wahrhaftig bis vor kurzer Zeit nicht gerechnet.

Auch etwas Lyrik gelesen, die Herzdame hat mir sämtliche Bücher mit Gedichten aus dem Garten mitgebracht, es ist ein Segen. Und ich sehe gerade, es gibt die Tonspur von Peter Rühmkorf zu „Bleib erschütterbar und widersteh“ auf dieser Seite, vom Dichter selbst eingelesen, das vielleicht einmal kurz anhören. Es könnte gerade als passend empfunden werden.

Neulich bin ich in Övelgönne an dem Haus vorbeigegangen, in dem er gewohnt hat, der Rühmkorf, oben das Mansardenzimmer, da hat er am Schreibtisch gesessen und getrunken, gekifft und gedichtet. Aber er hätte sich wohl nicht träumen lassen, welche Unzahl von Touristinnen da jetzt täglich vorbeiströmt, der Weg an der Elbe entlang ist voll wie der Hauptgang einer Einkaufspassage zwei Wochen vor Weihnachten, man rempelt sich da so durch, und dann noch die irren Radfahrer, die dort gar nicht fahren dürfen, die ausschließlich männliche Form passt in diesem Fall schon. Eine Gedenktafel steht vor dem Haus, die nimmt allerdings kaum jemand zur Kenntnis, man guckt doch eher zu den Schiffen auf dem Fluss, guck mal, guck mal, Container.

Dann noch Down by law von Jim Jarmusch bis zum Ende gesehen, ich finde die Leistungen der Schauspielerinnen und Schauspieler und die des Kameramanns nach wie vor ganz und gar hinreißend. Das märchenhafte Ende hätte ich nicht mehr gewusst, es ist nebenbei auch interessant, was das Hirn einem alles an Erinnerungen streicht. Am Ende hat man mehr Gutes erlebt, gehört, gesehen und gelesen, als es einem klar ist, stellen Sie sich das bitte mal kurz vor.

Und auf arte diese Doku über Italo Calvino gesehen, die, so nehme ich an, vermutlich nur für die interessant ist, die seine Bücher gelesen und gemocht haben – dann aber schon. „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“ halte ich immer noch für ein sehr gutes und auch empfehlenswertes Buch über das Lesen und Schreiben, ich könnte glatt noch einmal hineinsehen. Es ist mir auch als gutes Winterbuch in der Erinnerung geblieben, es fiel Schnee auf den Seiten.

Außerdem die Deutschstunde von Siegfried Lenz weiter gehört. Der Sprecher, Reiner Unglaub, spricht die norddeutschen Figuren sehr breit, also so breit, wie man eben reden kann, wenn man nicht plattdeutsch spricht, und ich muss aufpassen, dass ich nicht auch in diesen Slang verfalle, es ist doch sehr anziehend und auch heimatlich für mich. Gewidder statt Gewitter, fast schon Gewiddä. Allerdings beim Hören dadurch auch immer wieder vollkommen unpassende Assoziationen an Meister Röhrich aus den Werner-Filmen, der doch literarisch eindeutig in eine etwas andere Kategorie fällt.

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Im Bild heute die Alster an den Arkaden vor dem Rathaus, mit einem dekorativen Schwan, bei dem ich allerdings ganze sechzehn Minuten warten musste, bis er passend stand. Ich habe genervt auf die Uhr gesehen, bis er Kopf und Hals endlich einmal dekorativ und erwartungsgerecht gehalten hat, der wollte nämlich lieber sein Untergefieder dauerhaft mit unschön verrenktem Hals durchschnubbeln.

Na, was tut man nicht alles für ein Bild.

Die Alsterarkaden vor grauem Himmel, ein Schwan im Vordergrund auf einem schmalen Steg an der Rathausschleuse

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Sirenen im Soundtrack der Stadt

Sonnabend, der 14. Oktober. Der Freitagabend, noch nachzutragen. Es wird auf einmal wärmer, in wenigen Stunden passiert das, und es weht ein unheimlicher Wind wie aus südlichen Gegenden, wobei mir, ich erwähnte es bereits, warmer Wind unheimlich ist, ich bin norddeutsch geprägt. Warmer Wind hat für mich immer eine leicht satanische Anmutung, bei warmem Wind kann nichts Gutes passieren. Die Luft ist überaus seltsam dick und schwer, das Licht ist gelblich, gewittrig, unwetternah, fair is foul and foul is fair, hover through the fog and filthy air. Wobei der Nebel unzutreffend ist, aber wann passt Shakespeare schon detailgenau. Nebenbei ein später Dank an meine Englischlehrerin in der Oberstufe, dass ich das heute noch auswendig weiß. Ein ganzes Jahr lang nur Macbeth, Zeile für Zeile, es hatte doch Folgen.

Es sind die letzten Stunden vor der von West heranrollenden Kaltfront, die dem Spätsommer verlässlich binnen Stunden den Rest geben wird, da sind sich die Wetterberichte einig wie selten. Die Menschen sitzen also noch einmal draußen, bestellen noch einen Drink und dann noch einen, einen allerletzten diesmal, die Außengastro im Viertel ist noch einmal voll besetzt. Die ersten Tropfen fallen aber schon, Wolken ziehen auf, man trinkt schneller, man sieht zwischen zwei Gläsern auch immer wieder zum Himmel und morgen früh werden es dann zehn Grad weniger sein, man weiß es ja, nur vorstellen kann man es sich nicht recht.

Ich gehe meine Abendrunde. Vor dem Bahnhof mehrere Hundertschaften der Polizei, ein gigantisches Aufgebot, mehr denn je vermutlich. Sie sitzen in Mannschaftswagen, sie stehen auf dem Hachmann-Platz, auf dem Heidi-Kabel-Platz, sie gehen durch die Wandelhalle und ums Gebäude herum, sie rennen zwischendurch auch in geordneten Trupps. Alle in schwerer und voller Montur, unzählige parkende Einsatzfahrzeuge, ich sehe Lautsprecherwagen, ich sehe Spezialgerätschaften, und ich höre dann die Durchsagen: „In unmittelbarer Nähe findet ein Einsatz statt. Distanzieren Sie sich deutlich von Straftaten …“ Es geht um eine propalästinensische Demo, die vorher verboten wurde. Alle Aktionen dieser Art wurden in der ganzen Stadt verboten, wenn ich es richtig mitbekommen habe. Ein paar Protestierende kommen erwartungsgemäß dennoch und wollen Fahnen schwenken etc., das wird dann verhindert. Viele Demonstranten waren es nicht, soweit ich sehen konnte, aber ich räume doch lieber zügig das Feld, die Situation ist entschieden unheimlich.

Später lese ich, dass da so ziemlich alles stand, was Hamburg an Polizei zu bieten hat, und wenig ist das also nicht. Es kam auch zu kleineren Auseinandersetzungen mit den Demonstranten, aber verglichen mit den Erwartungen lief es ruhig ab. Und, ein Vorgriff auf die nächsten Tage, die Polizeipräsenz wird weiterhin hoch bleiben, am Bahnhof, in der Stadt, sicher auch vor den jüdischen Einrichtungen etwa am Grindel. Viel mehr Uniformen als sonst gibt es auf einmal in den Straßenszenen, viel Blaulicht im Verkehr, viele Sirenen im Soundtrack der Stadt. Es erinnert alles ein wenig an G20, woran sich allerdings niemand gerne erinnern möchte. G20? Wir kennen hier kein G20, wir wissen nicht, wo das liegt.

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Zur Entspannung Alsterschiffe.

Die beiden Akstercabrios der weißen Flotte, aufgenommen bei Regen, die nassen, leeren Sitzreihen

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Währenddessen in den Blogs

Der Newsletter von Frau Frohmann, und der von Nils Minkmar.

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Beispielhaft Frau Novemberregen mit einer von schon wieder vielen Impfgeschichten. Saisonbloggerei. Zu diesem Text gibt es eine Spiegelung bei Frau Fragmente.

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Herr Mu sitzt wieder an der Bushaltestelle.

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It’s five o’clock

Freitag, der 13. Oktober. Vorweg ein Dank, es gab freundliche Geschenksendungen und die Freude ist groß über Kopfhörer, sie wird in Kürze vermutlich auch groß sein beim Adressaten des Igelfutters und bei den diversen Interessenten an dem Rieseneimer mit Erdnüssen. Ganz herzlichen Dank!

Es ist der letzte Schultag der Söhne, dann haben die schon wieder zwei Wochen tiefenentspannte Ferien und ich nicht. Bei mir wird es vermutlich sogar eher gegenteilige Effekte geben, es wird mehr zu tun geben auf gleich mehreren Baustellen, was sind das wieder für Fehlentwicklungen. Der Stress-Herbst ist unabhängig vom phänologischen Herbst, so viel steht jedenfalls fest. Vorsicht bei der Berufswahl! Seit ich einen Job habe, ist das letzte Quartal stets das anstrengendste, auch das habe ich nicht richtig gut eingerichtet. Wie so vieles, Herr Buddenbohm, wie so vieles.

Ich überlege am Morgen länger herum, ob ich nun krank bin oder nicht und entscheide mich dann unter Ausblendung tiefschürfender Fragen, denn wer ist schon wirklich gesund, für das Home-Office, stets strebsam und pflichtbetont. Na, es geht so, und es ist dann auch ein ruhiger Tag.

In der Küche liegen drei Steckrüben aus dem Garten, die ich im Laufe des Nachmittages in Eintopf verwandle, der, man muss sich zu seltenen Gelegenheiten auch einmal selbst loben dürfen, erstaunlich gut schmeckt und, was noch viel bemerkenswerter ist, sogar einem Sohn. Unerwartete Erfolge, morgen dann die gewagte Steigerung mit Kürbislinsensuppe, die rettende Tiefkühlpizza für den Nachwuchs liegt in diesem Fall allerdings bereit. Der zu verarbeitende Hokkaido kommt dabei auch von der eigenen Parzelle, der Herbst ist nahrhaft, wie es sich gehört. Wobei wir es in diesem Jahr nur zu einem einzigen anständigen Kürbis-Exemplar gebracht haben, das ist unser Negativrekord. Egal, man kann im Garten immer alles auf Wetter und Klima schieben und muss sich mit schuldhaftem Verhalten oder mit Problemen durch Unterlassen gar nicht erst befassen. Auch das ist ein Vorteil der Gärtnerei, sie entlastet ungemein.

Am gestrigen Abend noch ein einigermaßen seltsames Vorkommnis, denn auf der Straße vor dem Haus hielt ein Auto, aus dem laute Musik kam. Das passiert hier oft, cruisende Jugendliche sammeln andere ein oder laden sie aus, irgendwie scheint sich die Straßenecke vor unserer Haustür dazu anzubieten. In aller Regel ist die Musik, die dabei zu hören ist, eher nicht in meiner Geschmacksrichtung, versteht sich. Aus diesem Auto aber kommt tatsächlich Aphrodite’s Child, die hier auch im Blog schon einmal vorkamen. Eher exotische Musik aus heutiger Sicht, und auch solche Musik, bei der man leicht denken kann, dass man doch vermutlich der letzte Mensch ist, der so etwas noch hört, was natürlich grober Unfug ist. Mein verstorbener Schwiegervater hätte das Stück, genau wie ich, sofort erkannt, da bin ich mir sicher, It’s five o’clock.  Man beachte bitte, wie ausgesprochen muppethaft Vangelis an der Orgel sitzt, es ist zu und zu schön.

Noch schöner wäre die Situation um genau five o’cloock gewesen, aber gut, man kann nicht alles haben.

It’s five o’clock and I walk through the empty streets

Thoughts fill my head

But then still

No one speaks to me

My mind takes me back

To the years that have passed me by.

It is so hard to believe

That it’s me

In the window pane

Wer kennt es nicht. Man könnte glatt wieder ein wenig in die Musik der Sechziger abtauchen, wenn man schon dabei ist.

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Im Bild noch eben ein Blick vom Jungfernstieg über die Binnenalster.

Der Bug eines Schiffres der weißen Flotte auf der Alster, aufgenommen vom Jungfernstieg aus, man sieht den Namen des Schiffes: Susebek.

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Heute außen herum

Donnerstag, der 12. Oktober. In der Innenstadt hängt alles voll mit Naziparteiplakaten, ich sehe es beim abendlichen Spaziergang am Mittwoch und ich würde lieber daran vorbeisehen; aber es sind wirklich viele. Irgendwo dazwischen ein einsames SPD-Plakat, schon in sich zusammengesunken, wie die ganze Partei. Dann ein durchgeknallter Messias-Verschnitt, geifernd, brüllend und mit den Händen und der Bibel fuchtelnd steht er da und wettert auf Passanten ein. Etwas weiter wieder wie immer der auf der Kiste und mit dem Plakat, das in wirren Worten zur Umkehr mahnt, wohin auch immer. Jeden Tag steht der da, das ganze Jahr, bei jedem Wetter, und immer guckt er enttäuscht, sicher weil niemand umkehrt. Ein Straßenmusiker flötet im Sitzen am Wegesrand ohne erkennbare Melodie auf einem Plastikinstrument, er macht eher ein nervtötendes Dauergeräusch als Musik. Ein anderer geigt gekonnt und wirbt auf Flyern für seinen Instagram-Auftritt. Teenie-Mädchen stehen kichern vor ihm, er redet nach einem Stück auf Englisch mit ihnen. Junkies wanken hier und da durch die Menge und betteln mit erhobenen Bechern, ein Mann mit verbogenen Gliedmaßen schiebt sich auf einem Skateboard sitzend vorwärts, die verkrüppelten Füße schleifen über das Pflaster. In einem Deko-Laden hängt schon ein leuchtender, funkelnder Schriftzug: „It’s Christmas time“ und in den Hauptbahnhof eilen gerade Bundespolizisten im Laufschritt, es kommen immer noch mehr nach. Da gehe ich dann heute lieber einmal außen herum.

Spaziergänge durch diese Stadt sind auch nicht immer erholsam, das wollte ich nur eben sagen. Aber an der Binnenalster der Ausblick.

Zwei Schiffe der weißen Flotte auf der Binnenalster vor herbstlich graudunklem Himmel, im Hintergrund das Finnlandhaus und die Alsterfontäne, ein ICE auf der Brücke fährt gerade zum Hauptbahnhof, eine rot leuchtende Hamburgflagge

Ich melde mich am Morgen krank, ich lege mich wieder hin, nachdem alle aus dem Haus sind und der Morgen geregelt. Wieder in den Schlaf fallen wie ein Lot in unsicheres Gewässer, es war wohl nötig. Von draußen erst Baustellenlärm, the jackhammer’s digging up the sidewalks again, man müsste Tom Waits dabei hören. Dann die selbstverständlich benzinbetriebenen Laubbläser auf dem Spielplatz. Es liegt kaum Laub dort, es fällt ja nichts, aber Termin ist Termin, muss man sich wohl vorstellen, und sie gehen also weisungsgemäß im Kreis und blasen Staub. Dann der haltende Lieferwagen mit den Getränkekisten vor der Tür, hinter dem alle hupen, man hat es hier nicht so mit der Ruhe. Dazu noch die Türklingel, Pakete für die Nachbarn, Werbung, sonstige Postdienste und auch die verrückte Nachbarin. Ich stelle dann die Klingel aus.

Ein Tag im Dämmerzustand, Batterien neu laden. Es gelingt so leidlich.

Die Herzdame ist währenddessen wieder auf Dienstreise, diesmal in Soltau, neulich war sie in Ulm, davor in Dortmund, alles so Städte, über die man in einem Quiz irgendwas wissen müsste, aber sich doch nicht ganz sicher ist. Ich lese über Soltau in der Wikipedia nach:

„In Soltau kam es kurz vor der Befreiung der Stadt durch alliierte Truppen im April 1945 zu einem Verbrechen an entflohenen KZ-Häftlingen. Diese hatten sich aus einem zerbombten Güterzug in Soltau befreien können. In den folgenden Tagen wurden über 100 von ihnen durch Angehörige der Wehrmacht, SS, der örtlichen Hitlerjugend sowie von einigen Soltauer Bürgern gejagt, eingefangen und anschließend an Ort und Stelle oder an Sammelplätzen im Stadtgebiet erschlagen bzw. erschossen. Unter Lebensgefahr unterstützten einige wenige Bürger Geflohene mit Nahrungsmitteln und Kleidung. Gerichtsverfahren gegen Beteiligte in der Nachkriegszeit endeten mit Freisprüchen aus Mangel an Beweisen. Zur Erinnerung an diese in Soltau ermordeten Menschen wurde 2007 nahe der Tötungsstelle ein Mahnmal aus acht Musterstelen des Berliner Holocaust-Mahnmals errichtet.“

Musterstelen an der Tötungsstelle, wie intensivdeutsch klingt das denn.

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So trotten die Füße ergeben

Mittwoch, der 11. Oktober. Zunehmendes Unwohlsein ohne bemerkenswerte Symptome, eher einfach so, als sei die Batterie komplett alle oder als habe die Schwerkraft in letzter Zeit erheblich zugenommen. Was mich allerdings auch nicht mehr wundern würde. Einfach nur eine weitere fatale Entwicklung, man nimmt es dann so hin, was soll man auch machen.

Aber apropos Schwerkraft.

Wir haben das Schweben verlernt,
Weh uns, wir kleben am Weg.
Vom Leuchten der Sterne entfernt,
Die Flügel gesenkt und träg,
So trotten die Füße ergeben.
Ach, Liebster, bevor es zu spät,
Versuchen wir’s, uns zu erheben.

Die Kaléko war das, von der ich jetzt auch gerne mehr lesen würde, wenn das Buch mit ihrem Gesamtwerk nicht dummerweise in der Laube liegen würde, wie auch der ganze Trakl, der jetzt doch ebenfalls herbstbedingt dringlich wird. Ich werde am Wochenende also in den Garten müssen, um die Bücher zu holen, denn auch Lyrik ist ein Rückzugsort, und so etwas braucht man jetzt. Ich zumindest.

Das vorhin zitierte Gedicht (Für Chemjo zu Pessach 1944) gibt es auch wunderbar vertont von Dota Kehr, auf ihrem sehr, sehr empfehlenswerten Album „Kaléko.“

Ansonsten Office-Office. Auf dem Rückweg nach Hause erwische ich eine Stunde des plötzlichen Temperaturrückgangs, kühler weht der Wind. Ich habe es heute mit den Gedichten und Liedern, und was da von West über uns kommt, das hat in den Böen eine erste Ahnung von Winterjackenwetter.

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Im Bild heute wieder einmal die liebliche Architektur Hammerbrooks. Das Bild täuscht nicht, dieses Gebäude ist tatsächlich tiefschwarz, und man möchte lieber nicht wissen, was im Kopf von Leuten vor sich geht, die so etwas entwerfen und dann ernsthaft denken: Sieht doch gut aus. Die Zentralen von Berufsgenossenschaften findet man hinter diesen Fassaden, sie gehören wohl, zumindest dem baulichen Anschein nach, zur dunklen Seite der Macht. Nanu.

Büroarchitektur in Hammerbrook, die Fronten eines schwarzen Kastens, finster und abweisend aussehend

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Der Wind um die Häuser und Häfen

Dienstag, der 10. Oktober. Ich höre auf meinen Wegen ein neues Hörbuch, die Deutschstunde vom Lenz. Ein Buch, an dessen Handlung ich mich ausnahmsweise sogar noch einigermaßen erinnern kann, ich werde es mit etwa 18 Jahren gelesen haben, damals als dickes dtv-Taschenbuch. Ich wusste allerdings nicht mehr, dass Lenz recht ansprechend beschreibt, ich kann es daher diesmal kulissen- und stimmungsbetont hören, es geht mir nun mehr um die Bilder, wie etwa der Polizist vom nördlichsten Posten Deutschlands da bei „barschem Nordwest“ mit aufgeblähtem Umhang über den Deich gegen den Wind radelt, als warum er das tut und mit welchen Folgen für den weiteren Verlauf der raumgreifenden Handlung.

Und da ich abends noch im Erskine Childers lese, Rätsel der Sandbank, das ebenfalls in Norddeutschland spielt, in ähnlichem Nordwest, habe ich auch da wieder einen Literaturakkord, denn der Childers schreibt noch geradezu munter auf die großen Kriege des letzten Jahrhunderts zu, der Lenz dann langsam und schwermütig von ihnen weg, und sie tun es beide, während der Wind um die Häuser und Häfen heult, die sie in ihren Texten vorkommen lassen.

Die Herzdame hat am Wochenende im Heimatdorf Sachen aus ihrer Kindheit wiedergefunden, etwa einen Nicki-Sport-Pullover, den trägt sie jetzt und es ist merkwürdig, den zu berühren, wie lange habe ich so etwas nicht gefühlt. Nicki-Stoff, der nach vielen Waschgängen und langem Liegen im Schrank etwas hart geworden ist der dann aber doch geschmeidig und plüschig wird, wenn man ihn trägt. Und dann diese engen Bündchen, die man damals noch an den Pulloverärmeln (und an den Schlafanzügen) hatte, dazu dieses Achtzigerjahreblau, man könnte sich erinnernd ins Textil fallen lassen.

Der Pullover hat am Bauch eine heute eher seltsam anmutende Tasche mit Reißverschluss, da hat man damals wohl die Monatskarte reingetan. Oder das Telefongeld, ein längst seltsam gewordenes Wort.

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Im Bild das Ufer der Bille an der Grenze zwischen Rothenburgsort und Hamm.

Ein lilafarbenes Hausboot vor grauem Himmel über Hamburg-Hamm

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Saisonanfang

Montag, der 9. Oktober. Ich stolpere am Sonntag bei Recherchen über die Seite eines Autographenhändlers (keine bezahlte Werbung) und muss mich dann sehr zusammenreißen, dort nicht stundenlang Handschriften anzusehen. Zu und zu faszinierend finde ich so etwas, hier etwa die Abteilung Dichtung.

Vor der Bäckereikettenfiliale um die Ecke sehe ich beim Brötchenholen eine weitere Eskalation des Personalmangels, auf den mittlerweile gewohnten Schildern mit der Suche vor der Tür wird jetzt darauf hingewiesen, dass man bei der Bewerbung keinen Lebenslauf und kein Anschreiben mehr benötige, was mir ziemlich kurz vor „Kommen Sie doch bitte, bitte rein und machen Sie irgendwas bei uns“ zu sein scheint. Weiterführende Gedanken zur Zuwanderung und zu Menschen, die warum auch immer nicht arbeiten dürfen, bitte selbsttätig ausführen, man kann die logischen Brüche manchmal kaum noch ertragen und das letzte Wochenende war auch etwas demotivierend, was das Nachdenken betrifft. To say the least.

In den Timelines nach den Wahlen einige Topcheckerinnen, die genau wissen, was jetzt politisch zu tun sei, ich dagegen weiß es nicht. In den Timelines auch einige Journalistinnen, die sich mit einem Anflug von Selbstkritik nach dem Wochenende fragen, ob nicht vielleicht auch die Medien … da bloß nicht antworten. Contenance.

Die Familie kränkelt ansonsten. Am Morgen die Zustände abfragen und die Lage klären, wer kann oder muss wohin, das Virenkarussell. Ich mache dabei bisher nicht mit, merke aber die Abwehrleistung meines Immunsystems, ein Gefühl permanenter Überforderung der körperlichen Art, ohne überhaupt etwas zu tun oder zu leisten. Es passt harmonisch zur seelischen Überforderung durch die Nachrichtenlage, es ist insgesamt alles etwas anstrengend gerade, nicht wahr.

Wenigstens ist das Wetter gut, also schlecht. Es regnet unentwegt, es wird kühler, und wenn der Wetterbericht nicht täuscht, wird der Restsommer zum Wochenende hin endgültig abgeräumt. Ich friere am Montagmorgen auf dem Weg zum Büro erstmals sogar etwas und gebe daher im weiteren Verlauf des Tages Herzensternebrezeln frei, die Familie dankt es mir enthusiastisch: Saisonanfang, wir schalten um. Und in den Mails die Adventstextanfragen.

Im Gegenzug bringe ich den Ventilator und damit also den Sommer in den Keller.

Und an einem Fleet in Hammerbrook sehe ich an diesem Tag doch noch etwas buntes Laub. Allerdings sind es welkende Blätter an Kastanien, und da weiß man dann wieder nicht, ist es der obligatorische Schädlingsbefall, ist es der Herbst. Es ist auch dabei alles eventuell schlimmer als es auf den ersten Blick aussieht. Das zieht sich so durch.

An den Stromkästen im Stadtteil aber, ich nahm es neulich im Vorbeigehen auf, wird Mut gemacht.

Ein Aufkleber an einem Stromkasten: "Keine Angst, das wird schon!"

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Und die Kraniche über uns

Sonntag, der 8. Oktober. Vorweg einen herzlichen Dank an die beiden Menschen, die gestern, vorgestern etwas in den Hut geworfen haben, sehr und ungewöhnlich großzügig, ich freue mich!

Nebenbei entempöre ich meine Timelines trotz oder auch wegen der Weltlage weiter, es wird nie einen wirklich passenden Moment dafür geben. Ich trenne mich per Mausklick insbesondere von denen, die alle paar Minuten das nächste „Schlimm! Schlimm!“ zur deutschen Politik posten oder reposten, denn ich finde das zwar fast alles auch schlimm, möchte das aber nicht mehr permanent und womöglich in Großbuchstaben um die Ohren geschlagen bekommen. Ich befriede mich online ein wenig und hege mich ein.

Biedermeier-Abwägungen, versteht sich, nur nichts machen, ohne sich zu hinterfragen. Aber dann auch wieder die Nutzenfrage. Es bringt mir einfach nichts, permanent im Gefühl der Empörung zu verharren. Es ist zweifellos richtig, gegen vieles zu sein, meinetwegen auch für vieles, und das mit Nachdruck sogar, aber man kann es ja dosiert, an den richtigen Stellen und in den passenden Momenten ausdrücken und in Taten und Worte umsetzen, etwa bei Wahlen oder in Gesprächen mit den zahllosen Verwirrten. Man muss es nicht blutdruckrelevant aufwallend immer wieder mitfühlen, stündlich oder gar minütlich aktualisiert.

Aber gut, das richtige Maß muss dabei jede für sich finden, und es wird erheblich variieren, vielleicht sogar nach Tagesform. Ich fand es auf eine Twitter eine ganze Weile lang auch interessant so, in all der Hektik, Aufgeregtheit und in der rasenden Taktung, ich finde es nun nicht mehr. Man muss seine Lebensphasen auch in seinem Medienkonsum abbilden – zur Weltgeschichte passt das dann allerdings nicht zwingend.

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Am Morgen gelesen, es fügt sich gut nach dem letzten Absatz, aber das ist ein Zufall: Es gibt ein neues Buch über Adelbert von Chamisso, und schon beim Lesen der Rezension kann man etwas lernen und seine Allgemeinbildung anreichern: „Matthias Glaubrecht: Dichter, Naturkundler, Welterforscher – Adelbert von Chamisso und die Suche nach der Nordostpassage.

Und übrigens noch einmal eine Empfehlung, man kann sich auf der Seite Nachrichtentisch ein eigenes Medienmenü anlegen und recht elegant durch die Überschriften der deutschen (und anderen) Medien scrollen, nach Ressort und Region sortiert. Über die Einstellungen das Passende aussuchen, speichern und auf Auto-Update stellen, ich finde das enorm nützlich so und habe etwa die Rezension gerade eben so gefunden.

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Ich lese etwas über Ludolf Wienbarg nach, der Ihnen nicht zwingend geläufig sein muss, aber das ist der, der den Begriff „Junges Deutschland“ geprägt hat, Sie erinnern sich noch aus dem Deutschunterricht vielleicht, Vormärz etc., da war doch was. Ich komme über einen Helgolandbezug zu ihm. Er hat über die Insel geschrieben, wenn auch nicht gerade herzlich zugeneigt, er war allerdings auch nicht eben freiwillig dort, mehr der Not gehorchend. Er hat dabei auch, ich lese es wohl noch einmal genauer nach, die Anfänge des Tourismus kommentiert.

Wienbarg war später ein Opfer des Alkohols und starb schließlich in einer Heilanstalt in Schleswig, in der wegen Verfolgungswahn war, und diese Heilanstalt, das ist die, welche Sie vielleicht aus den Büchern vom Meyerhoff kennen: „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war.“

Solche Bezüge finde ich immer faszinierend, auch wenn sie sonst überhaupt nichts aussagen, es ist nur etwas, das zusammen anklingt. Ein Literaturakkord.

Das Titelblatt einer alten Ausgabe von Wienbargs "Tagebuch von Helgoland"

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Kraniche ziehen am Nachmittag rufend über das Viertel, die Menschen stehen mit den Köpfen im Nacken auf den Wegen, zeigen mit den Fingern und sehen ihnen nach, ein jähes lyrisches Empfinden auf den Gesichtern.

Na, was ich mir so einbilden möchte.

Und hier noch eben ein Bild vom Rathaus.

Das Hamburger Rathaus, die Abendsonne spiegelt sich in den Fenstern, vom Innenhof aus aufgenommen

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Währenddessen in den Blogs

Frau Herzbruch zu den Wahlen und zur Zukunft. Anderweitig: Verzweifelter Mut.

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Meike zum Doomscrolling

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Zerbrochenes Radioporzellan

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Die Fortsetzung des Autokaufs bei Vanessa. Und hier schreibt sie über die Möw-e, es bleibt elektrisch, und hier reist sie mit einer Anmutung von Derrick. Man merkt, ich bin Vanessa-Fan.

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Weiteres zu e-Autos außerdem hier: Deutsche Reichweitenangst.

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Kunst in der Regentonne

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Anke zitiert über Herrndorfs Schuhe.

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