Bloggen mit Bergblick

Montag, der 24. Juli, Meran. Bloggen mit Bergblick. Ich bin allerdings gar nicht da, wo ich gerade gelesen werde. Also blogtextlich. Irgendwie ist das auch komisch, aber das ist jetzt eben eine Weile so, wenn das Blog eine Woche nachgeht, und das wird sicherlich erst einmal so bleiben. In sieben Tagen etwa sind die Leserinnen dann auch wieder dort, wo ich bin, wenn nichts dazwischenkommt, und ich weiß gar nicht recht, warum ich das so seltsam finde. Würden die Texte hier gedruckt erscheinen, wie es früher üblich war, in Büchern oder in Zeitungen, Magazinen, oder würde ich Briefe schreiben, wie es noch früher Alltag war, wir wären doch erst recht in Zeit und Raum voneinander getrennt und es wäre gar nicht merkwürdig, sondern eine selbstverständliche und auch erwartete Entfernung.

Das Internet allerdings impliziert stets eine mindestens ungefähre Gleichzeitigkeit, so wird es wohl sein. Dem mal etwas entgegensetzen! Wobei ich den Verdacht habe, dass es für Blogs nur begrenzte Möglichkeiten der zeitlichen Diskrepanz gibt. Ich kann nicht beliebig weit zurückfallen, etwa monatelang. Wäre hier in den Texten gerade Weihnachten oder Silvester, Sie würden das mit hoher Wahrscheinlichkeit jetzt nicht lesen wollen, nicht wahr, es würde irgendwie nicht passen. Ich werde schon ungefähr im gleichen Erlebniszeitraum wie Sie bleiben müssen, aus Ihrer und aus meiner Sicht, und es ist auch in Ordnung so.

Die Gipfel dahinten jedenfalls, ich sehe eben vom Notebook und vom Tippen dieses Textes hoch, weil man sich im Urlaub doch nicht durchgehend wie im Alltag benehmen soll, sie sind in wallende Wolken gehüllt. Aus dem Tal mit der kleinen, schönen Stadt darin steigt der Dunst auf und es sieht sehr gut aus so, die fließenden Übergänge von Weiß zu Blau zu Grau. Landschaft können sie hier, und es ist eine angenehme Beschäftigung, sich das wandelnde Bild dieser Farbtöne anzusehen, damit kann man viel Zeit verbringen und wird dabei freundlich ruhig unterhalten. Jedenfalls als Erwachsener, für junge Menschen kommt das noch nicht ganz so hin. Wobei man, wenn man Kinder hat, auch interessiert beobachten kann, dass sie beim Heranwachsen mit jedem Jahr mehr in der Lage sind, Schönheit wahrzunehmen, in der Architektur, in der Kunst, in der Landschaft, Mode, Botanik, natürlich auch an Menschen – überall.

Als wir vor mittlerweile etlichen Jahren zum ersten Mal in Südtirol waren und auf der Fahrt hierher die Berge am bayerischen Horizont auftauchten, war das der vermutlich erste Familienmoment, in dem wir alle vier etwas in der Landschaft gleichzeitig sehr schön fanden. So etwas merkt man sich auch, und wir sind hauptsächlich hier, weil die Söhne das so entschieden haben, als wir uns gefragt haben, wohin es denn gehen soll, wenn nicht mehr nach Eiderstedt.

Auf Eiderstedt waren wir zehnmal oder sogar öfter, viel häufiger jedenfalls, als wir je gedacht hätten, aber wir haben uns da ganz nach den Söhnen gerichtet und es war so überaus bequem für uns Eltern, zumal wir es da auch noch schön fanden. Auf Eiderstedt fühlten die Herzdame und ich uns vom ersten Besuch an seltsam heimatlich, als gehörten wir einfach dorthin. Diese Phase ist jetzt aber durch, haben die Söhne beschlossen, natürlich auch zu Recht beschlossen. Und viele gemeinsame Familienurlaube wird es wohl nicht mehr geben, wenn ich an das Alter von Sohn I denke, der vermutlich bald schon eigene Wege gehen wird, auch in den Sommerferien.

Daher haben wir wiederum die Kinder, es wird allmählich etwas merkwürdig, die beiden Teenager weiter so zu nennen, für dieses vielleicht schon letzte gemeinsame Sommerurlaubsjahr entscheiden lassen. Das Ziel Südtirol war dann schnell klar, da wollten sie noch einmal hin, da fanden sie es gut, daran hatten sie angenehme Erinnerungen.

Okay.

Blick durch ein schmales Fenster über ein Dach mit Schornstein auf Berge im Hintergrund, bewölkter Himmel, Weinstöcke in der Landschaft

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München – Meran

Sonntag, der 23. Juli, Meran. Die Autovermietung in München war umgezogen, fanden wir online heraus, freundlicherweise in eine von nur drei Straßen in München, die ich benennen und sogar vom Bahnhof aus finden kann, was für ein rettender Zufall. Natürlich war der reservierte Wagen nicht da, das passte harmonisch zum Rest des Tages und wunderte mich nicht weiter. Ich habe mittlerweile aber ein paar grundsätzliche Fragen zum Konzept „Reservierung“ auf Reisen. Es gibt einen berühmten Sketch über nicht vorhandene Autos, die reserviert wurden, ich hätte ihn dort wortgetreu aufführen können: „Kennen Sie den Sinn von Reservierungen? Darf ich Ihnen das einmal erklären?“ Man bot uns dann einen riesigen Neunsitzer als Ersatz an. Ich weigerte mich standhaft, bin ich Reisebusfahrer oder was, möchte ich etwas in Schlachtschiffgröße durch Serpentinen steuern. Schließlich gab es nach längeren Komplikationen doch noch ein deutlich kleineres Auto, das nahmen wir, das fuhren wir, nachdem wir sichergestellt hatten, dass sowohl Kinder als auch Koffer hineinpassten, wobei die vorhergehende Diskussion zwischen der Herzdame und mir, ob wir zur Not die Söhne oder das Gepäck in München zurücklassen würden, die Dame von der Autovermietung etwas irritierte.

Aus München heraus fuhren wir weiter in eine kleine Gemeinde im weiteren Umfeld der Stadt, in der wir außerordentlich gastfreundliche Verwandtschaft haben, die auch noch in schönster Lage wohnt, in Bilderbuchbayern geradezu, abzüglich der Berge. Dort blieben wir eine Nacht, und es war ganz wunderbar nett. Verwandtschaft, die wir zu selten sehen, die Distanz ist im Alltag etwas schwierig zu bewältigen. Bei anderer Planung hätten sich in München auch Blogkontakte freundlich angeboten, die ich ebenfalls gerne wiedergesehen bzw. erst kennengelernt hätte, aber das war uns diesmal nicht möglich, das Timing für alles war einfach zu eng.

Es ist ansonsten der Tag der Katastrophen-Meldungen von Rhodos. In meinen Timelines sehe ich zu meiner Überraschung reichlich sprudelnde Häme über die fliehenden Urlauberinnen dort. Es ist mir etwas unverständlich, denn meine Timelines bestehen keineswegs aus lauter Umwelt-Engelchen, die schon seit Jahren nur noch zu Fuß und emissionsfrei in den Urlaub in der eigenen Region gehen. Häme ist da keine Haltung, die weiterhilft, vermutlich bei fast gar keinem Thema. Das muss ich mir selbst allerdings auch immer wieder aufsagen, versteht sich, denn Häme ist leicht und wahnsinnig einladend, auch für mich.

Bei individuellen Umweltfragen ist es allerdings so, dass wir uns alle gemischt verhalten. Es gibt Themen, da sind wir vorbildlich, stets bemüht und gerne auch belehrend, wenn nicht sogar predigend, es gibt andere Themen, da billigen wir uns manchmal augenzwinkernd hier und da eine schelmische Ausnahme zu, und es gibt Themen, da sind wir einfach Schweine. Und auch das hat dann selbstverständlich alles seine Gründe, das legen wir uns alles schön passend zurecht und können es jederzeit erklärend aufsagen. Ich kenne niemanden, absolut niemanden, bei dem das anders ist. Der Mix ist aber bei jedem Menschen vollkommen anders, und das erschwert unsere Kommunikation doch erheblich.

2023 ist wohl der Sommer, in dem der traditionelle Tourismus einen gewaltigen Knick bekommt. Man wird neu nachdenken müssen oder wollen, wenn man etwas bucht – könnte es dort, wo ich hinwill, eine Hitzewelle geben, schwere Unwetter, Gerölllawinen, Waldbrände, sonst etwas. Viele buchen den Urlaub allerdings weit, weit im Voraus, das ist also nicht eben leicht und ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Nachrichtenlage und die Erlebnisse an der Tourismusbranche spurlos vorbeigehen wird. Und wenn man etwas weiterdenkt – nicht nur in Bezug auf den Tourismus ist das Jahr ein Knick, vermutlich auch bezogen auf andere Themen. Der Klimawandel erreicht 2023 eine vollkommen andere Ernsthaftigkeit, der Kampf dagegen oder auch die abwehrende Ignoranz der diversen Lobby-Verbände und das Anschwellen der populistischen Parteien weltweit ebenfalls. Es ist kompliziert, es ist unschön.

Auf der Autofahrt von München nach Meran sehen wir die Folgen der Unwetter am Brenner, letzte Woche erst ging es dort besonders wüst zu, ganze Hänge hat es entwaldet, wieder Bilder wie aus einem Katastrophenfilm.

Ich rede mit einem Vermieter in Südtirol, der immer wieder mit seltsam starrem Gesicht in Bezug auf die Wetterereignisse sagt: „Das bleibt jetzt alles so.“ Massentourismus und Klimawandel passen nicht zusammen, aber es gibt im Grunde nur wenige unserer althergebrachten Verhaltensweisen, die gut zum Klimawandel passen. Unser ganzer Lebensstil passt nicht mehr.

Wir hängen da jedenfalls mit drin. Wir fahren mit dem Auto durch Italien, in Italien sterben gerade Menschen während der Arbeit an der Hitze, es ist ein großes Thema in den Medien hier. Menschen fallen tot um, während sie Straßenmarkierungen auftragen oder während sie in einem Supermarktlager Waren verräumen, solche Vorkommnisse. Die brutale Hitze aus den Nachrichten ist nicht in Südtirol, wo wir gerade sind, sie ist aber auch nicht weit von hier, zwei, drei Stunden Fahrt sind es nur bis dorthin, und ich weiß im Grunde nicht, ob ich hier richtig bin. Aber nun bin ich da.

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Wir packen aus. Die Söhne gehen in den einladenden Pool, ich gehe ans Notebook, jeder macht das, bei dem er sich wohl fühlt. Also so wohl, wie man sich in diesen Zeiten eben im Urlaub fühlen kann, wenn man die Nachrichten mitbekommt und dauernd auf dem Handy neue Meldungen liest.

Blick auf die Berge hinter Meran, wolkiger Himmel, es sieht nach Regen aus

In der Heimat reißt Merz an diesem Tag die ohnehin nur theoretische Brandmauer ein, und ich bin gerade in einem Land, in dem die zombiehaft wiedergekehrten Faschisten schon gruselig erfolgreich sind. Wie viel History Repeating verträgt die Welt, und eigentlich wäre ich viel lieber in einem anderen Film, dieses Drehbuch ist mir etwas zu schlicht. Aber das haben manche in den letzten Zwanzigern auch gedacht, ich weiß es, ich habe es gelesen, in vielen Büchern.

Die Söhne stellen am Abend entzückt fest, dass es auch in Italien die ihnen vertraute Systemgastronomie gibt und eilen dorthin, die Herzdame und ich aber essen am Abend Pizza an einem wackeligen Stehtisch vor einem Pizzalieferdienst, direkt am Straßenrand auf dem Weg in die Innenstadt von Meran. Es ist laut, es ist etwas schäbig und die Pizza ist billig und sehr gut, so ist es hier üblich. Ich habe eine etwas seltsame Vorliebe für Imbisse im Ausland. Spaghetti wären noch etwas susiundstrolchmäßiger gewesen, aber die Pizza sah einfach besser aus.

Zurück in der Pension werden wir streng darauf hingewiesen, dass die Mülltrennung hier noch abgefahrener als in Deutschland sei, noch viel sortierter – es gibt etwa eine separate Tonne nur für Pizzakartons. Okay, denken wir, das ist tatsächlich eine Steigerung.

Es gibt, wir sehen dann interessiert nach, insgesamt acht verschiedene Tonnen mit langen Erklärungen daran, was da jeweils hineindarf und was nicht, wir stehen davor und staunen.

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Hamburg – München

Sonnabend, der 22. Juli. Am Morgen gelesen: „Warum ich schreibe“, ein Essay von George Orwell. Insofern originell, als er den Egoismus als Triebfeder schreibender Menschen betont, als eine von vier entscheidenden Motivationsmöglicheiten: „Der Wunsch, überlegen zu erscheinen, jemand zu sein, über den man spricht, und den man auch nach seinem Tod nicht vergisst; den Erwachsenen die Nichtachtung heimzuzahlen, die sie einen als Kind haben fühlen lassen etc. etc. Leugnen zu wollen, dass das ein Grund ist [zu scheiben], und zwar ein sehr starker, ist einfach lächerlich.“

Die anderen Antriebe sind laut Orwell „Ästhetischer Enthusiasmus“, „Sinn für Geschichte“ und „Politisches Engagement.“ Ich bin nicht sicher, ob ich mich darin verorten kann, es fehlt meiner Meinung nach eine fünfte, wichtige Motivation: „Kann nichts anderes.“ Aber gut, ich schreibe auch keine Romane, vielleicht sind Blog-Motivationen schlicht eine andere Kategorie.

In dem Buch „Schreibtisch mit Aussicht“, ich sehe es später am Tag, greift Joan Didion diesen Essay von Orwell ebenfalls auf und zitiert ihn, einen so schönen Lesezufall hatte ich schon lange nicht mehr. Faszinierend.

Das Titelblatt von Ilka Piepgrass (Herausgeberin): Schreibtisch mit Aussicht - Schriftstellerinnen über ihr Schreiben

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Man sucht es sich nicht aus, aber diese bescheuerte Berliner Wildschweinlöwin war jetzt das erste Event, Ereignis, Meme, was auch immer, das außerhalb von Twitter ein Interneterlebnis war, das Twitter in etwa entsprach. Auf Mastodon wurden alle in solchen Situationen nach alter Tradition erforderlichen Scherze in Bild und Text und Video vollumfänglich durchdekliniert. Ich fand es zwar nicht witzig und eher vollkommen überflüssig, aber da war es eben, das erste Twittererlebnis ohne Twitter. Die Welt dreht sich weiter, der Mensch scrollt weiter. Okay, haben wir das.

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Ich wecke die Familie früher als sonst, es ist ein Reisetag. Gepackte Koffer im Flur, letzte Umentscheidungen bei der Lektürewahl, das übliche Suchen nach den verdammten Versichertenkarten der Söhne etc. An den Steckdosen hängen bis zur letzten Minute noch die vier Powerbanks. Wir raffen alles zusammen, wir sehen fünfmal nach, ob der Herd aus ist. Wir gehen zum Bahnhof.

Der Zug fällt aus, es fährt ein nicht baugleicher Ersatzzug, sämtliche Reservierungen gelten daher nicht. Der Rest dieses Blogartikels geht entsprechend in tumultartigen Szenen unter. „Sie sitzen auf unseren Plätzen!“ „Nein!“ „Doch!“ „Oh!“

Wir erreichen mit erheblicher Verspätung irgendwann tatsächlich München. Die Reservierungsdialoge der sich streitenden Reisenden wiederholen sich unerbittlich bei jedem Halt, es ist auf Dauer etwas ermüdend. Es waren außerdem an mehreren Stellen, vor mehreren Städten „Personen im Gleis“, von Wanderern war da sogar einmal die Rede, als sei das ein neuer Volkssport. Komm, wir gehen heute einmal die Gleise entlang nach Süden.

Was ist mit den Leuten, immer wieder diese Frage, was ist mit den Leuten.

Wir gehen nach der Ankunft in München stracks zu unserer gewohnten Autovermietung, denn wir haben das damals, vor Corona, alles schon mehrfach gemacht. Wir erinnern uns routiniert, wir kennen uns aus, wir sind Reise-Topchecker, wir haben minutiös geplant. Aber da, wo die Vermietung war, da steht jetzt ein Bagger und sonst nichts mehr.

Urlaubszeit immer auch Abenteuerzeit, alte Regel.

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Erste Tomaten, letzte Stachelbeeren

Freitag, der 21. Juli. Es gab die ersten Tomaten im Garten, die letzten Stachelbeeren und noch einige Kirschen. Der Kohlrabi wäre auch schon fällig, zu dem komme ich aber gerade nicht, nur einen zum Nebenbeiknabbern nehme ich mit. Kohlrabi aus dem Garten schmeckt genau wie der aus dem Supermarkt. Nicht alles, was man selbst zieht, ist dem anderen Zeug geschmacklich überlegen, das ist ein Märchen, es stimmt nur manchmal und nicht einmal bei allen Salatgurken. Aber doch immerhin bei den meisten.

Ein Teller mit frisch geernteten Tomaten

Die Prachtscharten blühen so, dass man den ersten Teil ihres Namens glatt durchgehen lassen kann, es passt schon. Scharten allerdings – nach schönen Blumen klingt das eher nicht.

Wir haben ferner unser Trampolin wohl erfolgreich verkauft, entnehme ich einem Zettel an der Laubentür. So endet also eine weitere Phase der Nachwuchsbetreuung und – bespaßung. Während der Corona-Zeit, besonders im ersten und besonders schwierigen Jahr, hat das Trampolin eine größere Rolle gespielt. Wir haben es damals nur widerstrebend gekauft, weil es so furchtbar groß war, so überaus hässlich auch, aber es hat sich dann doch gelohnt. Ohne die Pandemie allerdings wäre es wohl ein Fehlkauf gewesen.

Das Ufer der Bille an der Billerhuder Insel, Weiden und Lauben, einige Wolken, Seerosen im Wasser

In den Hamburger Medien gibt es eine Meldung über die Vierer-Streifen im Hauptbahnhof. Da gehen also die Angehörigen verschiedener Sicherheitskräfte neuerdings zusammen auf Patrouille, sie arbeiten im besten Fall zusammen an Problemen oder verbreiten schon qua Existenz Beruhigung, so die Annahme. Das erwähne ich nur, weil ich noch etwas ergänzen kann, das in keiner Meldung dazu steht, denn ich habe diese Vierer-Trupps jetzt schon oft gesehen. Ein Detail ist es nur, versteht sich, aber es ist so – die reden dabei unentwegt miteinander, während sie da herumgehen und aufpassen. Angeregter Smalltalk zwischen den Vieren findet statt, stets laufende, perlende Unterhaltungen, vermutlich weil sie sich eben nicht schon jahrelang aus dem Berufsalltag kennen, sondern jeweils zufällig neu gemischt werden. Die Streifen, die dagegen aus den Angehörigen nur einer Truppe bestehen, sie gehen fast immer schweigend, muffig, ausgesprochen knurrig wirkend, vielleicht auch bedrohlicher in der Ausstrahlung, Achtung, hier kommt schlechte Laune.

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Am Morgen gelesen: In England werden die Schwalben knapp, die Housemartins. Ich poste ein Lied von der gleichnamigen Gruppe dahinter, die hat sich noch zu einer Zeit nach diesen Vögeln benannt, als an solche Nachrichten nicht zu denken war. Eine unschuldigere Zeit war es damals, die Bands tollten damals noch draußen in der Natur herum, und vermutlich waren sie dabei nicht einmal eingecremt.

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Es werden Koffer gepackt. Ein Koffer für die Herzdame, ein Koffer für beide Söhne und mich, „fair verteilt“ nennen wir es dann. Es werden außerdem sorgsame Proviantüberlegungen angestellt und diverse Einkäufe gemacht. Meine Reiselust liegt im nicht messbaren Bereich, mir wäre eine Woche im Bett mit Büchern deutlich lieber. Aber nun ist es so, wie es ist, und ich werde auch bezüglich der Stimmung unterwegs stets bemüht sein. Eh klar.

Noch einige Hörbücher herunterladen, wer weiß, wie lange man irgendwo offline ist. Wir werden Zug fahren, das wirft einen technisch in diesem Land bekanntlich um Jahre zurück.

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Zwischendurch gelesen, es ist sehr dünn, es reicht kaum für eine halbe Stunde und ist fast nicht einmal Buch zu nennen: Annie Ernaux, Der junge Mann. Deutsch von Sinja Finck. Der Satz auf dem Vorblatt ist immerhin gut: „Wenn ich die Dinge nicht aufschreibe, sind sie nicht zu ihrem Ende gekommen, sondern wurden nur erlebt.“

Ich kann sonst weiterhin der Begeisterung für Ernaux nicht recht folgen, aber ich bleibe dran und versuche weiter.

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Es stirbt Tony Bennett, hier singt er im Duett mit einer anderen Großen, die ihm schon vorausgegangen war.

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Es gab am Abend zum ersten Mal Spaghetti al pomodoro, mit Tomaten aus unserem Garten. Nur eine Zwiebel, Olivenöl, Knoblauch, Chili, viele Tomaten, Nudelwasser, etwas Butter, Basilikum – und gut. Und wie gut! Eigenes Basilikum wäre selbstverständlich noch besser gewesen, eh klar, aber den haben wir in diesem Jahr versehentlich nicht angebaut.

Man macht Fehler im Garten, dauernd macht man Fehler.

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Statistik und Alltag

Freitag, der 21. Juli. Am Abend habe ich gestern weiter Friends gesehen. Ich denke, das ist gerade das Ausmaß, das ich an Urlaubsentspannung erreichen kann, und warum auch nicht. Bemerknis dabei: Wie wahnsinnig schwach alles dargestellt und beschrieben wurde, was Berufe und Jobs betrifft. Hanebüchen abwegig ist das fast durchgehend, und so dermaßen platt klischeehaft. Mir ist der Bedarf an Überzeichnung klar, auch der intendierte Effekt der humoristischen Darstellung, aber dennoch … Das würde man heute definitiv anders machen, denke ich die ganze Zeit.

Wobei mir das Detail gefällt, dass Chandler einen so dermaßen uninteressanten Bürojob hat, dass keiner seiner Freunde weiß, was er da tut – ich fühle mich treffend mitbeschrieben.

Ich finde auch das Theaterhafte der Requisitenwahl lustig, wenn etwa bei der Figur der Rachel das Kellnern konsequent fast ausschließlich durch das Halten eines Geschirrhandtuchs dargestellt wird. Wie diese entscheidenden Zubehörteilchen bei Playmobil oder Barbie. Ich hätte in der Rolle meines Zweitberufs, also als Blogger, Schreibender, auf diese Art immer ein Notizbuch in der Hand. Wobei – stimmt ja auch. In der Home-Office-Rolle wiederum würde man heute sicher ein Headset als zwingendes Zubehör nehmen, damit wäre die Rolle dann klar symbolisiert, man setzt es auf und ist dann der Home-Office-Ken.

Ansonsten habe ich am Abend lange und intensiv mit der Herzdame geredet und bin unterm Strich wiederum dankbar gewesen, dass wir das überhaupt noch können, nach all der Zeit, und es auch tatsächlich auch immer noch interessant finden, wenn nicht sogar anregend. Ich muss schon sagen, was ein Stück Glück, wie es bei Asterix damals hieß, im Britenband.

In unserem Viertel gab es außerdem gestern eine Explosion, jemand verlor dabei eine Hand. Der Vorgang ist bisher noch einigermaßen unklar, schafft es aber bis in die Hauptnachrichten und ich finde es doch etwas belastend und an den Nerven zerrend, dass ein Sohn da verdammt knapp vorbeiging. Das ist unser Revier hier, und es hat seine Abgründe, to say the least.

Gerade neulich wieder war eine der benachbarten Straßen (der Steindamm) in den Medien, mit Zuschreibungen wie „gefährlichste Straße Hamburgs“ und dergleichen. Ich gehe da jeden Tag zum Einkauf entlang, furchtlos wie ich bin. Nein, das war ein Scherz, tatsächlich empfinde ich dort kaum je Gefahr. Statistik und Alltag fallen auseinander, aber wenn sie sich doch einmal berühren, dann wird es schnell unheimlich.

Gelesen: Annie Ernaux, Eine Frau. Deutsch von Sonja Finck. Es hat mich nicht so beeindruckt, wie es die Zuschreibungen vorhergesagt haben, aber es war auch nicht uninteressant.

Das Titelblatt von Annie Ernaux - Eine Frau

Gehört: Weiterhin den Fallada. Er erwähnt da ein Detail, das geschichtlich vermutlich stimmt, nämlich den enorm hohen Anteil an Süchtigen in der Ärzteschaft der Nachkriegszeit – weil sie an das gute Zeug so leicht herankamen. Und er schreibt, auch das mag stimmen, das bei allgemeiner Verfügbarkeit drei Viertel der deutschen Bevölkerung 1945 sehr schnell morphiumabhängig geworden wären.

Unbeweisbar einerseits, andererseits aber auch naheliegend.

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Der erwartbare Griff

Donnerstag, der 20. Juli. Gestern bin ich noch einmal in der Bücherei gewesen, drei Bemerknisse gab es dabei. Zum einen eine junge Frau, die ich allerdings nur von hinten gesehen habe, insofern ist meine Einschätzung des Alters nicht unbedingt unter Eid zu bezeugen, aber doch, sie wirkte von hinten jung. Zwanzig bis dreißig, damit also jung aus meiner Sicht. Blond und langhaarig, ich habe ihr Gesicht nicht gesehen, man kann sich im Geiste etwas ausmalen, vielleicht sah sie schön aus, interessant, sympathisch oder wie, ich habe keine Ahnung. Sie hatte jedenfalls nur ein Bein, das andere war amputiert. Sie ging an Krücken, und zwar ausgesprochen kraftvoll und sportlich, ohne irgendeine Anmutung von Krankheit oder Elend. Und sie trug, das fand ich beeindruckend, einen ausgesprochen eleganten Schuh mit hohem, fast könnte ich sagen mit sehr hohem Absatz. Warum sollte sie so einen Schuh auch nicht tragen, nicht wahr. Es war nur nicht der, den ich in diesem Bild erwartet hatte.

Zum anderen stand ein Mann vor dem Regal mit den Mangas, genauer vor dem Regal, auf dem auch das steht, was die Söhne im letzten Jahr noch gelesen haben, One Piece und dergleichen. Der Mann war mit Sicherheit über 80, er war sehr interessiert und hatte einen energischen Zugriff auf die Bände, er suchte nach Bandnummern, und er wusste, was er wollte. Ich habe ihn später noch vor anderen Regalen gesehen und war fasziniert von der zupackenden Art, mit der er sich Bücher aussuchte. Es gibt auch bei so etwas Banalem wie dem Griff nach einem Buch in einem Büchereiregal ein erwartbares Mittelmaß, und es gibt selten zu sehende Abweichungen.

Zum dritten war da ein junger Mann, der mit einem vermutlich älteren und schon etwas schwerhörigen Menschen dort telefonierte, wo man nicht telefonieren darf, weil es doch alle anderen stört, weswegen er zu etwas zischender, gepresster Aussprache neigte und eher nicht verstanden wurde, alles mehrfach und immer lauter werdend wiederholen musste („ICH BIN IN DER BÜCHEREI!“) und schließlich zweimal, dreimal, viermal sagte. Der Mensch, mit dem er da telefonierte, war sehr krank, vermutlich in einem Krankenhaus. Ich konnte gar nicht anders, als das alles mitzubekommen, den anderen um mich herum ging es ebenso, und gut klang es alles nicht, ganz und gar nicht. Aber das Gespräch beendete der Jüngere dann mit einem ebenfalls mehrmals wiederholten: „Lass es dir gutgehen!“

Weil man das eben so sagt, nehme ich an. Aber was für eine Aufforderung, wenn man etwas darüber nachdenkt.

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Datum, Ort

Mittwoch, der 19. Juli. Ich hätte viel Freude daran, hier öfter einen abweichenden, neuen Ort hinter das Datum zu schreiben, und ich denke, das ist eine Art literarischer Fetisch von mir. Ich finde es fast schon seltsam attraktiv, wenn in Tagebüchern und anderen Schriften am Anfang eines Textes etwas steht wie „Der 9. August, in Padua“, um etwas Ausgedachtes zu nehmen. Oder „London, 6. Januar 1821“, so kommt es etwa bei Byron vor (ich habe gerade versehentlich by Byron geschrieben, hihi), oder „Paris, 25. August 1855“, wie es bei Viktoria von England einmal heißt. Oder hier, allgemeiner: „Frankreich, 7. Februar 1935“, das ist von Trotzki. Die Beispiele zitierte ich nach Gustav René Hocke: Europäische Tagebücher aus vier Jahrhunderten, ein wahrhaft enzyklopädisch schlaues Werk zum Thema. Wenn Sie so etwas interessiert – da mal einsteigen. Und zwar mag ich diese Kombinationen aus Datum und Ort textlich mehr, als ich die notwendigen Reisen mögen würde, um so etwas wahrheitsgemäß notieren zu können, glaube ich.

Mittwoch, der 18. Juli, am Küchentisch. Es ist aber ohnehin nur wieder ein kühler Hamburger Morgen. Es gibt zu meiner Aufstehzeit auch schon wieder Bedarf an künstlichem Licht, es gibt heute also definitiv kein Hochsommergefühl mehr. Regen wurde angesagt, Schauer, Gewitter, die ersten Tropfen fallen bereits, noch während ich diesen Satz tippe.

Ein nassgeregneter Blumentopf auf einem Balkon vor grauem Himmel

Gestern am Abend habe ich noch weiter in der Rodoreda gelesen, sie beschrieb da ausführlich einen Marktbesuch in Barcelona, und es war fast so gut wie ein Ausflug dorthin. Im Grunde ist das Lesen doch allemal die praktischste Art des Reisens, es ist auch die günstigste und umweltverträglichste.

Vorher habe ich noch einige Folgen Friends gesehen, ich bin nun in der zweiten Staffel und finde es nach wie vor lustig, die vielen mir schon bekannten Schnipsel erstmalig in der richtigen Reihenfolge zu sehen. Als würde man in einem Lehrbuch hinten die Lösungen nachschlagen, so fühlt es sich an – ach guck, so gehört das also.

Man ist ungefähr im Jahr 1996, es tauchen die ersten Handys und auch unförmige Klötze von Laptops auf. Chandler freut sich, dass er darauf Listen mit verschiedenen Schrifttypen und Farben anlegen kann. Ja, ja, ich erinnere mich. Ich möchte dauernd die Söhne rufen, die Szenen noch einmal abspielen und immer sagen: „Guck mal, so war das! Das hatte ich auch! Das habe ich auch gemacht!“

Und wenn man nur genug Folgen nacheinander wegguckt, dann fragt man sich doch irgendwann, wie und warum Bundfaltenhosen je aus der Mode kommen konnten.

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Ansonsten zu viel Orgakram, der sich so überhaupt nicht nach Urlaub anfühlte, außerdem Nudelsuppe und Haushaltsbekümmernisse. Ein mittelguter Urlaubstag bestenfalls, übrigens nur für mich, die Herzdame war im Büro. Wir haben das alles etwas seltsam geplant in diesem Jahr.

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Vorgemerkt: Diesen Film mit Emma Thompson, der mir komplett entgangen ist, aber das liest sich so, als würde ich das sehen wollen.

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Außerdem bin ich im Reden nicht gut

Dienstag, 18. Juli, in Nordostwestfalen. „Amtsärzte fordern Siesta“, lese ich am Morgen in den Nachrichten, und es geht da selbstverständlich schon wieder um die Hitze. Es ist sicher eine dieser Schlagzeilen, die aus der Sicht der letzten Jahrzehnte grotesker ist, als es einem zunächst auffällt. Siesta. In Deutschland. Man muss etwas zurückdenken, um es ganz zu verstehen, wie vollkommen absurd der Gedanke ist, denn er ist es eben mit jedem Tag weniger, wir nehmen das alles mittlerweile so hin. Es kommt einem schon fast plausibel vor. Reden wir eben über Siesta, warum auch nicht. Stunden später werden in den Medien überall die Meinungen und Gegenmeinungen diskutiert. Und in dieser Diskussion, ich halte es für eine bemerkenswerte Entwicklung, wird oft nicht mehr erwähnt, wie absurd es eigentlich ist, worüber man hier neuerdings spricht, sondern es werden nur innerhalb der Absurdität vollkommen gewöhnliche Argumente ausgetauscht. So eben läuft Normalitätseintritt.

Im Guardian lese ich ein Live-Blog zur Hitzewelle. Es gibt Rekordwerte überall, die Höhe der Temperaturen, die Länge der Hitzewelle, Todesfälle, Ausfälle, Störungen, dauernd kommen neue Meldungen dazu. Ich lese diese Aktualisierungen allerdings bei frischen 13 Grad am Morgen, Vorteil Nordostwestfalen. Auch mal Glück mit der Lage haben! Oder mit der Woche.

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Es gab gestern noch Waffeln, Schwiegermutter machet sie mit einem historisch anmutenden Gerät, deutsche Designgeschichte, es läuft noch tadellos. An den Kommentaren auf Instagram sehe ich, dass sowohl Muster als auch Gerät stark verbreitet waren – oder sogar noch sind.

Ein 70er-Jahre Waffeleisen in orangelastigem Dekor

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Gesehen: Diese Doku auf arte über Jane Birkin, mit einer sehr sympathischen Schlussszene, aber auch sonst fand ich es sehr anziehend.

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Gehört: Gestern weiter im Fallada, Der Alpdruck. Er beschreibt in den ersten Kapiteln ausführlich einen Trinker und seine Schleichwege zum Alkohol, damit kannte er sich leider gut aus. In den folgenden Kapiteln geht er dann, bei anderen Figuren, zum Morphium über, ein weiteres seiner Fachgebiete.

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Gelesen: Weiter in „Schreibtisch mit Aussicht“. Ich zitiere aus dem Text „Ich schreibe nur“ von der geschätzten Anne Tyler darin: „Eine Zeit lang lebte ich in New York, wurde süchtig danach, mit dem Zug oder mit der Subway zu fahren, und hatte beim Zugfahren oft das Gefühl, ich wäre ein riesiges Auge, das die Dinge wahrnahm, durchleuchtete und sortierte. Aber wem sollte ich sie nach dem Sortieren erzählen? Ich hatte nie mehr als drei oder vier enge Freunde, zu keiner Zeit in meinem Leben; außerdem bin ich im Reden nicht gut. Ich gehöre zu den Leuten, denen morgens um vier im Bett einfällt, was sie gestern beim Mittagessen hätten sagen sollen. Die Dinge aufzuschreiben war der einzige Weg für mich.“

Und auch sonst liest sich ihr Text so, dass man ihre Romane gleich noch einmal lesen möchte. Also ich jedenfalls.

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Gegen Mittag dann die Rückfahrt nach Hamburg. Ich stelle fest, dass ich Autofahrten selbst dann schwer stimmungsschädlich finde, wenn alles glatt geht. Ich bin der Motor-Bartleby, ich möchte lieber nicht. Dummerweise werde ich auf anderen Reisen in der nächsten Zeit auch wieder fahren müssen, das war nicht gut genug überlegt und muss im nächsten Jahr nach Möglichkeit anders organisiert werden. Umgehende Vorgespräche dazu mit der Herzdame, wenigstens sind wir uns darin zunächst einig. Was immer ein Trost ist.

Unsere Wohnung ist bei der Ankunft heiß, da tagelang ungelüftet. So holt uns die Hitze also ein, obwohl es in Hamburg bei 22 Grad friedlich und gut erträglich zugeht. Ich nehme aus dem Augenwinkel schon beim Auspacken wahr, dass sich hier in der kurzen Abwesenheit schon wieder Komplikationen aufgehäuft haben, organisatorischer, kniffeliger Kleinkram, für den ich um Gottes willen nicht zuständig sein möchte, es aber so etwas von bin. Der ewige Traum von der Nichtzuständigkeit! Ich habe mittlerweile den starken Verdacht, das Ziel wird in diesem Leben unerreichbar bleiben, man wird vermutlich noch am letzten Tag irgendwas organisieren müssen, die korrekte Berechnung der Todesgebühr oder dergleichen.

Egal, ich ignoriere alles standhaft und gehe erst einmal zur Bücherei, denn man muss sich doch hier und da geistig schonen. Denke ich mir.

Und wie immer, wenn wir vom Land oder von der Küste nach Hause kommen, fällt mir auf, was mir im werktäglichen Alltag sonst oft entgeht: Die Stadt stinkt und ist dreckig, meine Güte, was fliegt hier überall für ein Dreck herum, was für eine Riesensauerei ist das alles. Unvergesslich, wie die Urgroßmutter der Söhne, die ihr Haus und Grundstück im Heimatdorf viele Jahre kaum je verlassen hat, sich bei ihrem einzigen Besuch bei uns – zur Hochzeit damals war das – sich vollkommen entgeistert in den Straßen unseres Viertels umsah und dann staunend fragte: „Aber warum fegt denn niemand mal?“

Ja, warum eigentlich nicht. Darüber könnte man vermutlich auch ganze Abhandlungen schreiben. Währenddessen liegt hier ein Dreck vor der Haustür – ich schüttele den Kopf heute ganz urgroßmütterlich und fühle mich entsprechend alt. Die Stadtreinigung, falls Sie sich das gerade fragen, fegt selbstverständlich und ist auch sonst sehr bemüht, aber es ist niemals oft und gründlich genug, kann es wohl auch gar nicht sein. Wie viele Menschen müssten sie dafür nonstop beschäftigen.

Ein Schriftzug auf dem Geländer der Ernst-Merck-Brücke am Hauptbahnhof: Hamburg meine Perle. Im Hintergrund Züge.

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Es waren Greifvögel in der Luft

Montag, der 17. Jul, in Nordostwestfalen. Die Herzdame arbeitet dank Home-Office-Möglichkeit von hier aus, ich dagegen nur so halb, also immerhin nicht in meinem Brotjob, sondern nur in den beiden Kuchenjobs, das ist auch entspannt, wenn es schon kein hundertprozentiger Urlaub ist. Vorsicht bei der Berufswahl!

In den Nachrichten wieder die Hitzemeldungen, aber wo wir sind, da ist gerade alles erträglich. Etwas Regen und viel Wind, man muss sich darüber freuen, und ich freue mich tatsächlich, denn Hitze ist mir das Schlimmste. Ich prüfe den Wetterbericht für die demnächst anstehende Reise in noch südlichere Gegenden, es sieht auch dort nach Regen aus, nach Gewittern. Ein, zwei Stunden Regen am Tag, das würde ich gut finden, glaube ich. Der Rest der Familie aber sieht das anders, etwas konventioneller sozusagen.

Ich sehe auf meinen Spaziergängen durch die Gegend hier mehr Greifvögel und mehr Störche als sonst, über jedem Acker und über jedem Stoppelfeld kreist diesmal ein großer Vogel, manchmal auch mehrere, einmal sogar eine Eule. Das ist meine erste Sichtung dieser Art hier, ich kann aber leider keine der Arten genauer bestimmen, ich habe zu wenig Greifvogelerfahrung. Es sind auch nicht nur ein paar mehr Greifvögel als sonst, denke ich nach einer Weile, es sind viel mehr Greifvögel, und auch das kann ich mir wieder nicht erklären. Aber was versteht man schon von Natur-´- zu wenig, immer viel zu wenig.

Blauer Himmel mit weißen Wolken über Nordostwestfalen, Bauernhäuser und Getreidefelder

Die Gartenbesitzerinnen und Gärtnerinnen im Ort winken im Smalltalk ab, wenn es um die Erträge in diesem Jahr geht, um die Früchte: „Alles viel zu trocken.“ Und es ändert nichts, dass es gerade regnet, während wir reden.

Ein Feldrand mit Mohn- und Kornblumen

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Ich habe überlegt, welches Hörbuch wohl hinter Golo Manns Nazistaat passen könnte, und es gibt einen Roman, der tatsächlich direkt anschließt: Der Alpdruck von Hans Fallada, gelesen von Ulrich Noethen. Das Buch beginnt mit einem betont resignativen Vorwort, es wird die Apathie der Nachkriegszeit beschrieben, hier gemeint direkt im Jahr 1945. Es ist eine Apathie, die etwa bei Golo Mann überhaupt nicht vorkommt, er hat in seinen Analysen mehr auf die Bewegungen nach vorne geachtet, auf den geschichtlichen Pfeil Richtung Gegenwart. Auch so etwas ist bemerkenswert. Wie verschieden wahrgenommen wurde und wird, es wird für unsere Zeit auch gelten.

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Gesehen: Diese Doku über Milan Kundera auf arte. Auch darin kommt wieder viel Nachkriegszeit vor, diesmal in der tschechischen Ausprägung.

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Wind in Kraft

Sonntag, der 16. Juli, in Nordostwestfalen. Am Morgen gelesen: Über die Hitze in Phoenix, Arizona.

Mein Notebook zeigt in der unteren linken Ecke des Bildschirms aktuelle Hinweise zum Verkehr oder zum Wetter an, im Moment steht dort die etwas seltsame Formulierung: „Wind in Kraft.“ Ein Satz, den der christliche Gott bei der Schöpfung gemurmelt haben könnte, als er die Sache mit dem Wetter in Betrieb gesetzt hat: „Wind in Kraft.“

Dieser in Kraft getretene Wind rüttelt am Morgen sogar am Fenster, hat also schon etwas zu bieten, woraus ich ableite, dass es heute nicht heiß sein wird. Ich finde das zufriedenstellend. Es ist ein beachtlicher Wind, stark wie an der Küste, er sorgt hier für wogenden Wellengang in den Maisfeldern, er biegt den üppigen Wiesen-Pippau, den Mohn und die Kornblumen am Feldrand und er ist warm dabei, überaus seltsam warm. Ich bin so norddeutsch, ich finde warmen Wind hochgradig irritierend.

Ein Schmetterling flattert an mir vorbei dem Wind entgegen. Es ist unerfindlich, wie er das hinbekommen kann, mit so viel Segelfläche und so wenig Gewicht, wie überaus trickreich das eingerichtet ist. Schmetterlinge in Kraft.

Ich fange ein neues Buch an, es wurde mit auf Mastodon empfohlen: Schreibtisch mit Aussicht – Schriftstellerinnen über ihr Schreiben, herausgegeben von Ilka Piepgras. Der einleitende Text von Anne Tyler spricht mich an, sicher auch wegen meines hausfraulich geprägten Tagesablaufs. Ich habe die entsprechende Rolle hier deutlich mehr inne als die Herzdame, die dafür z.B. die Sache mit den Autoreparaturen regelt. Hauptsache, es ist alles verteilt.

Ich sehe abends „Friends“, weil ich eigentlich Lust habe, eine Serie zu sehen, was bei mir selten genug vorkommt, mich die neuen Serien aber nach Check der Kritiken und der Handlungen gerade alle eher nicht ansprechen. Ich suche also in der Vergangenheit herum. Ich habe Friends damals nie gesehen, fand aber die Video-Schnipsel, die mir in letzter Zeit auf Tiktok und Instagram begegneten, allmählich immer ansprechender, so dass mir per Algorithmus dort immer noch mehr davon gezeigt wurden und ich jetzt, bevor ich auch nur eine einzige Folge durchgehend gesehen habe, halbwegs fit in Handlung und Charakteren bin. Eine seltsame zeitgemäße Art, so etwas kennenzulernen, aber es hat jedenfalls funktioniert. Auf die gleiche verrückte Art kenne ich bald auch den ganzen Titanic-Film, der mich allerdings überhaupt nicht interessiert, und der dennoch immer wieder in meinen Timelines auftaucht.

Es erinnert ein wenig an die unfassbar häufigen popkulturellen Spiegelungen der Star-Wars-Saga damals, die sie von Anfang an begleitet haben – ich habe auch diese Filme alle nie gesehen, „kenne“ sie aber doch. Dito Harry Potter und Herr der Ringe. Die Filme zu Tolkien habe ich immerhin einmal angefangen, fand sie aber unzumutbar langweilig. Und bitte, ich meine auch das nicht aus einer Haltung der Arroganz heraus, das Problem liegt sicher eher bei mir.

Egal. Ich sehe also die ersten Folgen Friends von damals, 1994 erstmal gesendet. Wie schlecht diese New Yorker Wohnung, in der fast alle Szenen spielen, gealtert ist. Wie ausgesprochen unschön sie aus heutiger Sicht ist, wie ungestylt sie auch wirkt, obwohl sie doch gestylter als jede echte Wohnung ist, das ist vermutlich kulturgeschichtlich auch hochinteressant. Es stehen da Möbel und Gegenstände herum, die habe ich allerdings in verdächtig ähnlicher Ausführung auch gehabt.

Womöglich haben wir alle in diesem Jahrzehnt eher unschön gewohnt und es gar nicht gemerkt? Welche Erkenntnisse kommen da noch, waren wir etwa auch gar nicht gut angezogen, obwohl wir doch dachten, uns nach den Achtzigern und Siebzigern so deutlich gesteigert zu haben? Vielleicht doch lieber nicht weiter gucken.

Die Lacher vom Band sind jedenfalls schier unerträglich für mich, wie soll man das aushalten?

Ein Sohn sieht die Serie auch gerade, er ist mir weit voraus. Ab und zu sieht er nach, wie weit ich schon bin. Es kommt hier sonst ausgesprochen selten zu medialen Überschneidungen.

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Und hier einmal interessant angewandte KI: Frank Sinatra singt Gangsta’s Paradise. Seltsam überzeugend. Es gibt auch “Johnny Cash singt Barbie Girl“, ich weiß, es gibt noch viel mehr, ich fand dieses Beispiel hier am ansprechendsten.

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In den Nachrichten geht es in den Kommentaren heute wieder um Gendersternchen und andere Formen, denn der Rat für Rechtschreibung, oder wie immer der genau heißt, er hat getagt und kam erneut zu keinen Beschlüssen. Ich neige immer mehr dazu, in meinen Texten nur die weibliche Form zu verwenden, ich rede also von Bloggerinnen und Leserinnen. Und ich gebe gerne zu: Das ist vielleicht auf dem Niveau von Kindergartengerechtigkeitsvorstellungen – aber wenn doch die männliche Form so dermaßen lange alles dominiert hat, unser Denken, unsere Handlungen, sogar unsere Gesellschaftsordnungen, dann kann es die weibliche doch auch einmal eine Weile lang?

Aber das sind nur so Urlauberinnengedanken. Ich mache Ferien, ich bemühe mich heute nicht ernsthaft um Tiefe, pardon.

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Ferner gibt es die Meldungen zum frühen Tod von Jane Birkin, hier singt sie im Duett mit einer ebenso bemerkenswerten Kollegin.


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Außerdem gibt Herr Linnemann Dummheiten von sich. Es sind Dummheiten, die ich nicht nur aus meiner viel weiter links zu verortenden politischen Position ablehnen muss, sie sind auch für seine Partei und Richtung die recht eindeutig falsche Strategie und ich wundere mich – wie vermutlich mittlerweile viele – warum sich diese Partei strategisch dermaßen blöd anstellt, sich so seltsam zügig entwertet und aus vollkommen freien Stücken den noch etwas radikaleren Rechten zum Fraß vorwirft. Es ist unbegreiflich.

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