Städtischer Wandel

Vorweg ein herzlicher Dank für die weitere Versorgung mit Lektüre, mir wurden die „Schleichwege zur Klassik“ von Gabriel Yoran und der „Wackelkontakt“ von Wolf Haas zugeschickt. Sehr schön!

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Ich könnte es als Zeichen des Niedergangs oder zumindest des städtischen Wandels deuten. Ich könnte es aber auch als normal hinnehmen, als vollkommen erwartbare und statistisch nicht weiter auffällige Tatsache. Dafür müsste ich deutlich mehr Informationen haben, um das sauber trennen und definieren zu können. Ich müsste vielleicht sogar in einem journalistischen Sinne erst einmal Leute befragen, Gott bewahre. Aber im Hauptbahnhof fehlt jetzt jedenfalls auf einmal ein Presseladen, und im Viertel fehlt das Sanitätshaus. Ich sehe die dunklen Scheiben und die leeren Flächen, und ich weiß im Vorbeigehen nicht recht.

Man müsste sich nennenswert besser erinnern können, wie war denn die Fluktuation eigentlich damals vor, na, sagen wir fünf, zehn oder zwanzig Jahren. Was ist normal und erwartbar beim Durchtauschen der Ladenflächen in Stadtvierteln. Denn es ist bekanntlich so eine Sache, mit diesen eher vagen Erinnerungen, schon gar bei dermaßen langsam ablaufenden Veränderungsprozessen um einen herum. Das Gedächtnis ist ein unzuverlässiger und auch äußerst beeinflussbarer Zeuge.

Ich habe, es fiel mir neulich gerade wieder ein, den Hamburger Stadtteil Eppendorf noch als Studentinnenviertel erlebt. So etwas weiß man, wenn man dabei war, zwar auch nach Jahrzehnten noch und kann die Wahrheit dieser heute höchst erstaunlich wirkenden Aussage auch jederzeit beschwören, aber es ist doch kaum noch erklärbar, es ist kaum noch vorstellbar. In diesem Fall traue ich zwar meinem Gedächtnis, aber andere trauen dem dann vielleicht nicht. Es ist kompliziert. Und klingt vielleicht schon in etwa wie die lapidare Anmerkung, dass man eine gewisse Wegstrecke früher jeden Tag mit der Kutsche gefahren sei, direkt nach dem morgendlichen Melken.

Wobei mir außerdem einfällt – als ich damals Ende der Achtziger im Westen Hamburgs mit meinem Brotberuf begann, gab es dort einen Bauernhof um die Ecke, der noch in Betrieb war. In einer Gegend, in der heute nichts als Großstadt ist. Und auch mein Büro war unter Reet …

Wie auch immer. Es ist etwas merkwürdig, aber ich habe plötzlich Lust auf einen Schaukelstuhl.

Dörfliche Wandstrukturen aus Holz und Ziegel

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Quasi Erholung

Am Montagmorgen dachte ich noch kurz, als ich mein Büronotebook aufklappte, was ich eventuell noch nie zuvor gedacht habe, nämlich dass es aus einem neuen Grund nett sein könnte, sich sechs, sieben Stunden oder mehr intensiv mit Excel, Zahlen, Prozessen und dergleichen zu beschäftigen. Denn wenn man sich wirklich darauf konzentriert, wenn man geistig nur konsequent genug in der Arbeitswelt verbleibt, bekommt man immerhin eine Weile lang keine aktuellen Nachrichten mit. Sieht man also auch nicht die feixenden Gesichter der Horrorclowns und bekommt keine spontane Übelkeit vom bloßen Überfliegen der Schlagzeilen.

Vorteil Job, quasi Erholung.

Und prompt, wie bestellt, wie wiederum sorgsam für mich eingerichtet von Göttinnen mit beißendem Witz, trat das Thema USA der Gegenwart dann auch in meinen beruflichen Mails auf. Nur etwa eine Minute nach diesen Gedanken. Eine Premiere war es, wenn auch eine erwartbare. Man muss sich eben auch im Business auf irgendeine Art mit der Weltveränderung arrangieren, man hat Kontakte überall, Kunden etc. Es kann nicht anders sein, in global agierenden Firmen.

And so it begins, dachte ich dann mit einem Anflug von Bitternis beim Lesen. Das Elend ist jetzt überall.

Und, wie man auf dem folgenden Bild sieht, sogar im U-Bahntunnel im Hauptbahnhof werde ich noch daran erinnert, denn ich könnte es ja zwischendurch für zehn Minuten verdrängt haben. So nicht, mein Freund! Es fiel mir dann beim Abendspaziergang auf, der doch ausdrücklich entspannend sein soll.

Ein Aufkleber an der Wand eines U-Bahn-Tunnels: FCK MSK

Lediglich im Smalltalk, aber das ist vielleicht eine spezielle Stichprobenverzerrung in meinem Umfeld, wird das alles ausdrücklich und sorgsam umkurvt. Schönes Wetter heute, aber die Tulpen sind so teuer, das ist klar und überall die bessere Themenwahl.

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Gehört: Ein Kalenderblatt zum Ende des Titels Fräulein in Westdeutschland. 1955 war das. In meiner Kindheit und Jugend kam der Begriff allerdings weiterhin häufig und selbstverständlich vor. Auch meine Grundschullehrerin etwa war noch ein Fräulein, ein älteres Fräulein, was eine vollkommen übliche Beschreibung war. Aber da klingt man auf einmal wie ein Roman aus dem 19. Jahrhundert.

Außerdem gehört: Ein Kalenderblatt über Arthur Miller.

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Ich höre ansonsten auf den Wegen weiter den Ewigen Spießer von Horváth, den Robert Meyer hervorragend liest. Dass Buch ist leider auch wieder unangenehm aktuell geworden, denn der aufkommende Faschismus spielt eine große Rolle darin und wird in den Dialogen der Österreicher etc. so dargestellt, dass man, haha, mühelos Anschluss findet.

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Zwei, drei Montagslinks

Das wird noch einmal eine Woche mit einem beruflich bedingt massiven Zeitproblem, schwant mir gerade beim Blick in den Kalender. Und ich habe das befremdliche Gefühl dabei, dies nun schon seit Monaten zu denken. Es gibt kein richtiges Leben in Vollzeit, wie schon der Arbeitswissenschaftler Adorno wusste.

Egal, einige Links gehen doch.

Das Manager-Magazin schreibt über die Konzerne in den USA und ihre aktuellen Anpassungen. Trostlos, aber das wird kaum jemand anders erwartet haben, der Konzerne etwas aus der Nähe kennt. Es gibt auch die Seite DEI-Watch, da kann man das Gebaren der Konzerne in drei Kategorien verfolgen und vermutlich zusehen, wie die Rubrik „committed“ schnell ausdünnt.

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Marina Weisband kommentiert im Deutschlandfunk die Marktplätze der Kommunikation, die sozialen Medien und ihre Inhaber (4 Minuten).

Ebenfalls im Deutschlandfunk geht es in der Sendung Breitband um den AI-Act der EU. Das ist etwas staatsbürgerliche Weiterbildung, denn man ist doch irgendwie betroffen oder kann es zumindest schnell sein.

Aber auch der Abschnitt über Javier Milei und seine Nutzung der sozialen Medien ist leider interessant.

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Schließlich ein Hinweis, der vermutlich nur für ausgeprägte News-Nerds und für die Kolleginnen in den Medien interessant ist. Es gibt diesen überaus nützlichen Dienst Sill, der in etwa das tut, was früher Nuzzel für uns getan hat. Als uns die Welt der sozialen Medien noch halbwegs in Ordnung erschien, manche werden es noch wissen. Wenn Sie von Nuzzel aber noch nie etwas gehört haben – macht nichts, das war ein Nischeninteresse.

Bei Sill werden jedenfalls die Links aus den eigenen Timelines (Bluesky und Mastodon, wahlweise jeweils auch mit den dort angelegten Listen) ausgelesen und übersichtlich dargestellt und entweder nach zeitlichem Verlauf oder nach der Häufigkeit der Verlinkungen gruppiert. Man sieht also, worüber geschrieben und worauf sich vielfach bezogen wird.

Und es gibt dort auch die Funktion „Trending“, wenn man eingeloggt ist:

“Trending shows the ten most popular links on Sill over the past three hours. Popularity is determined just like your individual Sill feed: by the number of unique accounts that share a particular link. Sill uses the timelines it has collected via accounts that have signed up for Sill to find the most popular links. Thus, Trending is not a complete picture of Bluesky or Mastodon. It offers an incomplete sample of both networks. As Sill grows, Trending’s view of the conversation on these platforms gets better.”

Die Userinnen von Sill sind mehrheitlich aus den USA. Daher ergibt die Trending-Auswahl im Moment eine Linksammlung mit ansprechend durchmischten Quellen vor allem zur absurden Lage dort.

Es funktioniert erstaunlich gut, man wird bestens und mit vielfältigem Programm bedient.

Aber wie auch immer – bei allem auch bedenken: You can’t post your way out of fascism.

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Zwei Alsterboote am Anleger Jungfernstieg am Abend

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Gemüse ohne Kontext

Am Sonnabend war ich wieder auf einer Demo, wie einige andere in diesem Land auch. In Hamburg fiel das Geschehen diesmal etwas kleiner aus, woanders war es dafür umso größer, Sie werden es gesehen haben. Freundliche Grüße etwa nach München (siehe auch hier und hier), Hannover und Bremen. Kalt war es bei uns diesmal, sehr kalt und etwas herausfordernd war es dadurch für mich. Wenn man gerade erst krank war, fühlt sich das Durchfrieren auf Demos nicht ganz richtig an – aber was tut man nicht alles.

Die Demonstrant:innen lagen teils ausgesprochen gut sortiert vor, siehe folgender Bildbeweis. Gut lesbar beschriftet waren sie, da freute sich der studierte und ordnungsliebende Dipl.—Bibl. in mir. Wobei, fällt mir gerade ein, der Klassifikations-Großmeister Melvil Dewey, den Sie abseits bibliothekarischer Spezialinteressen allerdings eher nicht kennen müssen, vermutlich auf der Gegenseite demonstriert hätte. Wie man auch seiner Wikipedia-Seite entnehmen kann.

Ein Pappschild auf dem Rücken einer demonstrierenden Person: "Kinderlose ältere nicht -binäre Person gegen rechts"

Also ich habe ein wenig demonstriert. Dann bin ich mal eben in den Discounter abgebogen, vor dem der Demonstrationszug stand. Dort habe ich dann eine Salatgurke erworben, welche ich beim morgendlichen Einkauf vergessen hatte. Und mit dieser in der Hand habe ich mich gleich darauf wieder eingereiht. Andere hielten Pappschilder oder Fahnen und Transparente, ich hielt Gemüse. Aber daraus kann man mit etwas Fantasie heute vermutlich auch schon eine politische Richtung ableiten.

Die Situation erinnerte mich daran, wie ich vor Jahren einmal mit einem unverpackten Knollensellerie, den ich gerade vom Markt geholt hatte, durch ein Großraumbüro gegangen bin, das Ding in der Hand haltend. Und die Kolleginnen an den Schreitischen mich dabei entgeistert ansahen, als sei ich Hamlet mit dem Schädel auf offener Bühne. Gemüse braucht Kontext, sonst wirkt es schnell merkwürdig.

Bei dieser Demo habe ich weniger Bekannte als sonst getroffen. Vielleicht umkurvten sie mich aber auch, das mag sein, vielleicht sah ich mit der Demo-Gurke noch etwas seltsamer als sonst aus, wirkte noch obskurer? Wer weiß. Es war immerhin eine besonders groß geratene Gurke, ein wahrer Gigant unter den Gemüsen. So ein Exemplar, über das man früher flache Tschernobyl-Witze gemacht hätte.

Danach jedenfalls wieder ins Bett und aufgewärmt. Lange.

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Kein heller Schein

Meine Versuche, an der Lage vorbeizudenken, sie gelingen durch die Bank nicht mehr. Es findet hier zwar selbstverständlich ein Alltag statt, wie er in nahezu jeder Lage stattfinden würde, in der man noch Arbeit, Haushalt, Familie etc. hat. Aber die Gedanken, sie kreisen nahezu unaufhörlich um das große, um das ganz große Problem der Zeit, um die Lage.

Ab und zu denke ich dann doch kurz an etwas anderes. An diese Themen, Sie erinnern sich vielleicht auch, mit denen man sich in gewöhnlicheren Zeiten so viel befasst hat. Und dann fällt es mir ein: „Gott verdammt, da gibt es ja noch weitere Probleme.“ Und das ist dann auch kein entspannender Aspekt, das hilft mir nicht weiter.

Unterm Strich, ich kann einfach zu keinem anderen Schluss kommen, bin ich mit der Wirklichkeit in einem Ausmaß nicht mehr einverstanden, welches ich mir früher so gar nicht habe vorstellen können. Die Entwicklung hin zu diesem Zustand begann 2015, eine nun zehnjährige, znnunehmende Entfremdung von der Gegenwart. Da sind wir zwischendurch aber längst über sieben Brücken gegangen, liebe Gemeinde. Da haben wir längst sieben dunkle Jahre überstanden, und nichts ist passiert, kein heller Schein weit und breit. Auf Song-Texte ist auch kein Verlass mehr.

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Ich sehe Musik-Dokus, das geht immerhin. Bei denen könnte man zwar auch jederzeit über die geschichtlichen Aspekte und die Verbindungslinien zur Gegenwart nachdenken, aber man kann es mit etwas Glück auch lassen. Für eine Stunde oder etwas mehr. Bei arte gerade im Angebot etwa The Mamas and the Papas und Frank Sinatra.

Ein weiterer Eskapismus-Link führt heute zu einer ausgezeichneten Radio-Doku über Connie Converse. Eine faszinierende Stunde von Monika Kursawe über die Frau, die den Folk erfand und verschwand. Connie Converse ist wichtig, wenn man sich auch nur ansatzweise für Folk oder für die verwandte Singer-Songwriter-Schiblade interessiert.

Man kann die Sendung aus feministischer Perspektive hören, man kann es auch geschichtlich und politisch interessant finden. Und man kann sich wundern, wieso sie Lieder schreiben konnte, die tatsächlich so klingen, als hätte man sie immer schon gekannt. Was jemand auch so in den Interviews sagt, und es stimmt.

Wenn man Romane, Geschichten, Drehbücher oder dergleichen schreibt, möchte man vielleicht auch etwas länger darüber nachdenken, dass sie New York damals erfolglos und ausgerechnet in dem Monat und in die Richtung verlassen hat, in dem und aus der Bob Dylan damals gerade ankam und zu seiner großen Karriere ansetzte. Nur ein kleiner Dreh und die beiden fuhren da aneinander vorbei … Was für eine Story.

32 Songs gibt es von Connie Converse, mehr nicht. Wenn Sie so etwas interessiert, zwei weitere Namen, die hervorragend dazu passen, sind Tia Blake und Molly Drake, die sich nur zufällig reimen. Beide mit winzigem Gesamtwerk, unbedingt hörenswert.

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Ich denke, ich setze die problematischen Links jetzt immer ans Ende, dann kann man sie besser ignorieren, wenn einem gerade nicht danach ist. Was mir vollkommen verständlich vorkommt.

Garrett Graff setzt seine Beobachtungen des fiktiven Auslandskorrespondenten, der die USA so analysiert, wie man sonst von dort auf ein Entwicklungsland blickte, fort, und es ist eine der besten und handlichsten Zusammenfassungen der Lage im Land: „White Nationalist Forces Consolidate Power Alongside Musk’s Junta.

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Zwei, drei Links

Ich hatte neulich mein Abo der New York Times erwähnt. Diese Zeitung wird meinen Erwartungen eher nicht gerecht, denke ich, das werde ich nicht verlängern. Etwas Geld warf ich nun aber gerne Wired zu, bei der sie sich gerade intensiv am Putsch in den USA abarbeiten, wie es alle Medien dort und anderswo tun sollten. Und deren Abo man auch billigst bekommt (5 Euro für das erste Jahr, keine bezahlte Werbung, nein).

Na, man hangelt sich so durch.

Wenn Sie zum eher schrecklichen und frustrierenden Thema „Journalismus in dieser Lage“ noch einen ausgefeilten Longread vertragen, lesen Sie Ian Dunt (hier Wikipedia über ihn), der in seinem Newsletter „Striking 13“ zwar aus deutlich britischer Perspektive, gleichwohl leicht übertragbar das Ganze gut nachvollziehbar aufdröselt: „Journalism is collapsing in the middle of the information war.“

Immerhin bemüht er sich zum Ende hin um positive Aspekte und Sätze: „But we have the power to turn the tide.“

Man möchte, dass er Recht hat.

Ein Edding-Schriftzug "Angry" an einer mit Graffiti verzierten Außenmauer eines Kindergartens

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Im ohnehin empfehlenswerten Podcast von Carolin Emcke, „In aller Ruhe“ bei der SZ, spricht sie, und es passt in diesen Kontext, in der aktuellen Folge „Wissenschaft in Zeiten der Gegenaufklärung“ mit Patrick Cramer, dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft. Die mediale Wirklichkeit spielt eine größere Rolle im Gespräch. „Vernünftiger Diskurs hoppelt immer hinterher“, heißt es dort, nicht ganz satzbaugerecht zitiert. So banal es klingt, so sehr ist es gerade ein elementares Problem unserer Gesellschaft.

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Und wer wieder einmal ein abweichendes Thema braucht, ohne den ganzen Politik-Klimbim, was leicht nachvollziehbar ist – beim Deutschlandfunk hörte ich eine Sendung über alles, nämlich über den Kosmos: Vom Urknall und dem Multiversum.

Es ist kompliziert. Aber es entspannt in diesem Fall etwas, denn es verbleibt dabei, dass wir zwar alles studiert haben, wie damals der Dr. Faust, aber nicht einmal viel wissen, und dass es vielleicht sogar okay ist, wenn wir nicht alles wissen.

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Das Hörbuch dieser Tage: „Der ewige Spießer“ von Ödön von Horváth, gelesen von Robert Meyer.

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Heute im Vorfrühlingsprogramm

Falls jemand das Thema noch ertragen kann, es gibt hier bei Gil Duran im Newsletter The Nerd Reich eine ausführliche Ableitung der ideologischen Hintergründe dessen, was gerade in den USA passiert.

Und während ich nach wie vor nicht einzusehen vermag, warum all diese Newsletter nicht einfach verbloggt werden (*Krückstockgefuchtel*), ist es doch so, dass Newsletter gerade zu den besten Quellen zählen.

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In Deutschland gibt es, warum auch nicht, einen Zehn-Punkte-Plan in einem Blog. Und gleich deutlich vernünftiger als die Partei-Versionen.

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Die Herzdame unternahm währenddessen eine Dienstfahrt in die Metropole Dortmund. Durch die ich neulich auch gerade gefahren bin, es gibt dort in diesen Wochen ein deutlich erhöhtes Buddenbohmvorkommen.

Die Züge auf ihrer Reise waren sowohl auf der Hin- als auch auf der Rückfahrt pünktlich auf die Minute, es waren vollkommen problemlose Touren. Und damit haben Sie das jetzt auch einmal wieder gelesen und zur Kenntnis genommen, dass es so etwas noch gibt. Auch in diesem Land, auch im Jahr 2025. Nehmen Sie es als meinen bescheidenen Beitrag zur Verbreitung von Frohsinn, Hoffnung und konstruktiver Grundstimmung.

Die Herzdame hatte also mit ihren Fahrten deutlich mehr Glück als ich auf meinem Trip nach Bonn neulich. Aber gut, Bonn ist auch entlegener, abseitiger und kleiner. Von diesem kurzen Business-Trip hat die Herzdame uns dann, dem heiseren Bellen aus dem Nebenzimmer nach zu urteilen, frische Viren mitgebracht. Wie nett ist das denn.

Die Saison fällt diesmal etwas speziell aus bei uns, to say the least.

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Ansonsten wird es in dieser Woche immerhin lichter über der Stadt, der Himmel wird deutlich höher. Die Luft wird weicher und der Vogelsang wird lieblicher, lockender. Die Helligkeit breitet sich merklich aus an den Rändern der Tage, ich höre Kindergeräusche zu ungewohnter Stunde vom Spielplatz her. Ich sehe aus dem Fenster, und die Eltern, die neben den Schaukeln stehen, haben nicht mehr diese leicht eingekrümmte Frostschutzhaltung aus der Phase der Winterwitterung.

Das Vorfrühlingsprogramm läuft nach altem und bewährtem Muster ab. Als sei die Welt noch die alte, zumindest auf den ersten Blick. Man muss es sich aussuchen, ob das weiter zu hinterfragen ist oder nicht, man muss es mit der seelischen Belastbarkeit vereinbaren können. Einerseits werden manche Vogelstimmen und auch Knospen, Austriebe etc. im Gesamtbild der Jahreszeit längst und für immer fehlen, passen auch die Temperaturen und andere Messwerte nicht mehr zu den langjährigen Mittelwerten, andererseits – guck mal da, die Schneeglöckchen neben der Hundescheiße im Beet vor dem Jugendzentrum. Schon schön.

Und zwischen diesen Betrachtungsmöglichkeiten man selbst, eher unentschlossen. Aber immerhin schon mit etwas leichterer Kleidung. Jedenfalls manchmal, jedenfalls zwischendurch.

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Gehört: Ein kurzes Hörbuch, „Eine Frau“ von Annie Ernaux, gelesen von Corinna Harfouch, Deutsch von Sonja Finck.  Verlagsangabe: „Dreizehn Tage nach dem Tod ihrer Mutter im Jahr 1986 schreibt Annie Ernaux ein kurzes, schmerzhaftes Requiem. Und lässt die Mutter als Repräsentantin einer Zeit und eines Milieus auferstehen, das auch das ihre war.

Kurz und beeindruckend, das hat es in sich.

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Im Bild ein übriggebliebenes Demoschild im Stadtteil, sicher noch wiederverwendbar.

Ein Demoplakat mit dem Text "Merz raus" (Filzstifte, bunt), das in einen Bauzaun vor einem leeren Grundstück eingehängt wurde

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My brain

Was macht währenddessen eigentlich das Leben, Herr Buddenbohm.

Nun. Ich war in der ersten Wochenhälfte noch krank und fast durchgehend mit Erholung beschäftigt, davon gibt es eher wenig zu berichten. Abgesehen vielleicht von der ärgerlichen Tatsache, dass mich die Weltlage (der Autor zeigt vage auf alles um ihm herum, hebt dann die Hände kurz zum Himmel und winkt anschließend mit resignierender Geste ab) im Ernst mehrfach von der doch so wichtigen Ruhe abgehalten hat. Also von der geistigen Ruhe.

Es hätte anders gehört, merkte ich deutlich. Aber es arbeitete und arbeitete in mir. In meinem Hirn war etwas los, es drehte und tickerte und analysierte und verglich, es ging Szenarien durch. Als wenn es irgendeinen Sinn gehabt hätte, als wenn es auch nur am Rande von Belang gewesen wäre, was ich von globalpolitischen oder gerade entscheidenden deutschen Fragen halte.

Aber man denkt dann eben doch mit heißem Bemühen, um nur ja klüger als zuvor zu sein, ungeachtet der eigenen Unwichtigkeit und Unwirksamkeit. Ich nehme an, es gilt so gerade für viele von uns.

Zwischendurch habe ich mich streng zur Ordnung gerufen, als ich nämlich drauf und dran war, mögliche deutsche Wahlergebnisse nach meiner aktuellen Einschätzung mal eben in Excel abbilden zu wollen. Ich habe das Notebook nach der ersten eingetippten Zahl verärgert wieder zugeklappt und mich lieber wieder hingelegt, und zwar mit Nachdruck.

Geht es denn noch, habe ich mich gefragt, hältst du dich jetzt für die Forschungsgruppe Wahlen oder was. Ich bin ein engagierter Bürger, habe ich mir dann leicht beleidigt geantwortet. Aber Teile von mir fragten sich gleichzeitig skeptisch, noch während ich dieses stolze Statement formulierte, ob es nicht vielleicht zu pathetisch klang.

Es kann dermaßen anstrengend sein, so allein mit sich auf dem Sof. Man sitzt da, macht sich Gedanken und merkt, wie man Kalorien verbraucht. Und es stimmt schon, dass man sich nicht immer die beste Gesellschaft ist.

Mose Allison, meine Damen und Herren. Es ist doch fast eine Pflichtübung, ihn nach solchen Absätzen zu spielen.

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 Im Bild noch eine Anmerkung im Stadtteil. Was einem auf dem Weg zum Einkauf so auffällt.

Ein Aufkleber auf einem Stromkasten: The only dangerous minority is the rich

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Die Kulturbeilage

Zwischendurch auch einmal konzentriert an etwas anderes denken, sich ablenken und flüchten.

Ich lese „Billard um halbzehn“ von Böll, ich schließe abends im Bett Bildungslücken. Ein Buchtitel, den ich gefühlt schon mein Leben lang kenne, der immer und überall herumstand, in Regalen, Literaturgeschichten und auch auf Lehrplänen. Und jetzt erst merke ich, dass meine Annahme, die mir stets selbstverständlich vorkam, es müsse im Titel 21:30 gemeint sein, falsch ist. Die Hauptfigur spielt morgens Billard. WTF.

Ich habe vermutlich etwas dumm geguckt. Also noch dümmer als sonst.

Gleich am Anfang wird da eine Sekretärin beschrieben, die an einem Schreibtisch sitzt und einen gelben, grünen oder blauen Heuss über ein Schwämmchen zieht. Und ich bin so alt und westdeutsch, ich verstehe das noch, was da ohne weitere Erläuterung beschrieben wird. Ich habe es auch gleich als Bild vor Augen, und zwar en Detail. Schon die Herzdame aber, etwas jünger als ich, versteht es nicht mehr auf Anhieb. Und die Söhne wären sicher vollkommen chancenlos. Einen grünen Heuss übers Schwämmchen ziehen, ja, is‘ klar.

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Mit für meine Verhältnisse beachtlicher Ausdauer habe ich außerdem die Lektionen von Ian McEwan als Hörbuch beendet, 22 Stunden Romanmarathon. Und wieder habe ich gemerkt, wenn in erzählenden Texten die Klimakrise oder die Coronapandemie vorkommen, gewinnen diese Werke für mich umgehend Sachbuchcharakter. Mir ist noch kein Prosatext begegnet, bei dem das nicht so war. Diese beiden Schlagwörter reißen alles Erzählte aus dem Fach Prosa heraus und sortieren es um in eine andere Abteilung.

Und im Falle von Corona ist es dann außerdem ein Sachbuch über etwas, bei dem ich mir nicht sicher sein kann, ob ich wirklich dabei war.

Also ich war selbstverständlich dabei. Wie wir alle, ich weiß, soweit bin ich noch bei Verstand – aber es fühlt sich beim Lesen oder Hören einfach nicht so an. Das haben andere Menschen zu anderen Zeiten erlebt, was da geschildert wird, vielleicht in einem Paralleluniversum.

Was mir wiederum schön belegt, dass die psychischen Verheerungen der Coronajahre wesentlich wilder waren und nach wie vor sind, als allgemein angenommen und akzeptiert wird. Aber das ist nur meine Privattheorie, das muss man nicht so sehen.

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Blick vom Balkon

Fünf Uhr morgens. Die Luftqualität ist schlecht, sagt die Wetter-App. Es ist diesig, sagt der verschwommene Lichtkranz um die Straßenlaterne. 2 Grad, meist bewölkt, einsetzender Regen in 6 Minuten. Das Rotkehlchen aber singt in der Dunkelheit, als sei dies der heranbrechende Morgen eines Wonnemonatmittwochs. Jemand rollkoffert zum Bahnhof, jemand mit einem großen Firmennamen auf dem Rücken schlurft zur Arbeit, jemand zieht einen schlaftrunkenen Hund hinter sich her und um den Block. Der gleiche Kaffee wie immer, die gleiche verlässliche Zubereitung auch. Die gleiche Sorte Milch hineingegossen, aus dem gleichen Becher wie an jedem Tag einen Schluck genommen. Er schmeckt bitterer als sonst.

Guten Morgen.

Die Welt ist währenddessen komplett verrückt geworden, was die Medien eher nicht mehr abbilden. Das berühmte „This is fine“-Meme, aber als Blick von einem beliebigen Balkon.

Die Welle schwappt über die Leute, es sind furchtbare Tage gerade, man liest sogar die Definition von Hoffnung in Philosophiebüchern nach.

„Nichts ist so trist

wie ein Optimist

mit der Nase am Asphalt

der sagt, ihm ist nicht kalt.“

Und man könnte noch mehr O-Töne aus der Blogwelt in dieser Richtung einfangen. Wie ein junger, vor die Tür geschickter Lokalradioreporter, der mit großem Mikro, zottelig umpuschelt,  frierend im Nieselregen in der Fußgängerzone steht und immer wieder „Was sagen Sie zu …“ fragt. Und alle, alle antworten: „Wir wissen es doch auch nicht“, und gehen dann kopfschüttelnd weiter.

Ich doch auch nicht, nein. Who am I, while the world burns?

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Dennoch auch die Nebenaspekte ab und zu beachten. Im Guardian ein Artikel über die Mode der neuen Machthaber in den USA, über das Power Dressing.

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Und Dan Gardner schreibt über die (Kultur-)Geschichte des Begriffs „The ugly American.“ Man hat gleich noch ein deutlicheres Bild der aktuellen Vorgänge, wenn man das liest.

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Noch einige Wahllinks, Sie könnten sich ja auch darüber gerade Gedanken machen. Einmal der Real-O-Mat, der nach dem tatsächlichen Abstimmungsverhalten wertet. Außerdem gibt es noch den Euromat, der „nur“ die europäischen Aspekte bedient.

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