Währenddessen in den Blogs

Mit diesem Satz noch einmal sehr weit im Kreis herum denken.

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Christian im ersten Teil des Textes über Inklusion und Faschismus, mit einer Schlussfolgerung zum Thema, die ich leider teile. Vielleicht demnächst noch etwas mehr dazu.

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Die Kaltmamsell hat den Barbie-Film gesehen. Das haben wir auch noch vor, aber mir fällt gerade auf, dass wir das wohl auch praktisch angehen müssten, damit es stattfindet, und hier scheint mir ein Problem zu liegen. Das mal angehen!

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Nächtliche Panzerknackerbegegnungen

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Ein Bericht aus China (auch in den Texten davor mehr dazu)

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Der Bericht des Torwächters

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Man kann Blog auch lesen, um fremde Welten kennenzulernen, sei es nun örtlich oder auf einer etwas anderen Ebene, mehr inhaltlich, so geht es mir zumindest, wenn ich etwa Berichte von Menschen lesen, die sich mit Karaoke beschäftigen. Viel fremder kann es kaum werden, ich finde das mit erheblichem Grusel interessant. Es gibt ja immer diese theoretische Frage, für wieviel Geld man etwas machen würde, und mein Preis bei Karaoke wäre so hoch, Sie würden staunen. Es ist für mich vollkommen unvorstellbar, dermaßen abwegig und absurd – und andere leben das einfach so. Ich aber denke schon beim Hören des Wortes Karaoke sofort: „Dann doch lieber ins Büro“, und das will etwas heißen.

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Noch etwas über Trauerrituale in Jordanien lernen, man kommt auch mit Blogs viel herum.

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Ich nehme das Fernsehen und daher auch Typen wie Lanz oder Precht kaum noch zur Kenntnis, schon seit vielen Jahren nicht mehr, ich hatte aber doch Spaß an diesem Text.

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Über Negativspiralen

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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

Herbstapril im Sommer

Montag, der 7. August, der stets so schwere erste Werktag nach dem Urlaub. Morgens das Firmen-Notebook aus dem Schrank kramen, die verdrehten und verknoteten Kabel zusammensuchen und sortieren, das richtige Headset etc., Home-Office. Arbeitsbeginn bei künstlichem Licht, so spät im Jahr ist es also schon, stelle ich wie immer etwas überrascht nach dem Sommerurlaub fest. Ein grauer Morgen ist es, eher kühl, Sturm aus Nordwest ist deutlich im Anflug, „schwere Windwarnung“, sagt die Wetter-App sogar. Die Herzdame, die diesmal mit einem Sohn im Garten geschlafen hat, wird dort einen recht frischen Morgen haben, bei Standard-12-Grad. Hoffentlich bleiben die Birnen am Baum, die armen Früchtchen.

Bunte Kreideschrift auf einem Gehweg: "Frei Sein", daneben eine Plastikblumengirlande

Im Laufe des Vormittages sehe ich quertreibenden Regen über dem menschenleeren Spielplatz vor dem Balkon, es ist Herbstapril im Sommer, wie wildgeworden ist dieses Wetter. Es ist heute alles dabei, sogar eine diesmal echte Sturmflutwarnung, die doch eindeutig überhaupt nicht in diese Jahreszeit gehört, und ich bin zwischendurch kurz in Versuchung, mir einen wärmenden Pullover übers Hemd zu ziehen. Eskalationen!

Die Menschen, die in den letzten Wochen keinen Urlaub hatten, sondern nur besonders grauen und nassen Alltag in dirty old Hamburg, sie wirken etwas angeschlagen, was die Stimmung betrifft, es ist kaum zu übersehen. Man merkt es überall, ich bin in meiner Umgebung vergleichsweise gut gelaunt, und das passiert mir auch nicht gerade regelmäßig. „Du machst ja ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter“, man kann diesen Satz in Hamburg in diesen Tagen ganz neu ableiten.

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Bezüglich der Auswanderung bei rechter Machtübernahme fielen in den Timelines bisher die Staaten Dänemark, Irland und Neuseeland, mit deutlichem Vorsprung Dänemark, obwohl das in Bezug auf rechte Politik auch nicht ganz ohne Umtriebe ist, wenn ich mich recht erinnere. Egal, wir bleiben da dran, wir beobachten das und verzeichnen nebenbei auch schon einmal das Biedermeier als Ziel, immer kreativ bei der Lösungsfindung bleiben.

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Der Rest des Tages geht für die Einrichtung eines neuen Notebooks drauf und verbleibt daher vollkommen ereignislos und erlebnisfrei. Sitzen und klicken und scrollen und neu starten. Alle Einstellungen passend zurechtbiegen, Passwörter memorieren, das dauert erstaunlich lange, und dabei dann auch die ganze Zeit überlegen, was man bei einer solchen Gelegenheit loslassen und löschen könnte.

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Gehört auf den Einkaufswegen: Hans Fallada, Lilly und ihr Sklave, Erzählungen aus dem Nachlass. Gelesen von Jennipher Antoni.

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Äpfel, die auf Tische fallen

Sonntag, der 6. August, in der Laube.

Am Morgen gelesen: Wieso die deutsche Wirtschaft nicht in der Krise steckt.

Ich bin kein VWL-Experte, finde viele Krisenberichte aber zurzeit ganz erstaunlich flach, also so flach, dass sogar mir sofort Gegenargumente einfallen und ich denke, das sollte so nicht sein. Deswegen hier der Link zur abweichenden Meinung, die ist auch einmal interessant. Faszinierend finde ich auch, wie sehr einzelne Argumente aus den Wirtschaftsmeldungen und Schlagzeilen oft im Smalltalk als Verankerung für politische Positionen genutzt werden, das ist womöglich auch ein Mechanismus, der besonders in diesem Land gut funktioniert. Also der Autoindustrie geht es schlecht (was schon einmal ein sehr schwaches Statement ist, aber egal), daher müssen wir jetzt … und dann kommt ein Parteiprogramm. Erstaunlich.

Und über die posttraumatische Belastungsstörung der Gesellschaft. Ich sehe einen deutlichen Bezug zur Lage hier im Stadtteil, wenn nicht sogar in der Familie, in der Timeline etc. Und um bei der Wortwahl zu bleiben, die ich hier im Blog oft verwende, geht es nach Hurrelmann bei der Bewältigung des Ganzen also nicht nur ums Weitermachen, sondern um gelingendes Weitermachen. Vielleicht sollte ich meine Formulierungen auch dahingehend überprüfen, immer lernfähig bleiben.

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Am Morgen ist es in der Laube gerade eben warm genug, dass ich nicht frierend am Tisch sitze. 15 Grad sind es draußen, vermutlich auch drinnen, die Fenster waren geöffnet. Mit einem Kaffee in der Hand geht es, der Sandwichmaker glüht auch schon vor. Der Sohn schläft lange, ab und zu dreht er sich knurrend um. Er scheint gerade zu wachsen, jedenfalls leite ich das aus der Tatsache ab, dass er gestern drei Hauptmahlzeiten und danach ein halbes Vollkornbrot gegessen und spätabends dann noch die Laube nach Essbarem abgesucht hat, ich hörte es im Halbschlaf. Da muss man dann vermutlich auch lange schlafen, um alles in Ruhe zu verarbeiten.

Ich sitze am Tisch und tippe mich warm. Regen auf dem Dach, leises Taubengurren aus der alten Weide, selten nur eine verhalten zeternde Meise in der Magnolie, die wie immer als erster Baum im Garten schon ein paar gelbe Blätter hat, sie streicht besonders früh im Jahr die Segel. Die Amsel vom Dienst huscht lautlos über den Rasen vor der Hütte und sucht Würmer, ernst und emsig, ohne Zeit für Unterhaltungen. Eine Rabenkrähe landet gerade auf dem Dach, ich sehe ihren Anflugschatten aus dem Augenwinkel, ich höre ihre hüpfenden Schritte über mir, wie ein sachtes Abtasten der Dachpappe.

Um halb zehn höre ich Kirchenglocken, ich weiß gar nicht genau, woher die genau kommen, die Töne wehen aus West heran. Der Regen hört auf, ich setze mich vor die Laube. Aus dem Apfelbaum fallen mir zwei reife Äpfel auf den Tisch und möchten bitte gegessen werden, es geht hier schlaraffig zu. Auch auf dem kleinen Tisch neben der Hollywoodschaukel liegt schon Obst für mich bereit, von den Bäumen freundlich dort abgelegt.

Zwei Augustäpfel auf einem alten Gartentisch

Mehr passiert nicht, und das ist auch schön. In der Ferne, um einen alten Gag aufzugreifen, bellen währenddessen immer Hunde, muss man sich vorstellen, da das Tierheim nicht weit entfernt liegt. Je nach Wind hört man es mehr oder weniger laut. Das Tierheim ist gerade voll, lese ich später, rappelvoll, es werden keine Tiere mehr aufgenommen. Das gab es noch nie, so steht es in den Artikeln, eine Folge der Coronajahre und der Sommerferien.

Ich gehe die Blogtexte für die letzten sieben Tage noch einmal durch. Das ist nun seit etlichen Wochen mein Morgenritual und es hat sich bewährt wie kaum ein anderes. Ich habe mich selten sortierter gefühlt, ich werde für mein Gefühl immer besser darin, mir mein Leben zurecht zu schreiben, und ich halte es mittlerweile für eine herausragende Maßnahme der Psychohygiene, für Therapiesurrogatextrakt. Ich denke über die nächsten Kolumnen nach, ich denke über andere Texte nach, es ist ein ausgesprochen entspannter Morgen vor dem ersten Werktag nach dem Sommerurlaub. Vermutlich war es eine gute Entscheidung, hier im Garten zu schlafen, trotz des eher schlechten Wetters. Die Herzdame, die es vorgeschlagen hat, wird wie fast immer richtig gelegen haben. Sie wiederum ging aus und schlug sich die Nacht um die Ohren, tanzend hoffentlich, und das wird für sie auch richtig gewesen sein.

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In den Foodblogs und in den Bäckereien sehe ich bei der Morgenlektüre die Pflaumenkuchen. Das Jahr schreitet voran, ich sehe auch erste Kürbis- und Muschelrezepte.

Es gibt bei uns später Kartoffel-Kohlrabi-Suppe (eigene Ernte, eh klar).

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„Hamburg ist eine kühle regnerische Stadt, die wo im Norden liegt.“ Ingeborg Bachmann in einem Brief an Max Frisch, 3. Juli 1962. Das hat sie damals gegenüber im Hotel Atlantic geschrieben, wenige Meter von dem Sofa entfernt, auf dem ich gerade sitze und die letzten Zeilen dieses Textes schreibe.

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Unvermittelt und unwillkommen

Sonnabend, der 5. August. Ein Stadtteil in wimmelnder, bebender und erwartungsfroher Unruhe schon ab dem Morgen, es ist CSD in Hamburg mit dem Epizentrum, dem Paradenstart vor der Haustür. Es soll, so lese ich, der größte CSD werden, den es hier bisher gab, und klein waren die letzten auch nicht gerade. Ich winke freundlich vom Balkon und wünsche vom Herzen das Beste, halte mich aber diesmal von den Massen fern. Ich finde zu viel Mensch gerade unbekömmlich, aber das ist eine ganz unpolitische Befindlichkeit. Politisch, versteht sich, ist der CSD eher wieder wichtiger geworden, denn die Zeiten, sie sind so.

Da ich aber dennoch fürs Essen einkaufen muss, ziehe ich am Rande des Demo-Geschehens mit dem Hackenporsche vorbei, wie einer dieser alten Männer, die in Dokus unvermittelt und unwillkommen durchs Bild latschen. Ist schon recht, ich denke dabei an die Zeiten, als ich da noch fröhlich und partyhungrig mitgelaufen bin, einmal sogar elegant gewandet u.a. mit den hochhackigen Stiefeln der Herzdame, in die ich heute um die Waden herum gar nicht mehr hineinpasse, warum auch immer nicht.

Über Stunden wummert dann die Musik von den Wagen durch die offene Balkontür herein, dem Klang nach zu urteilen hat man viel Spaß da. Kirchliche Trauungen finden während des Zuges statt, lese ich, der Bürgermeister und seine Stellvertreterin gehen vorweg und ich finde es alles richtig so.

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Ich lese, immer noch urlaubsbedingt interessiert, eine Meldung über eine Änderung im Buchungsverhalten und finde den Link gerade nicht mehr, pardon. Man kann jetzt schon absehen, stand dort, dass für nächstes Jahr mehr Skandinavien gebucht werden wird, was mir noch nachvollziehbar vorkommt, allerdings auch mehr Kanada und mehr Nationalparks in den USA, zu denen man dann fliegen muss, was die Probleme mit dem Klima weiter verschärfen wird, das ist also wie mit den Kreuzfahrten zu den Pinguinen. Himmel nochmal. Und in Europa werden sonst wohl eher „Geheimtipps“ gebucht, so heißt es da, etwa Slowenien, es wird als einziges Land explizit genannt.

Zwei Stunden, nachdem ich das gelesen habe, kommen die Meldungen über die schweren Unwetter in Slowenien, über die Todesfälle dort, es sterben an diesem Tag Reisende und Einheimische, man kann es sich so nicht ausdenken. Wenige Tage später dann auch die Unwetter in Skandinavien, um hier ein späteres Update einzubauen. Don’t look up, don’t check the weather report.

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Die Herzdame ist währenddessen im Garten und plant ein Projekt, ich sitze zuhause und warte auf ein wichtiges Paket, welches kommen oder auch nicht kommen wird, denn wenn CSD ist, kommt man hier mit dem Auto kaum durch, wir sind für Lieferdienste dann quasi unerreichbar. Aber wenn ich in den Garten fahren würde, dann würde es dennoch kommen, das ist eh klar, dann würde sich irgendein Kurier heldenhaft durchschlagen.

Ich warte also. Ich habe sonst auch nichts vor, ich warte heute einfach nur. Ich gucke Friends, eine ganze Staffel. Ich lese was, die Bachmann-Frisch-Briefe wieder, und nach nur etwa sechs liegend verbrachten Stunden habe ich dann das vage Gefühl, ich könnte auch mal wieder irgendwas machen. Was auch immer. Womit also final dieser Urlaub als Erfolg betrachtet werden kann. Manchmal dauert es eben drei Wochen, bis dieses Gefühl eintritt, einer der Gründe, warum ich mich seit Jahren nicht mehr mit zwei Wochen zufriedengebe. Es funktioniert bei mir sonst einfach nicht.

Das Paket allerdings, es kommt heute nicht. Vielleicht am Montag, man wird sehen.

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Das Ufer der Bille mit Motorbooten an Stegen an der Billerhuder Insel

Am Abend fahre ich mit Sohn II in den Garten, um dort zu übernachten. Die Laube ist warm von den wenigen Stunden Sonne heute, und im Garten ist es ruhig, sehr ruhig. Es ist fast nichts zu hören dort, die Vögel in den Hecken singen nicht mehr, nur ab und zu, alle zehn Minuten vielleicht, das satte „Plopp“, mit dem ein reifer Apfel vor der Laube ins abendnasse Gras fällt. Mehr passiert hier nicht.

 

*Plopp*

 

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Bellagio 59

Freitag, der 4. August. Mein letzter Urlaubstag. Die Herzdame hat noch eine Woche, die Söhne sowieso noch viel mehr, familiäre Ungleichzeitigkeiten.

Diese Regenwoche war äußerst günstig für uns, sie war wie bestellt, weil es beim besten Willen kein Wetter war um draußen, im Garten oder sonst wo etwas zu machen. Es war kein Wetter für Ausflüge nach Sylt, Husum oder an die Ostsee, kein Wetter für Orte, zu denen man immer schon einmal hinwollte, also etwa nach Stade. Die Stadt ist bei mir ein Running Gag, ich schaffe es seit nun schon 23 Jahren nicht dorthin, es hat längst etwas Symbolhaftes. Sogar auf dem Weg in ein Museum wäre man in dieser Woche sehr nass geworden. Nein, es war ein herrliches Wetter zum Herumliegen, mehr nicht. Es war daher einfach perfekt und ich habe mich jetzt an Mittagsschlaf bei rauschendem Regen vor der offenen Balkontür dermaßen gewöhnt, ich werde wohl hinterher, wenn das Wetter doch noch einmal Richtung Sommer umschlagen sollte, Naturgeräuscheplaylists testen müssen, mit Monsun, Regenwald und allem.

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Über die Hitze und die Arbeit in Griechenland, auch kurz über die Aussichten nach den Rhodos-Bränden.

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Das Titelblatt des Briefwechsels Bachmann-Frisch

Im Briefwechsel Bachmann-Frisch finde ich eine Hotelbeschreibung der Bachmann, die eine Art unstillbare Reiselust in mir auslöst, mit der ich auch das Urlaubsthema hier für diese Saison schön abschließen kann. Man kann dort allerdings nicht hin, das Ziel liegt weit in der Vergangenheit, man kann sich höchstens noch hinträumen, aber lesen Sie bitte mal eben, ist das ein Sehnsuchtsort erster Klasse? Möchte man da nicht gleich einen Koffer packen, so einen alten, wie es sie heute gar nicht mehr gibt …

Ich mache Ihnen eben zum Lesen Musik an, vom Sound her passend, vom Inhalt habe ich keine Ahnung:


Ingeborg Bachmann an Max Frisch, Bellagio, 30. April 1959.

Lieber Max, es kam also so: da die Entscheidung für den Comer See gefallen war, fuhr Nanni mich gestern nachmittag an den See, bei einem so erbärmlichen Wetter, dass man es kaum schildern kann, und unterwegs versuchten wir, kleine Alberghi anzusehen, fast hätte ich schon irgendwo ja gesagt, weil ich dachte, ich könnte Nanni nicht mehr zumuten, er war schon ganz durchnässt und musste auch zu einer bestimmten Stunde wieder in Mailand sein. All diese Zimmer, die ich sah, waren so trostlos, meist mit drei Betten, keinem Tisch, viel Stein, düster, und ich wäre bestimmt nach zwei Tagen spätestens an Melancholie und Kälte gestorben, alles ungeheizt und unwirtlich leer. Dann fuhren wir jedoch nach Bellagio, und hier versprach alles ähnlich zu verlaufen, aber als wir so herumfuhren, sah ich den Ort rechts und links aussen von je einem Riesenghotel flankiert, mit Parks, und in meiner Verzweiflung sagte ich, er solle doch einmal bei einem vorbeifahren, ich wolle nur spasseshalber fragen, und so hielten wir vor dem Grande Bretagna, das schön liegt und wie ein Schloss aussieht; viel Personal stand untätig herum und an der Reception war ein freundlicher komischer Kerl, der sagte, es gäbe da zum Beispiel ein schönes Zimmer mit Bad und kleinem Vorraum mit Fenstern zum See, und wie er den Preis nannte, dachte ich, ich hätte mich verhört, weil er so niedrig war und mit der Vollpension, es machte nur ein wenig mehr aus als die Preise, die ich vorher in diesen scheusslichen Locanden gehört hatte. Wir gingen dann nochmals weg und überlegten, was daran nicht stimmen könnte, und dann fuhren wir wieder zurück und ich nahm das Zimmer, mit der vollen Pension dazu, weil ich auch in der billigsten Trattoria niemals so billig essen kann. Das Hotel ist so komisch, totenstill, mit großen Marmoraufgängen, Spiegeln, Palmen, die grün beleuchtet sind und einer Bar, in der immer das Licht angemacht wird und das Grammophon, wenn ich hineinkommen, um einen Espresso zu trinken. Im Speisesaal, in dem alle Tische wie für Geister gedeckt sind, waren wir drei Leute, ein junges Paar mir gegenüber, Franzosen, er scheint geistesgestört zu sein, sie sieht wie eine deutsche Fürsorgerin aus und vier oder fünf Kellner machen den service und alles so ordentlich und brav, nicht wie richtige Kellner in einem Grand Hotel, sondern wie die zweite Garnitur, der man zwar alle Anweisungen gegeben hat, die aber von der Regie im Stich gelassen worden ist. Es scheint, in einem Wort, ein in Ehren verarmtes Grand Hotel zu sein, ein Monstrum das Ende des vorigen Jahrhunderts für die Thomas Manns gebaut wurde. Im Freien war ich noch nicht, weil es regnet. Hinten ist ein wüster schöner Park, vorn eine Dekoration aus Bäumen etc. vor dem See.

Im Zimmer sind Gobelins, Konfektion von 1880, aber solide, ein Bett mit rötlichem Brokatüberwurf, Brokatstühle. Im Bad läuft warmes Wasser, und das ganze Personal wartet wahrscheinlich darauf, dass ich einmal ein Glas Wasser verlange. Es ist sehr unwirklich. Und jetzt fange ich an zu arbeiten. Schreib, wie die Geister im Uetikon sich verhalten!

Ingeborg

Natürlich habe ich das gleich gegoogelt, das Hotel steht tatsächlich noch. Also zumindest die Reste. Es wurde gerade von Ritz-Carlton übernommen, lese ich, es wird restauriert und soll etwa 2026 neu eröffnet werden. Vermutlich zu etwas anderen Preisen als damals, besonders bei Vollpension. Falls ich aber doch noch Dichter und reich werde, werde ich es mir gerne einmal ansehen – der Mensch braucht Ziele.

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Ansonsten heute das erste Mal nach der Reise im Garten gewesen, der in unserer Abwesenheit in den Spätsommerstatus übergegangen ist, alles steht dort in voller Üppigkeit, in maximaler Ausdehnung und Schwellung. Es gibt Gurken, Kohlrabi, sehr viele Tomaten, Bohnen, Heidelbeeren und bunte Karotten. Es hängen noch fünf Birnen am jungen Baum, es bleibt die Hoffnung, mindestens eine am Ende essen zu können. Spannend bleibt es, denn starker Wind darf nicht aufkommen bis dahin, diese Sorte (Clapps Liebling) kann Wind nicht ab.

Frisch geerntetes Gemüse aus dem Garten

Der Hibiskus blüht wieder in pornöser Pracht, die Rosen liefern weiter nach, der Regen scheint im Garten insgesamt gut angekommen zu sein. Bestes Wetter, gerne wieder, wenn es nach den Pflanzen geht.

Das Trampolin wird von neuen Nachbarinnen mit kleineren Kindern abgeholt. Wir hätten es kein Jahr später verkaufen dürfen, es wäre dann komplett eingewachsen gewesen, wir haben es gerade noch über die von uns gepflanzten Kirschbäume bekommen.

Es gibt am Abend Spaghetti mit Tomaten und Kräutern aus dem Garten, die Parzelle mischt beim Speiseplan wieder etwas mit in dieser Jahreszeit.

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Bühnenbildwechsel

Donnerstag, der 3. August. Gestern passierte am Nachmittag das, was hier immer passiert, wenn es seltsamerweise gerade keine Termine gibt, jemand fängt an, Möbel probeweise zu rücken und das Inventar neu zu arrangieren, startet also einen Bühnenbildwechsel. Diesmal war es ein Sohn und okay, es kam in deren Räumen auch schon lange nicht mehr vor, erstaunlich lange nicht. Die Wohnung sieht eine Stunde später also aus, als wollten wir umziehen, aber es ist diesmal in Ordnung. Die Stimmung bleibt seltsam entspannt und sogar mein Behelfsschreibtisch in der Abstellkammer wird auf einmal wieder zugänglich und sieht recht einladend aus, das ist ein erfreulicher Nebeneffekt. Lange habe ich dort nicht mehr gesessen.

Ab und zu geht jemand wegen irgendwas vor die Tür und kommt dann nass wieder rein. Es regnet in dieser Woche so ergiebig, dass es schon niemand mehr anders erwartet, Rausgehen ist Nasswerden, das gehört jetzt einfach so, ein Gleichklang. Ein Sohn repariert am Nachmittag mit großem Geschick sein Fahrrad und fährt dann testweise eine kurze Runde um den Block, er kommt danach so nass wieder rein, als sei er damit quer durch die Alster gefahren. Er friert dann, die Herzdame kränkelt weiter, ich versorge alle wieder mit Hühnersuppe.

Am Abend wie neulich geplant mit der Herzdame den Film „Meine Stunden mit Leo“ gesehen und wie erwartet gut gefunden. Das war originell, denn in aller Regel schaffen wir es nicht, gemeinsam einen Film zu sehen, egal, wie sehr wir es uns vornehmen, wir kommen nie dazu. Aber jetzt doch einmal, es war quasi ein weiteres und spätes Urlaubshighlight.

Gerade fällt mir noch auf, kurz vor Urlaubsende, dass wir in Minden, München und Meran waren, wie albern klingt das denn. Wir hätten vielleicht noch Mailand mitnehmen sollen, Madrid auch.

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Obdachlose kommen in diesem Blog häufiger vor, und falls Sie sich wundern, warum das so ist, warum sie die Szenerie um uns so unübersehbar prägen, es liegt auch an der Anzahl: bis 45.000 werden es in Hamburg wohl sein, was für eine unfassbare Zahl ist das denn. Das entspricht mittlerer Stadtgröße, ein Coburg ist das etwa.

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Ich erhielt vor zwei Tagen eine Mail, dass die Garantie meines Notebooks abläuft. Ich hätte sie zur Gebühr von X Euro gerne für soundso viele Monate verlängern können. Das machte ich allerdings nicht, und heute bricht das Scharnier des Bildschirms am Morgen beim Aufklappen einfach durch. Geplante Obsolenz ist mittlerweile wohl eine erstaunlich präzise Wissenschaft geworden, guck an.

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Ein Aufkleber von Pro Asyl an einem Brückengeländer, Text: "Rassismus führt zum Verlust Ihres Mitgefühls"

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Der Buddenbohm-Bot und Konfetti im Regen

Mittwoch, der 2. August, Hamburg, immer wird es jetzt wieder Hamburg sein, also gefühlt jedenfalls. Noch finde ich es auch in Ordnung so.

Hochwasserwarnungen gibt es am Morgen, ganz ohne dazugehörigen Sturm, das ist auch mal originell. Allerdings spielt Katwarn die Meldung alle paar Minuten aus, immer wieder, es nervt etwas und wird wohl eine Fehlfunktion sein. Oder wir gehen unter, noch bevor dieser Text erscheinen wird. Egal, immer weiterschreiben, bei angeblich schnell steigendem Pegel, Selbstbildnis des Autors als Titanic-Bordkapelle.

Später melden die lokalen Medien, dass die Meldung nicht nur zu oft kam, sondern auch noch inhaltlich falsch war, vollkommen sinnlos, es gab überhaupt kein Hochwasser, nirgends. Wie schlecht kann so etwas laufen? Man muss weiterhin fest davon ausgehen, dass wir mit Ernstfällen aller Art überhaupt nicht umgehen können.

Vor einem Hauseingang auf dem Weg zur Bäckerei liegt eine zerdellte Clownsnase auf dem Gehweg, daneben verstreutes Konfetti im Regen, auch die zertretenen Reste einer Tröte. Geschichten, die niemand erzählt. In einem „Zu verschenken“-Karton ein paar Meter weiter sitzt ein ausgesetzter Stoff-Elefant, der traurig über den Papprand der Kiste guckt. Bilder wie aus einem Video für einen deutschen Song der melancholischen Art.

Im öffentlichen Bücherschrank steht immerhin Wolf Haas, Junger Mann, das nehme ich mit, das kenne ich noch nicht. Ich habe gesehen, dass es bald einen zweiten solchen Schrank im Stadtteil geben wird, der Nachschub scheint gesichert zu werden.

Ich lese den Briefwechsel Bachmann-Frisch, „Wir haben es nicht gut gemacht“, und gleich zu Anfang erwähnt sie da die Absicht, sich zu sonnen, um für ihn braun zu werden. Liest sich das für Sie auch schon ungewöhnlich, weil man das so nicht mehr sagt, weil sich niemand mehr sonnt, weil niemand mehr braun werden will, schon gar nicht für jemanden? Für mich klingt es wie ein Satz, der allmählich aus dem spontanen Verständnis fällt, und ich stelle mir vor, dass er auf so junge Menschen wie etwa die Söhne in Zukunft noch seltsamer wirken wird.

Die Herzdame meldet Halsschmerzen. Ich sage „Hühnersuppe“, sie sagt „Bester!“. Sprachliche Verkürzungen in Langzeitbeziehungen, Sie kennen das vielleicht. Ich gehe Zutaten kaufen.

Und übrigens, das ist wieder ein Fall für die Chronik, fällt uns erst spät, sehr spät ein, dass es auch Corona sein könnte und wir noch irgendwo Tests haben … Tatsächlich haben wir beide zuerst nicht daran gedacht, die allgemeine Verdrängung hat uns also mittlerweile auch ergriffen.

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Bei der Artifact-App, ich habe über sie schon einmal berichtet, kann man sich die Artikel jetzt vorlesen lassen, KI-gesteuert, versteht sich, unter anderem auch mit den Stimmen von Gwyneth Paltrow oder Snoop Dog, hier ein Artikel dazu. Die Funktion interessiert mich nicht weiter, ich nehme nur zur Kenntnis, wie sich der Medienkonsum weiterentwickelt. Man könnte sich künftig vermutlich auch dieses Blog jeden Tag mit meiner Stimme vorlesen lassen, ich müsste nur vorher ausreichend Samples aufnehmen, den Rest macht dann die Software. Und es gäbe nie hörbare Schwankungen in meiner Stimme, keine Launen, keine Probleme, keine Krankheiten, auch keinen Tod, es gäbe nicht einmal irgendwelche Hintergrundgeräusche, ich würde immer weiter auf Anfrage alles routiniert vortragen, auch fremde Texte, die ich nie gesehen habe, ein digitaler Zombie am Mikro.

Und eine andere Software, sagen wir ein Buddenbohm-Bot, würde vielleicht auch auf Verlangen immer weiter Texte in meinem Stil schreiben, vielleicht sogar besser als ich, pointierter und regelmäßiger, verlässlicher allemal. Ich stelle mir vor, dass man in der nahen Zukunft auch Jahre nach dem Ableben einer Bloggerin ihre tagesaktuellen Notizen noch imitieren können wird, täuschend echt sogar. Es wäre wohl größenwahnsinnig, das nicht für möglich zu halten. Die Bloggerin wird in der Zukunft immer weiter, bis in alle Ewigkeit gar, die Nachrichten kommentieren und ab und zu auch andere Texte verlinken, so wie es immer war, sie wird launige Anmerkungen schreiben und nach kaum spürbarem Algorithmus hier und da mal bessere und mal schlechtere Stimmung in den Texten verbreiten.

Und wenn es dann, etliche Jahre voraus gedacht, die Leserinnen ebenfalls nicht mehr geben wird, können Programme leicht auch deren Kommentare und Likes übernehmen, es braucht, wenn man es bis zum Ende durchdenkt, zu diesem ganzen Text-Klimbim überhaupt keine Menschen mehr. Fein, fein.

Vielleicht sollten wir uns vorher still und leise aus dem Zirkus entfernen und uns wieder Briefe mit dem Füller schreiben. Rundschreiben, so etwas.

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Ansonsten ist Erdüberlastungstag.

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Ticken und Tropfen

Dienstag, der 1. August. Nach der Sommerreise kommt noch eben und irgendwie unvermittelt der August, dann schon der Monat mit den Geburtstagen der Söhne und unserem Hochzeitstag. Der September vergeht meist ungewöhnlich schnell und in ihm wird sich der Herbst bereits deutlich abzeichnen, danach beginnt übergangslos die Vorweihnachtszeit und kommen auch schon die Vorbereitungen auf den Jahresschluss. So ist es bei uns immer, nach dem Urlaub kippt das Jahr auf einmal zur Seite weg und verkürzt sich seltsam, zieht sich zusammen und nimmt von Woche zu Woche Fahrt auf, es duckt sich und nimmt Anlauf. Plötzlich ist es dann weg, wie verpufft, und erst später im Januar, Februar bleibt die Zeit wieder stehen und die Monate werden langsamer, immer langsamer, und kurz vielleicht sogar langweilig. So in etwa wird es sein. Vermutlich.

Aber okay, erst einmal der August. Und auch den wickeln wir wie alle anderen Monate ab, nämlich Tag für Tag. Ich gehe heute zu einem Uhrmacher, um in die Armbanduhr meiner Mutter eine neue Batterie einsetzen zu lassen, sie schafft den Weg dorthin nicht mehr. Ich gehe durch den Regen, immer geht man jetzt durch viel Regen, auf jedem Weg, zu jeder Stunde. Ich gehe in den Laden des Uhrmachers, eine Frau springt auf, nimmt einen Schrubber mit Lappen und wischt direkt hinter mir auf, meine nassen Fußspuren müssen weg, sofort. „Was ist das denn für ein nasses Wetter“, sagt sie zu mir, und sie sieht mich dabei an, als würde sie meinen: „Was sind Sie denn für ein nasser Mensch.“

Die Batterie wird eben gewechselt, zehn Minuten dauert es, zehn Euro kostet es. In dem Laden laufen hundert Uhren und noch mehr, Standuhren, Wanduhren und Armbanduhren, und während ich kurz warte, höre ich leises Ticken und Tropfen, das eine von drinnen, das andere von draußen. Vor der offenen Tür gehen Passanten vorbei, die schon so nass sind, dass sie keinen Schirm mehr nehmen und auch die Jacken nicht schließen, sich nicht mehr vor dem Regen schützen, es ist alles egal geworden und es ist auch gar nicht so kühl wie gedacht. Geht doch. Die Uhren gehen, das Wetter geht, und ich gehe auch wieder weiter.

Es müssen auch noch Rezepte besorgt werden, ich gehe zum Hausarzt meiner Mutter. Die Praxistür steht ebenfalls offen, auf der Treppe davor sitzt eine Frau mit einem stark übergewichtigen Mops und wartet, vermutlich auf jemanden in der Praxis. Der Mops atmet rasselnd und keuchend, er hustet und japst, man hört es bis zur Anmeldung, an der ich stehe und ebenfalls warte. Neben mir ein Mann mit einem Problem der Atemwege, er atmet rasselnd und keuchend, er hustet und japst. Er sieht zu dem Hund, der genau so klingt wie er, der auch eine ähnliche Figur hat, er hört ihm kurz zu, er schüttelt missbilligend den Kopf: „Das ist doch kein Zustand, mit dem Hund da. Das geht doch so nicht!“

In der taz las ich einen Artikel über die Bleche und Kreuze vor unserer Haustür.

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Mein WLAN, mein Wetter

Montag, der 31. Juli, Hamburg. Mein WLAN, mein Wetter, meine Stunden allein am Morgen, mein Kaffee, mein korrekt ausgeleuchteter Badezimmerspiegel. Ach, ist das schön hier. Vielleicht ist es doch der wichtigster Reisegrund, dass hinterher zumindest kurz zuhause alles gut ist. All die kleinen Vorteile, die man sich so mühsam zusammengebastelt hat, in jahrelanger Arbeit.

Allerdings haben in der Nacht wieder Irre bei uns Sturm geklingelt, allerdings werde ich am Morgen schon um 04:14 geweckt, weil jemand die Mülltonnen vor dem Haus lautstark ausräumt, auf der Suche nach Ess- oder Verwertbarem, und dabei alles Unbrauchbare um sich wirft, auch zerklirrende Flaschen und dergleichen. Hamburg legt stets großen Wert darauf, uns angemessen großstädtisch in Empfang zu nehmen; es fällt doch allmählich sehr auf und wirkt vermutlich merkwürdig inszeniert, aber ich denke mir das nicht aus. Ich muss mir gar nichts ausdenken, und manchmal möchte ich ein „leider“ davorsetzen.

Ich gehe Brötchen holen, als sei es ein Sonntag, denn wir haben noch Urlaub. Ich werde auch sonst viel einkaufen im Laufe des Tages, wir haben überhaupt nichts mehr da. Dafür, dass es noch die ganze Woche fast durchgehend regnen soll, bin ich allerdings schon nach hundert Metern deutlich zu nass. Die Bäckereifachverkäuferin fragt mich: „Zehn Brötchen, wie immer?“ Nein, ich kaufe nie zehn Brötchen. Sie guckt irritiert. Beim Bezahlen fragt sie: „Mit Karte, wie immer?“ Nein, ich zahle nie mit Karte. Sie sieht mich genauer an, etwas misstrauisch, ob ich sie vielleicht veralbern will. Ich sollte heute ein anderer sein, merke ich, ich sollte einer sein, der seine zehn Brötchen stets mit Karte bezahlt, aber bei mir klappt dieses „Wie immer“ heute nicht so, wie sie es sich denkt. Vielleicht habe ich neuerdings einen Doppelgänger mit größerer Familie, wer weiß. Der Kunde hinter mir sagt vergnügt: „Aber für mich alles wie immer!“ Sie guckt ihn ratlos an, sie kennt ihn nicht. „Äh …“, sagt der Kunde. Sie hebt die Schultern, es ist beiden etwas peinlich.

Vielleicht wechsele ich bald mal die Bäckerei. Irgendwo neu anfangen, mit fünf, sieben oder zehn Brötchen. Wild und gefährlich leben, wahnsinnig spontan sein.

Ich gehe einkaufen. Ich gehe dann noch einmal einkaufen und später auch noch einmal, ich stelle dabei fest, dass sich im Stadtteil neue Seen bilden, womöglich regnet es wirklich enorm viel.

Auf den Wegen gehört: Marc Aurel, Selbstbetrachtungen, gelesen von Winfried Frey. Gut zu hören, wenn man gerade seinen Pflichten nachgeht.

Der Wäscheständer ist voll, die Waschmaschine läuft schon wieder, all die sommerlichen Sachen. Man wird sie gar nicht brauchen in dieser Woche. Sie können langsam trocknen, es hat alles keine Eile.

Am Abend im Bett liegen und auf den Regen hören. Der Abfluss auf dem Balkon klingt heute wie ein Wildbach, gurgelnd, sprudelnd, plätschernd stürzt das Wasser in die Tiefe. Vor dem Balkon rauscht gerade der nächste schwere Schauer auf das Laub der Bäume am Spielplatz, über mir prasselt es auf das Dach und von etwas weiter weg kommt ein Geräusch, als würden zwei unten auf dem Spielplatz am späten Abend im Dauerregen und zwischen den mittlerweile teichtiefen Pfützen dort noch Tischtennis spielen. Aber es ist zu bequem im Bett, um vom Balkon aus nachzusehen, nein, hier steht keiner mehr auf.

Einfach die Klingel abstellen und mit den Gedanken dem Regen folgen, sie irgendwie abfließen lassen. Ich habe immer noch Urlaub.

„Kim Jong Un is testing again
Kim Kardashian is pregnant again
How come we’re not Facebook friends?
I was like „ugh“ and she was like „eh“

Fuck off world
Fuck off politics
I’m going in the woods with a stick
I’m going by the stream just to sit“

Im Text des Songs kommt noch Twitter vor, es ist ein Lied von damals.

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Sturzbäche waagerecht

Sonntag, der 30. Juli, Hamburg. Wir brechen früh aus Meran auf, denn die Stauvorhersage ist apokalyptisch. Es ist dann später aber gar nichts, wir kommen glatt durch wie nie, die Fahrt über den Brenner verläuft ungeahnt entspannt. In der anderen Richtung gab es am Tag vorher noch Aktionen der Letzten Generation, über die ich mich, so war der feste Vorsatz, nicht aufgeregt hätte, wenn sie uns betroffen hätten.

Auf der Fahrt aus dem Etschtal sehen wir einen Gipfel, der wie unverbunden mit der Erde weit oben aus den dichten Wolken ragt, ein riesiges Stück Fels, das wie im Himmel schwebend aussieht, es handelt sich dabei, so sagt ein Sohn, „um eine bodenlose Schönheit“, es ist unser Meraner Abschlussbild.

Wir verfahren uns dann gegen Mittag nicht einmal in München, das wir ungeahnt früh erreichen, obwohl das doch eine stabile Tradition bei uns hat. Heute läuft einfach alles.

Auf der Fahrt im Auto, die Herzdame steuerte diesmal, sehe ich noch in den Nachrichten, dass ein weiteres Unwetter uns am Vorabend verfehlt hat. Am anderen Ende des Etschtals ging es allerdings heftig zu, Gerölllawinen, verschüttete Autos und Straßen. Da, wo wir waren, hat es nur heftig geregnet. Okay, es hat sehr heftig geregnet. Es regnet jetzt oft so, dass man nicht recht weiß, ist das schon unwetterartiger Starkregen, ist es nur ein althergebrachter Platzregen, worauf gucke ich da eigentlich gerade. Man sieht die Auflösung dann am nächsten Tag in den Meldungen der örtlichen Medien.

Wir verlassen die Unwetterzone Südtirol, um wieder in die heimatliche Unwetterzone zu fahren. Die diversen Wetter-Apps schicken mir schon einmal Gewitterhinweise, Windwarnungen, Stark- und auch Dauerregenvoraussagen für den Hamburger Raum, da kann ich mich langsam ein- und umstimmen. Man müsste wohl etwas suchen, um in diesem Monat eine europäische Zone ohne Unwetter aller Art zu finden.

Der Zug ab München fährt pünktlich auf die Minute aus dem Nichtbahnhof ab. Man kann das Bauwerk da wohl erst in ein paar Jahren wieder im Normalzustand sehen, nach wüsten Bauarbeiten im und am Bahnhof, bis dahin ist das alles nicht recht vorzeigbar. Das wird uns in Hamburg auch irgendwann so gehen, aber es scheint doch in weiterer Zukunft zu liegen. Man liest bei uns immer nur von Plänen, Vorstellungen, Absichten, manchmal sieht man auch fantastisch anmutende Bauskizzen. Aber es kommen keine Bagger, noch lange nicht.

Wir haben im Zug ein Abteil nur für uns und hängen daher vergleichsweise entspannt herum, die ganzen sieben Stunden lang. Es ist am Ende doch immer ein langer Reisetag, wenn man alles ohne Zwischenstopp abwickelt. Man kann es so machen, aber mit Station unterwegs, mit Übernachtung irgendwo, ist es viel leichter. Das WLAN im Zug flackert, das WLAN fällt zwischendurch aus, aber das ist so üblich, das kennt man nicht anders, und es gibt sonst keine besonderen Vorkommnisse. Es gibt heute keine Personen im Gleis, keine liegengebliebenen Züge auf der Strecke, kein Fahrplanchaos, keine Umleitungen über Städte, in denen man noch nie war. Bahnfahren wie früher, denke ich mir und nicke rentnerhaft.

Allerdings fällt mir doch sehr auf, wie handlich die Söhne noch waren, als wir zuletzt auf diese Art gereist sind, damals vor Corona, wie leicht sie da noch in einem Abteil zu verstauen waren und wie gut sie an den kleinen Tisch darin passten. Heute steht überall etwas über und mir sind beim Lesen (A.I. Kennedy: Süßer Ernst, Deutsch von Ingo Herzke und Susanne Höbel) dauernd Beine und Arme im Weg, die gar nicht zu mir gehören.

Das war auch eine Erkenntnis im Urlaub, wir müssen, wenn wir wieder zusammen verreisen sollten, eine viel größere Unterkunft buchen. Diese war gerade groß genug für eine Familie mit zwei Kindern, nicht aber für eine mit zwei Teenagern. Da müssen wir definitiv umdenken.

Es kommen nach und nach weitere Unwetterwarnungen auf meinem Handy an und es wird draußen langsam doppelt dunkler. Zum einen neigt sich der Tag, zum anderen wird der Himmel immer schwärzer bewölkt, je weiter wir nach Norden fahren. Zwischendurch klatscht schon reichlich Regen an die Scheiben, um uns auf die kommende Woche einzustimmen. Sturzbäche verwehen waagerecht im Fahrtwind.

Ich bereite herbstliche Musik für das Blog vor, ich aktualisiere Playlists und suche passende Titel. Es ist eine ausgesprochen besinnliche Beschäftigung und ich habe es lange nicht mehr konzentriert gemacht. Der Herbst findet in Hamburg schon in den nächsten zwei Wochen statt, es wird eher kühl sein, es wird regnen, es wird Übergangsjackenwetter sein und das schreckt mich gerade alles nicht. Vielleicht kommt der Sommer danach noch einmal wieder, vielleicht auch nicht, von heute aus betrachte ist das sehr gelassen und finde es ausgesprochen kuschelig, im Zugabteil melancholische Musik zu sortieren.

Nebenbei noch eben die Meran-App vom Handy gelöscht. Seilbahnrabatte kommen nun eine Weile nicht mehr in Betracht.

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